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Koalitionsvereinbarung
Wetzel: IG Metall ist für Steuererhöhungen

Der neue IG-Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel sagt, dass sich Besserverdienende wieder mehr am Gemeinwohl beteiligen müssten. Dazu wären Steuererhöhungen nötig. Wenn diese nicht kämen, müssten für die Finanzierung von Themen wie die Arbeitsmarktneuordnung andere Wunschprojekte zurückstehen.

Detlef Wetzel im Gespräch mit Peter Kapern | 26.11.2013
    Detlef Wetzel, der neue Vorsitzende der IG Metall
    Detlef Wetzel schaut zuversichtlich auf die mögliche Große Koalition in Berlin (dpa / picture alliance / Frank Rumpenhorst)
    Peter Kapern: Zum Auftakt des IG-Metall-Kongresses hat Gabriel noch einmal deutlich gemacht, welchen Wert er dem Verhältnis zu den Gewerkschaften beimisst. Da hat er beteuert, er wolle in der Schlussphase der Koalitionsverhandlungen mit der Union keinen Regelungen zustimmen, die den Gewerkschaften nicht weit genug gingen. Bei uns am Telefon der gestern gewählte neue Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel. Guten Morgen!
    Detlef Wetzel: Schönen guten Morgen.
    Kapern: Herr Wetzel, hat die IG Metall jetzt ein Vetorecht in Sachen Koalitionsvertrag?
    Wetzel: Na das glaube ich nicht. Ich fand es natürlich gut, dass gestern Sigmar Gabriel gesagt hat, dass er Wert darauf legt, auf die Meinung der IG Metall zu den ja noch nicht feststehenden Ergebnissen eines Koalitionsvertrages. Aber auch die Frau Bundeskanzlerin, die auch gestern Gast auf unserem Kongress war, war sehr an unserer Meinung interessiert. Das finden wir erst mal gut und natürlich auch richtig.
    Kapern: Was werden Sie damit anfangen?
    Wetzel: Wir machen unsere Positionen deutlich und sagen, eine Große Koalition muss auch große Themen und große Probleme anpacken. Wir brauchen eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, wir brauchen einen Mindestlohn, wir brauchen aber auch Regelungen, um den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit zu verhindern. Wir brauchen eine Stärkung des Tarifvertragsystems und in der Rentenpolitik brauchen wir auch eine andere Herangehensweise. Wir fordern ganz dringend ein, dass jemand, der wegen Krankheit erwerbsgemindert ist und in Rente gehen muss, nicht finanziell so schlecht dasteht wie heute, und wir wollen vor allen Dingen, dass Menschen, die 40, 45 Jahre lang gearbeitet haben und in die Rentenversicherung eingezahlt haben, dann auch mit 63 ohne Abschläge gehen können. Wir fordern natürlich auch massive Investitionen in Infrastruktur und Bildung und das sind natürlich alles große Probleme, die erst einmal im Koalitionsvertrag niedergeschrieben sein wollen.
    Kapern: Gehen Sie davon aus, dass all diese Forderungen, die Sie da aufgestellt haben – die summieren sich ja zu einem Katalog, der dem gleicht, der da bei den Verhandlungen in den letzten Wochen aufgeschrieben worden ist -, dass all diese Forderungen tatsächlich zu erreichen sind?
    Kurswechsel mit neuer Regierung ist möglich
    Wetzel: Na ja, wir wissen natürlich als vernünftige Menschen auch, dass am Ende immer ein Kompromiss stehen muss und dass sich nie irgendeine Seite ganz durchsetzt. Aber wir brauchen nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen zwei Parteien, dann werden wir nicht Antworten finden auf die drängenden Zukunftsfragen unserer Gesellschaft. Und deswegen ja, ich bin da optimistisch, dass genügend gute Punkte zustande kommen, dass wir sagen können, ja, es findet vielleicht ein Kurswechsel in Richtung besserer Politik in Deutschland statt, als wir das in den letzten vier Jahren erleben mussten.
    Kapern: Gestern, Herr Wetzel, haben Sie in Ihrer Grundsatzrede einen starken Staat gefordert. Wenn man das nun als Arbeitsauftrag für die Koalitionsunterhändler verstehen wollte, was müssten die dann liefern, um Sie zufriedenzustellen?
    Wetzel: Der starke Staat ist eigentlich ein Staat, der aktiv ist, der nicht nur repariert. Ich will das an einem Beispiel vielleicht mal deutlich machen. Ein guter Staat, ein starker Staat bekämpft nicht Altersarmut, wenn sie entstanden ist, sondern ein starker Staat versucht, überhaupt nicht Armut entstehen zu lassen.
    Ein starker Staat versucht, eine gerechte Verteilung unseres Wohlstandes in unserer Gesellschaft herbeizuführen, und diese Vermögensumverteilung und die Ungleichheit der Vermögen in Deutschland ist ja gravierend und hemmt ja jeden sozialen Fortschritt und auch unseren wirtschaftlichen Erfolg. Ein starker Staat ist ein aktiver Staat, der das Gemeinwohl versucht, in einem guten Sinne umzusetzen, und da sind wir eine ganze Ecke von entfernt.
    Kapern: Und ein starker Staat ist auch ein Staat, da verstehe ich Sie richtig, der die Steuern für Besserverdiener erhöht im Sinne der Umverteilung?
    Wetzel: Das ist natürlich eine wichtige Frage. Wir haben ja hören müssen, dass 50, 60 Milliarden Kosten entstehen für wichtige Vorhaben in einem eventuellen Koalitionsvertrag und dass das Geld nicht da ist. Ja, Schulden sollten wir nicht machen, aber wir müssen dafür sorgen, dass wieder alle und insbesondere auch die Besser- und Bestverdienendsten sich wieder angemessen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligen.
    Da sind natürlich solche Fragen wie Vermögenssteuer oder Steigerung des Spitzensteuersatzes ganz wichtige Fragen. Wir müssen alle je nach unseren Kräften in dieser Gesellschaft an der Finanzierung unseres Staates beitragen und das ist auch ein Stück aus dem Lot gekommen. In den letzten zehn Jahren sind ja gerade die Bestverdienendsten steuerlich sehr, sehr stark entlastet worden.
    Kapern: Nun ist aber gerade das Thema Steuererhöhung in den Koalitionsverhandlungen zu einer Art Tabuzone erklärt worden von der Union, und es ist überhaupt nicht absehbar, dass es solche Steuererhöhungen geben wird. Heißt das im Umkehrschluss, dass das, was da beschlossen werden wird, auf alle Fälle nicht den Ansprüchen der Gewerkschaften genügen wird?
    Wetzel: Nein, das ist ja dann die Regierungskunst. Wenn erklärt wird, es gibt keine Steuererhöhungen, dann ist das sicherlich auch Ausdruck eines Kompromisses zwischen den Parteien. Aber dann muss die Partei, die sagt, es gibt keine Steuererhöhungen, auch sagen, warum vielleicht jemand, der 30, 40 Jahre gearbeitet hat, im Niedriglohnsektor ist und dann weniger Rente bekommt als jemand, der sein ganzes Leben lang nicht gearbeitet hat.
    Wenn kein Geld da ist für solche verbesserten Rentenregelungen, das muss man den Menschen erst mal erklären, dass das eine gute Politik ist. Ich will da gar nichts ausschließen. Ich sage mal, wir müssen diese Themen, die ich angesprochen habe, lösen in Deutschland. Die Parteien werden da hoffentlich Angebote machen und sie werden hoffentlich auch Finanzierungsmöglichkeiten finden, wie diese Dinge sich überwiegend realisieren lassen.
    Mindestlohn mit Übergangsfrist akzeptabel
    Kapern: Aber wie soll das gehen, Herr Wetzel, wenn Steuererhöhungen ausgeschlossen sind? Der Forderungskatalog, den Sie da eben aufgezählt haben, der umfasst ja ganz viele Maßnahmen, die einfach Geld kosten, Geld, das dann ohne Steuererhöhungen offensichtlich nicht da ist.
    Wetzel: Ja, das ist natürlich das große Problem dieser Großen Koalition. Wenn man sich festgelegt hat, es gibt keine Steuererhöhungen, wir sprechen uns für Steuererhöhungen aus, dann muss man zumindest Prioritäten setzen bei den Programmen, oder bei den Punkten, die insgesamt auf der Liste stehen. Und die Punkte, die ich genannt habe, die halte ich auf alle Fälle für finanzierbar auch mit den vorhandenen finanziellen Mitteln. Dann müssen eben andere Wunschprojekte, die vielleicht nicht so wichtig sind, ein Stückchen auf der Strecke bleiben.
    Kapern: Die Kanzlerin hat Ihnen gestern gesagt, dass der gesetzliche flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro kommen wird, aber sie hat gesagt, über die Modalitäten werde noch verhandelt. Welche Modalitäten sind für Sie akzeptabel?
    Wetzel: Für mich wäre akzeptabel, wenn nicht nächste Woche der Mindestlohn sofort käme, sondern dass es vielleicht eine angemessene Übergangszeit gibt. Man muss sich vielleicht sogar unterhalten, was machen wir mit bestehenden Tarifverträgen, werden die sofort ungültig, oder laufen sie aus. Ich könnte mir schon eine gewisse Anpassungszeit vorstellen, bis der gesetzliche Mindestlohn 8,50 Euro für alle gilt. Aber sonstige Ausnahmen kann ich mir nicht vorstellen.
    Wichtig ist noch, wie wird der Mindestlohn weiterentwickelt, wenn er denn dann kommt. Da sprechen wir uns sehr stark dafür aus, dass wir da die weitere Ausgestaltung nicht dem Staat überlassen möchten, sondern da plädieren wir dafür, dass das bei den Tarifvertragsparteien wieder landet, bei den Gewerkschaften, bei den Arbeitgeberverbänden, und dass dann der Staat das, was dort mit den Arbeitgebern und Gewerkschaften gefunden worden ist, umsetzt in ein Gesetz. Das wäre uns am liebsten und ich bin auch sehr optimistisch, dass es in diese Richtung läuft.
    Gesetzlicher Mindestlohn
    Ein gesetzlicher Mindestlohn definiert die Untergrenze der Bezahlung für abhängig Beschäftigte. Diese Untergrenze darf kein Arbeitgeber unterschreiten. Eine Mindestlohnregelung kann sich sowohl auf einen Stundensatz als auch auf einen Monatslohn bei Vollzeitbeschäftigung beziehen. Deutschland gehört innerhalb der EU zu den wenigen Ländern, die bisher keinen gesetzlichen Mindestlohn haben.
    Quelle: Bundeszentrale für Politische Bildung
    Kapern: Und wenn die Bundeskanzlerin vor den Gewerkschaftsdelegierten sagt, das Werkverträge ein potenzielles Missbrauchsfeld seien, lesen Sie daraus, dass Werkverträge drastisch eingeschränkt werden sollen, oder dass eben genau das nicht passiert?
    Wetzel: Ich gehe nicht davon aus, dass Werkverträge drastisch eingeschränkt werden, was eigentlich sein müsste. So weit ist die Politik noch nicht. Ich bin aber froh, dass der Fokus der Politik auf dieses Problem gerichtet worden ist, dass wir in Deutschland ein Problem haben mit Werkverträgen, die zum Teil dazu führen, dass Menschen schlecht, sehr schlecht bezahlt werden, Lohndumping betrieben wird, die Arbeitsbedingungen verschlechtert werden, und ich glaube, in diesem Koalitionsvertrag wird ein erster kleiner Schritt drinstehen zum Thema Werkverträge, wo die Möglichkeiten unserer Betriebsrätinnen und Betriebsräte verbessert werden, mit diesem Thema im Betrieb umzugehen. Eine Lösung erwarte ich mir nicht, aber da kommt die Zeit auch noch, dass wir dort gesetzliche und auch gewerkschaftliche Regelungen finden werden.
    Kapern: Herr Wetzel, wenn die SPD-Mitglieder dann über den Koalitionsvertrag abstimmen werden, dann kann Sigmar Gabriel jede Unterstützung gebrauchen. Wenn in diesem Vertrag das drinsteht, was Sie gerade so skizziert haben, kann er sich dann auf Sie verlassen?
    Wetzel: Wenn die Punkte im Wesentlichen so drin sind, wie ich Sie eben beschrieben habe, ja. Dann werden wir uns positiv einem eventuellen Koalitionsvertrag gegenüber verhalten.
    Kapern: Der IG-Metall-Vorsitzende, der neue, Detlef Wetzel, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Wetzel, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und sage danke für das Gespräch.
    Wetzel: Ich danke auch sehr.
    Kapern: Auf Wiederhören!
    Wetzel: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.