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Koalitionsverhandlungen
Familiennachzug "schmerzhafter Kompromiss für die SPD"

Rente, Bildung, Pflege: Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig sieht die Koalitionsverhandlungen auf gutem Wege. Einzig der Familiennachzug sei schmerzlich für ihre Partei, sagte sie im Dlf. Sie forderte, künftig nicht nur über die Flüchtlingspolitik zu streiten - für die Bürger seien auch andere Themen von Belang.

Manuela Schwesig im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Meckenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD)
    Meckenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) (dpa / picture alliance / Stefan Sauer)
    Christoph Heinemann: Die künftige Bundesregierung kann und möchte voraussichtlich mehr Geld ausgeben als bisher geplant. Angela Merkel rechnet angesichts der guten Wirtschaftsentwicklung für dieses und das kommende Jahr mit zusätzlichen Spielräumen. Und sie hat auch schon einmal Hausnummern genannt. Drei Bereiche: Digitalisierung, Außen- und Sicherheitspolitik sowie Entwicklungspolitik. Das ist allerdings Zukunftsmusik. Im Hier und Jetzt liegen Einigungen vor, unter anderem beim Familiennachzug und der Rente.
    Zur Erinnerung: Vor der SPD steht eine Hürde mehr als bei den Unions-Parteien, denn die Mitglieder, und zwar die langjährigen und die heurigen, haben am Schluss das Wort.
    Am Telefon ist Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, die in der Arbeitsgemeinschaft Bildung mitverhandelt hat. Guten Morgen!
    Manuela Schwesig: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Frau Schwesig, sprechen wir über die Bildung. Aufhebung des Kooperationsverbots. Wird der Geldgeber Bund künftig in die Schulpolitik der Länder hineinregieren?
    Schwesig: Der Bund wird nicht hineinregieren, aber der Bund kann die Länder und damit auch die Kommunen und vor allem den Schulen mehr Geld geben und damit seinen Beitrag leisten, die Bildung zu verbessern. Und ich finde, dass wir damit wirklich einen Meilenstein schaffen. Das ist eine Diskussion, die seit Jahren geht, und ich kann es Eltern überhaupt nicht vermitteln, warum, wenn der Bund Geld hat, er es nicht ausgeben darf zum Beispiel für die Sanierung von Schulen, für Ganztagsschulen, für den Digitalpakt. Das haben wir jetzt geändert und das ist wirklich ein großer Fortschritt.
    "Den Eltern ist es ziemlich schnuppe, woher das Geld kommt"
    Heinemann: Verkaufen Sie den Föderalismus?
    Schwesig: Nein, überhaupt nicht. Ich bin ja selbst Ministerpräsidentin eines Bundeslandes und möchte natürlich nicht, dass Berlin irgendwie jetzt da in die Schulen reinregiert. Aber klar ist auch, dass viele Eltern mit den Bildungsangeboten vor Ort noch nicht zufrieden sind. Uns fehlen Ganztagsschulplätze, Ganztagsbetreuungsplätze. Schauen Sie, es gibt jetzt viele Eltern, gerade in Westdeutschland, die endlich einen Kitaplatz bekommen, und dann erleben sie, dass ihr Kind in die Schule kommt und auf einmal um eins am Nachmittag vor der Tür steht, ohne ein warmes Mittagessen mit einem ganzen Ranzen voller Hausaufgaben, und das erschwert natürlich zum einen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und verhindert auch die Chancengleichheit von Kindern. Und genau das wollen wir jetzt verbessern, indem wir zwei Milliarden Euro bereitstellen, um Ganztagsschulen, Ganztagsbetreuung auszubauen, und wir wollen einen Rechtsanspruch einführen, dass jedes Kind in der Grundschule einen Anspruch auf gute Ganztagsbetreuung in der Schule hat.
    Korel, Alessandro und Sarah schreiben in der Ganztagsschule in der Helsinkistraße in der Messestadt in München in ihren Heften.
    Für den Ausbau von Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung sollen zwei Milliarden bereitgestellt werden. (picture alliance / Frank Leonhardt)
    Heinemann: Frau Schwesig, wer garantiert denn, dass die Länder das zusätzliche Geld des Bundes tatsächlich in die Bildung stecken werden?
    Schwesig: Das kann dadurch garantiert werden, dass wir natürlich nur dieses Geld – es wird dann ein Programm des Bundes geben, ein Investitionsprogramm für den Ausbau von Ganztagsschulen und der Ganztagsbetreuung. Das müssen sie dann auch tatsächlich dafür ausgeben. So wie es jetzt gerade aktuell ein Schulsanierungsprogramm gibt bei mir ganz konkret im Land, kann ich mit diesem Bundesgeld (und natürlich packe ich eigenes Landesgeld drauf) viele Schulen jetzt sanieren, die vorher in einem schlechten Zustand waren, und das ist natürlich eine sehr gute Nachricht.
    Heinemann: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, hat mal jemand gesagt. Muss der Bund nicht kontrollieren, dass das Geld wirklich so eingesetzt wird und auf diesem Weg doch in die Bildungspolitik hineinregieren?
    Schwesig: Der Bund wird natürlich schauen, dass sein Geld zum Beispiel jetzt für das Schulsanierungsprogramm, später für das Ganztagsschulprogramm und den Digitalpakt, auch für diese Bereiche ausgegeben wird. Wissen Sie, diese Diskussion, ob es tatsächlich dafür ausgegeben wird, kann ich nicht verstehen, denn wir haben alle Bedarfe vor Ort. Ich möchte, dass die Schulen in meinem Land alle saniert werden. Ich möchte, dass wir für alle Kinder gute Ganztagsschulen anbieten können. Dann ist es ganz logisch, dass man dieses Geld dafür nimmt, weil oft das Landesgeld vor Ort dafür nicht ausreicht. Und den Eltern ist es, mit Verlaub, ziemlich schnuppe, woher das Geld kommt. Die wollen einfach nur eine gute Schule für die Kinder, und ich finde, sie haben auch ein Anrecht darauf.
    "Ich teile diese Kritik beim Thema Pflege überhaupt nicht"
    Heinemann: Frau Schwesig, schauen wir auf weitere Ergebnisse der bisherigen Koalitionsverhandlungen. Gestern hat bei uns im Deutschlandfunk die Pflegeexpertin Cornelia Heintze den sogenannten Pflegeerfolg, also 8.000 neue Stellen, als miserabel kritisiert. Das heißt, das völlig unzureichende Pflegeniveau in Deutschland wird damit für vier Jahre zementiert. Wieso wird mithilfe der SPD eins der wichtigsten Zukunftsthemen vertagt?
    Schwesig: Ich teile diese Kritik überhaupt nicht und muss sagen, dass ich mich wundere, dass wir wirklich große Fortschritte machen beim Thema Pflege, beim Thema Rente, beim Thema Bildung, wirklich Dinge endlich angepackt werden, wo ich mich selbst geärgert habe, dass wir das in den letzten Jahren nicht getan haben. Beim Thema Pflege haben wir drei Dinge. Erstens: 8.000 neue Fachkräfte zusätzlich. Zweitens, dass wir endlich dort besser bezahlen. Und drittens, dass wir auch endlich dafür sorgen, dass es keinen unterschiedlichen Pflegemindestlohn zwischen Ost und West gibt. Und ja, da kann man gleich wieder sagen am nächsten Tag, das reicht uns aber alles nicht, noch dies und jenes. Aber mit Verlaub, das ist ein seltsames deutsches Phänomen, dass wenn dann endlich Politik sich durchgerungen hat, hier mal ein dickes Paket zu schnüren, die ersten wieder sagen, das reicht uns nicht, anstatt dass wir jetzt mal schnell dafür sorgen, dass die Verbesserungen, auf die wir uns geeinigt haben, auch umgesetzt werden. Und wir müssen ja im Blick haben, dass im Pflegebereich nicht alles von der Pflegeversicherung übernommen wird, sondern viele, die zum Beispiel im Pflegeheim sind, auch einen Teil selbst tragen. Deshalb muss das, was es an Verbesserungen gibt, auch mitfinanziert werden, und wir müssen darauf achten, dass die Rentnerinnen und Rentner, die ja vor allem in Pflegeheimen sind, auch nicht über Gebühr daran beteiligt werden.
    Heinemann: Der Systemfehler bleibt aber bestehen. In den Niederlanden oder in Skandinavien ist die Pflege eine öffentliche Aufgabe. In Deutschland unterliegt sie dem Rationalisierungszwang der Privatindustrie. Was sind Ihnen alte Menschen wert?
    Schwesig: Ich finde, dass sich eine Gesellschaft oder das soziale Gesicht einer Gesellschaft daran zeigt, wie sie mit Kindern und älteren Menschen umgeht.
    Heinemann: Dann kann es aber in Deutschland nicht hoch her sein damit.
    Schwesig: Für die Kinder, haben wir eben gesprochen, packen wir jetzt ein Bildungspaket. Wir haben noch nie so viel Geld für Bildung bereitgestellt. Und für gerade die älteren Menschen werden wir vor allem jetzt Verbesserungen bei der Rente und bei der Pflege auf den Weg bringen. Natürlich geht immer alles doppelt und dreifach, aber wissen Sie, bis vor einigen Wochen gab es überhaupt gar keine Aussicht auf eine stabile Bundesregierung mit überhaupt diesen Verbesserungen, weil die anderen es nicht hinbekommen haben. Die SPD hat jetzt in kürzester Zeit eine Woche Sondierung und jetzt eine Woche Koalitionsverhandlungen mit dafür gesorgt, dass wir bei diesen großen Themen vorankommen, und ich kann nur allen raten, miteinander jetzt zu versuchen, diese Sachen umzusetzen. Weil es ist schön, dass wir immer über tolle Sachen reden, die wir irgendwie brauchen, aber sie nicht passieren. Ich selber habe Fachkräfte in den Pflegeheimen vor meinen Augen, die mir jedes Mal sagen, wenn ich dort vor Ort bin, wir brauchen mehr Leute, wir müssen auch besser bezahlen und wir wollen nicht die Pflege in Deutschland privatisieren. Es gibt viele Einrichtungen, die von den Wohlfahrtsverbänden getragen werden, und deswegen sehe ich auch nicht, dass wir das alles privatisieren.
    Flüchtlinge mit Koffern und Plastiktüten in Friedland, Niedersachsen.
    Monatlich 1.000 Familienangehörige sollen nach Deutschland kommen können, hinzu kommen noch Härtefälle (dpa)
    "Der Familiennachzug ist ein schmerzhafter Kompromiss für die SPD"
    Heinemann: Familiennachzug für Flüchtlinge. Tausend Familienangehörige pro Monat plus xy Härtefälle. Sie selbst haben angemerkt, man könne nicht gerade von einem Erfolg sprechen. Wieso nicht?
    Schwesig: Der Familiennachzug ist ein schmerzhafter Kompromiss für die SPD. Es war immer klar, dass es zwischen SPD, CDU und CSU beim Familiennachzug unterschiedliche Meinungen gibt. CDU und CSU wollten am liebsten den Familiennachzug, den Nachzug von Kindern und Frauen aus dem Kriegsgebiet hier nach Deutschland zu ihren Vätern, nicht zulassen. Er war auch zwei Jahre lang ausgesetzt. Wir haben jetzt dafür gesorgt, dass die Familien wieder Stück für Stück nachziehen können, mit einer planbaren Größe von Tausend pro Monat. Da hätten sich bei uns einige auch mehr vorstellen können. Jetzt gibt es zusätzlich eine Härtefallregelung, die bisher sehr eng ausgelegt worden ist. Da muss man schauen, ob das eigentlich so richtig war. Aber es ist ein Kompromiss, auch wenn er schmerzhaft ist. Es ist aber richtig, dass wir ihn jetzt haben. Wir müssen auch aufpassen und das war ein Fehler der Großen Koalition der letzten Jahre, dass wir nicht jeden Tag nur über Flüchtlingspolitik streiten. Dann haben nämlich die Leute vor Ort den Eindruck, es geht nicht mehr auch um ihre Belange wie beim Thema Rente, Pflege oder Bildung. Deswegen kann ich, wenn es dazu kommt, der neuen Großen Koalition nur raten, bei Flüchtlingspolitik wirklich zusammenzustehen, gute Lösungen zu finden und sich nicht ständig zu zerfetzen, weil es geht auch noch um andere Themen in unserem Land und die Bürger dürfen nicht den Eindruck haben, dass wir das nicht auf die Reihe kriegen.
    "Eine Woche Koalitionsverhandlungen ist wirklich enorm sportlich"
    Heinemann: Kurz zum Schluss. Rechnen Sie mit einer Verlängerung der Verhandlungen über das Wochenende hinaus?
    Schwesig: Eine Woche Koalitionsverhandlungen für eine Bundesregierung ist wirklich enorm sportlich. Wir als SPD wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass jetzt endlich die Bürger auch Klarheit bekommen. Aber wir müssen uns auch die notwendige Zeit nehmen. Es muss ordentlich verhandelt werden.
    Heinemann: Bis wann?
    Schwesig: Für mich gibt es da jetzt keinen irgendwie Stichtag, bis dann und bis dann nicht. Ich finde, wir müssen jetzt zügig verhandeln. Wir dürfen uns aber auch nicht unter Zeitdruck setzen. Es dürfen uns keine Fehler passieren, die einem dann wieder einen Monat später auf die Füße fallen. Zügig verhandeln, aber auch vernünftig und sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Und jetzt nutzen wir erst mal die Tage dieser Woche und dann schauen wir weiter.
    Heinemann: Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Schwesig: Danke! – Einen schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.