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Koalitionsvertrag
"Die CDU bleibt ein Kanzlerinnen-Wahlverein"

Angela Merkel muss die CDU-interne Kritik am Koalitionsvertrag ernst nehmen, sagt Daniel Goffart, Leiter der Hauptstadt-Redaktion des „Focus“. Zwar würden am Ende auch alle Kritiker vor dem "Königsthron" Merkels einknicken. Dennoch dürfe sie nicht den Kontakt zum Wirtschaftsflügel verlieren.

Daniel Goffart im Gespräch mit Dirk Oliver Heckmann | 09.12.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: In der SPD-Zentrale, da trudeln gerade Zehntausende Briefumschläge ein, darin die Abstimmungskarte der SPD-Mitglieder zu der Frage, ob der Koalitionsvertrag mit der Union geschlossen werden soll oder nicht. Die CDU, die hält es da weniger basisdemokratisch. In Berlin sind in diesen Minuten die Delegierten zu einem sogenannten kleinen Parteitag zusammengekommen. Pünktlich zu diesem Termin melden sich die Kritiker zu Wort, und das sind die Jungen in der Partei und die Vertreter des Wirtschaftsflügels.
    Am Telefon begrüße ich Daniel Goffart, er ist Leiter der Hauptstadt-Redaktion des „Focus“. Schönen guten Tag, Herr Goffart.
    Daniel Goffart: Hallo, Herr Heckmann. Ich grüße Sie.
    Heckmann: Der Wirtschaftsflügel der CDU hat Bauchschmerzen. Weshalb eigentlich, denn der Mindestlohn zum Beispiel, der kommt ja flächendeckend erst 2017, und dann ist Bundestagswahl und da könnte zum Beispiel dieser Aspekt wieder zurückgedreht werden?
    Goffart: Der Mindestlohn kommt. Da macht es auch nichts mehr aus, ob er in ein oder zwei Jahren da ist aus Sicht der Wirtschaft. Man wird sich darauf einstellen müssen. Aber der Mindestlohn ist vielleicht noch das geringste Problem. Es gab ja eine ganze Reihe anderer Entscheidungen, auch bei den Koalitionsverhandlungen, die gerade bei den Wirtschaftsleuten in der Union für Bauchgrimmen gesorgt haben. Die Einschränkungen bei der Leih- und Zeitarbeit, bei den Werkverträgen, die ganze Flexibilität, die man im Arbeitsbereich hat, die ist stark eingeschränkt worden. Das geht dann doch schon vielen gegen den Strich. Und nicht zu vergessen auch die Rente mit 63. Das sind alles Dinge, die die Kosten für die Sozialversicherung in die Höhe treiben werden, und das lässt sich mit guter Konjunktur so einigermaßen machen. Aber wehe, die Konjunktur bricht mal ein, wehe, die Zinsen steigen auch wieder, das heißt, auch der Staat muss dann seine Schulden höher verzinsen, dann sieht das ganze schon anders aus, und das ist die Sorge der Wirtschaftsleute.
    "Die Neigung der Volksparteien, dem Volk etwas Gutes zu tun"
    Heckmann: Im Zentrum in der Tat ja die Kritik an den Rentenversprechen. Da ist die Mütterrente, die Rente mit 63 bei langjährig Versicherten, das alles finanziert aus den Überschüssen der Rentenkasse. Christian von Stetten (CDU) spricht von einem Verbrechen an der nächsten Generation. Ist das nicht ein bisschen übertrieben?
    Goffart: Das ist total übertrieben. Verbrechen ist ein völlig deplatziertes Wort dafür. Aber es ist natürlich eine Hypothek, die die nächste Generation zu tragen hat, weil das wird jahrelange Ausgaben zementieren in Milliardenhöhe, und es ist klar, dass diese Ausgaben erwirtschaftet werden müssen von einem geringer werdenden Teil der Bevölkerung, und es müssen immer weniger Leute für immer mehr Rentner aufkommen. Das ist schon eine Belastung, Verbrechen kann man gar nicht sagen dazu. Aber er meint natürlich im Kern etwas, was, glaube ich, den ganzen Unmut beim Wirtschaftsflügel auf den Punkt bringt. Das ist die Neigung gerade von den beiden großen Volksparteien, CDU und SPD, jetzt dem Volk etwas Gutes zu tun, sozialpolitisch zu profilieren, und die Dinge schleifen zu lassen, die man nun auch für die Ankurbelung der Wirtschaft braucht.
    Heckmann: Aber die CDU-Führung, die argumentiert ja, man habe bereits mehrfach sogar den Rentenbeitrag gesenkt, wir investieren ja in die Bildung und wir nehmen vor allem keine neuen Schulden auf, nachhaltiger gehe es also nicht.
    Goffart: Es geht schon etwas nachhaltiger, weil jetzt könnte ja der Rentenbeitrag gesenkt werden, müsste es eigentlich sogar nach bisheriger Gesetzeslage, und man wird eine Menge Klimmzüge unternehmen, um genau das zu verhindern. Man könnte schon sehr viel nachhaltiger agieren. Man könnte auch mehr Geld stecken in Internet, Infrastruktur, in Wissenschaft, in Wagniskapital, man könnte viel mehr tun. Man hat sich dagegen entschieden, das muss man ganz klar sagen, und insofern ist die Klage der Wirtschaftsverbände und auch am Ende die Klage des Wirtschaftsflügels gerechtfertigt. Ob das alles geht, ohne neue Schulden aufzunehmen, das wird sich auf der Strecke zeigen. Bisher sieht es so aus, als ob es ginge, aber wie gesagt: Das hängt vom Rückenwind der guten Konjunktur ab. Wenn dieser Rückenwind mal aufhört und sich vielleicht am Ende sogar in einen Gegenwind verwandelt, dann wird es ohne neue Schulden nicht gehen, oder ohne empfindliche Einsparungen. Aber das wird wohl kaum die SPD mitmachen wollen.
    "Die CDU bleibt ein Kanzlerinnen-Wahlverein"
    Heckmann: Dennoch, Herr Goffart, scheint ja die Kritik des Wirtschaftsflügels die CDU-Führung nicht sonderlich zu beeindrucken, denn an der Zustimmung des Parteitags, da besteht ja kein Zweifel.
    Goffart: Ja gut. Die CDU ist und bleibt ein Kanzler-Wahlverein oder ein Kanzlerinnen-Wahlverein. Es wird ein bisschen gegrummelt, da gibt es hier und da etwas Klage. Ich meine, wenn Philipp Mißfelder sagt, die Kanzlerin kann nicht erwarten, dass wir jubeln - ich meine, das erwartet wirklich keiner, aber am Ende stimmen doch alle zu, oder enthalten sich, vielleicht ein oder zwei lehnen dann ab. Das ist schon der größte Mut vor dem Königsthron von Angela Merkel.
    Heckmann: Das ganze also eher eine Kritik für die Galerie?
    Goffart: Ja, das würde ich so sagen, wenngleich die CDU-Führung natürlich diese Kritik ernst nehmen sollte, denn wir haben keine FDP mehr im Bundestag. Die gesamte Opposition wird die Regierung von links kritisieren und es fehlt natürlich auch etwas die Stimme, sage ich mal, der Wirtschaft, die Stimmen von liberal denkenden Leuten. Und wenn die CDU diese Stimmen aus den eigenen Parteiflügeln nicht ernst nimmt, dann stärkt sie damit die FDP und am Ende auch das Comeback der FDP. Vielleicht sollte sie deshalb auch etwas mehr auf die Wirtschaftsleute hören, weil die Wirtschaftskompetenz ist für die Union nach wie vor ein wichtiges Gut.
    Heckmann: Nicht nur der Wirtschaftsflügel der CDU hat ja Bauchschmerzen, sondern auch die Wirtschaftsverbände sehen das alles ja sehr kritisch. Ist den Christdemokraten der Kontakt zur Wirtschaft mittlerweile egal?
    Goffart: Ich würde nicht sagen egal, aber man hat natürlich jetzt mit Blick auf die sehr, sehr große Mehrheit, diese 80-Prozent-Mehrheit der kommenden Großen Koalition ja ganz andere Prioritäten, und die Priorität sitzt natürlich erst mal darin, dass man den Sozialdemokraten stark entgegenkommen musste. Das wusste Frau Merkel. Sie musste auch mehr nachgeben, als es das Wahlergebnis rein arithmetisch erfordert hätte. Das ist der Preis, den sie zahlen muss. Dafür hat sie eine stabile Regierung, mit der sie auch in den Bundesrat hineinregieren kann, und das ist ein Preis, den sie bezahlen muss, und dafür werden die Wirtschaftsverbände im Zweifel, ich sage nicht, links liegen gelassen, aber man hört vielleicht nicht mehr ganz so stark auf sie, wie das in den vergangenen Jahren der Fall war.
    "Mit Frau Merkel ist eine Sozialdemokratisierung der Union einhergegangen"
    Heckmann: Ist vielleicht auch ganz gut so, würde vielleicht sogar der eine oder andere Christdemokrat sagen. Der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Fraktion, Michael Kretschmer, der hat allerdings auch seine warnende Stimme erhoben und hat gesagt, die CDU muss aufpassen, dass sie sich nicht quasi sozialdemokratisiert. Hat sie das nicht schon längst getan, denn vor der Bundestagswahl, da hieß es ja zum Beispiel, was den Mindestlohn angeht, geht gar nicht, nur über unsere Leiche, und das hat sich ja jetzt grundlegend geändert.
    Goffart: Das hat sich geändert und viele andere Dinge auch. Mit Frau Merkel ist unverkennbar eine Sozialdemokratisierung der Union einhergegangen. Das ist auch das Bemühen von Frau Merkel, die Union in der Mitte zu halten, sie auch für Wählerschichten attraktiv zu machen, die eben nicht mit der Wirtschaft übereinstimmen - Stichwort junge Frauen in Großstädten. Die CDU hat da ein Riesenproblem in den Großstädten. Es gibt praktisch keine CDU-Bürgermeister mehr. Sie hat andere Prioritäten gesetzt; das sieht der Wirtschaftsflügel mit Bauchgrimmen, genau wie vorher der sogenannte konservative Flügel. Allerdings sind auch die ohne Einfluss geblieben. Wenn man es vom Ergebnis her sieht, hat Frau Merkel recht, denn sie hat über 40 Prozent Zustimmung geholt, ein Rekordergebnis. Das geht natürlich zulasten auch der Akzeptanz des Wirtschaftsflügels. Auf der anderen Seite ist natürlich klar: Man kann so eine Partei nicht verändern, ohne dass es Leute gibt, die das kritisieren, die Altgewohntes vermissen, und dazu zählt natürlich vor allen Dingen jetzt bei dieser Diskussion über die Frage, wie nachhaltig ist diese Politik, insbesondere der Wirtschaftsflügel. Aber der Einfluss schwindet.
    Heckmann: Mit Daniel Goffart, dem Leiter des Hauptstadtbüros des „Focus“, haben wir gesprochen über den Kurs der CDU und den kleinen Parteitag in Berlin. Herr Goffart, danke Ihnen für das Gespräch!
    Goffart: Danke auch! Tschüss!
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