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Koch: "EU-Kommissar Solbes muss klagen"

Heuer: Die Finanzminister der Europäischen Union haben Deutschland einen finanziellen Spielraum von sechs Milliarden oder noch mehr Euro geschenkt. So könnte man es auch sehen. Denn ohne das Veto des Finanzministerrats hätte Deutschland nach dem Willen der europäischen Kommission nächstes Jahr eben diese sechs Milliarden Euro zusätzlich einsparen müssen. Und am Ende des Defizitverfahrens, das der Rat nun ausgesetzt hat, könnten uns bis zu zehn Milliarden Euro Geldbußen drohen.

    Trotzdem kritisieren viele die Brüsseler Entscheidung. Am Heftigsten tut dies die deutsche Opposition. Der Stabilitätspakt, sagen Union und FDP, sei jetzt tot oder doch tot geweiht.
    Wie er das sieht und welche Folgen die Brüsseler Beschlüsse für die deutsche Sparpolitik haben werden, das möchte ich jetzt den hessischen Ministerpräsidenten fragen, Roland Koch von der CDU. Guten Morgen Herr Koch!

    Koch: Guten Morgen Frau Heuer.

    Heuer: Ist der Stabilitätspakt jetzt wirklich dem Untergang geweiht?

    Koch: Der Stabilitätspakt ist juristisch nach wie vor existent, aber politisch ist er tot. Wenn das Land, das unter der Führung von Helmut Kohl und Theo Waigel diesen Stabilitätspakt in Europa durchgesetzt hat, obwohl viele der anderen Europäer, vielleicht sogar fast alle ihn so hart nicht wollten, wenn dieses Land nun die anderen nötigt, den Stabilitätspakt mit Füßen zu treten, dann wird kein anderer mehr Anlass sehen, sich besonders daran zu halten. Deshalb ist glaube auch nicht die Opposition in Deutschland im Augenblick der schärfste Kritiker, sondern die europäische Kommission und der dafür zuständige Kommissar, der bis zur Frage, ob er gegen diesen Beschluss vor dem europäischen Gerichtshof klagen soll, deutlich macht, wie dramatisch diese Entscheidung in Wahrheit ist.

    Heuer: Soll er klagen?

    Koch: Ja, nach meiner Ansicht muss er klagen. Das wird für einen EU-Kommissar extrem schwierig, weil dass ein Ministerrat einmal gegen die Regeln des Rechtes einen solchen Beschluss fasst, wie das Hans Eichel jetzt durchgesetzt hat, hat sich wahrscheinlich auch die EU-Kommission in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können, so dass es eine extrem schwierige Situation für eine sozusagen Regierung gegenüber dem Kontrollorgan Ministerrat ist. Ich hoffe aber sehr, dass Herr Solbes bei seiner Linie bleibt, weil das ist die einzige Chance, den politisch toten Pakt wieder zum Leben zu erwecken.

    Heuer: Zwei Drittel der von der Kommission geforderten zusätzlichen Einsparungen für Deutschland hätten ja die Länder und die Gemeinden aufbringen müssen. Da müssten Sie sich eigentlich freuen über Eichels Erfolg in Brüssel, Herr Koch?

    Koch: Ich freue mich nicht darüber, dass wir eine wie ich finde glücklicherweise geschaffene europäische Währung gefährden. Das ist viel schlimmer als alles, was im Diskussionsbereich von Haushaltsplänen dieses oder des nächsten Jahres entstehen kann. Ich gehe heute Morgen in die Haushaltsdebatte meines Bundeslandes. Wir haben Vorleistungen erbracht, bei denen wir sogar als Bundesland sehr gelassen wären, auch die neuen Vorgaben zu sehen. Aber unabhängig davon, selbst wenn wir es tun müssen, die Währung und ihre Stabilität ist für alle in unserem Land eigentlich wesentlich wichtiger als jede aktuelle Bewegung in einem Haushalt.

    Heuer: Es ist richtig, Herr Koch, dass Hessen besonders entschieden spart. Aber auf den Bund gerechnet, wo könnten denn nächstes Jahr weitere sechs Milliarden Euro überhaupt eingespart werden?

    Koch: Zunächst einmal muss man darauf hinweisen, dass der Bund ja nach wie vor mit seiner Diskussion über das Vorziehen der Steuerreform sichtlich eine erhebliche Verfügungsmasse hat, wo jeder Zeit die Möglichkeit besteht, auf den Boden einer soliden Beziehung zurückzukehren. Allein das würde ausreichen, diese Diskussion auf der Bundesebene zu führen. Also die Frage ist eigentlich relativ einfach: Da alle Wirtschaftsforschungsinstitute zugleich davon ausgehen, dass man durch das Vorziehen der Steuerreform kein Wirtschaftswachstum initiieren kann, ist der Preis, den man jetzt dafür zahlt, dass man an dieser Stelle die Stabilität der europäischen Währung gefährdet - und zwar nicht nur durch diese eine Entscheidung, das wäre ja nun überhöht, sondern durch das, was daraus entsteht, dass wenn der Erfinder einer rechtlichen Regelung selbst sie bei der erst besten Gelegenheit bricht, ohne dass es dafür einen zwingenden Grund gibt, Stichwort Vorziehen der Steuerreform -, extrem hoch. Dann wird kein Land in Europa, egal an welcher Stelle es ist, das noch für besonders bedrohlich halten und etwa denken, es bekäme eine Strafe, wenn das große mächtige Deutschland sich per Beschluss die Strafe wegschaffen kann.

    Heuer: Das Stichwort Steuerreform ist in der Tat interessant, denn darüber können die unionsregierten Bundesländer ja mitentscheiden im Vermittlungsausschuss. Es sah zuletzt so aus, Herr Koch, als würde die Union unter bestimmten Bedingungen möglicherweise dem Vorziehen der Steuerreform doch zustimmen. Werden Sie im Bundesrat für Hessen jetzt gegen das Vorziehen der Steuerreform stimmen?

    Koch: Meine Skepsis gegen die Steuerreform ist ja nun seit einem halben Jahr bekannt. Daran hat sich auch nichts geändert. Es gibt Bedingungen, unter denen die Union gesagt hat, dass sie bereit ist, die Gespräche zu führen. Dazu gehören zwei wesentliche. Das eine: es muss nächstes Jahr ein Wirtschaftswachstum geben können. Dazu muss sich im Gesetz etwas ändern. Deshalb die Forderung, wesentliche materielle Änderungen im deutschen Arbeitsrecht. Das zweite, ganz identisch mit dem, was die EU-Kommission jetzt sagt: wir können unmöglich 80 Prozent einer solchen Steuerreform auf Schuldenbasis vorziehen. Das heißt mindestens 75 Prozent haben alle anderen gesagt ist das, was durch Einsparungen geleistet werden soll. Das ist mehr als sechs Milliarden. Insofern ist an dieser Stelle die Verhandlung weiter möglich. Nur die Bundesregierung hat diese Diskussion um die Steuerreform aufgebracht und stellt sich permanent hat und sagt, ich habe eine gute Idee, kann sie nicht bezahlen, schicke die Rechnung an meine Kinder. Das wird nicht gehen. Sie muss dann Vorschläge unterbreiten. Wenn sie die unterbreiten kann, hat sie auch den ganzen Streit nicht nötig, den sie im Augenblick in Brüssel angezettelt hat.

    Heuer: Nun hat die Regierung ja gerade bewiesen, dass sie es nicht für möglich hält, sechs Milliarden Euro einzusparen, also nicht einmal diese Summe. Unter dieser Voraussetzung, für wie wahrscheinlich halten Sie denn da eine Einigung im Vermittlungsausschuss?

    Koch: Wenn die Bundesregierung bei dieser Auffassung bleibt, dass sie keine sechs Milliarden Einsparpotenzial sieht, sehe ich keine Chance zur Zustimmung zur Steuerreform, denn dann kann sie das von uns und der Union gemeinschaftlich vorgegebene Ziel nicht erreichen.

    Heuer: Über die Bedingungen der Union bezüglich des Arbeitsmarktes ist ja in den vergangenen Wochen auch viel berichtet und gesprochen worden. Friedrich Merz hat im Deutschlandfunk in dieser Woche einen neuen Vorschlag gemacht, nämlich den gesamten zweiten Arbeitsmarkt zu kassieren. Sind Sie auch dafür?

    Koch: Das ist eine der denkbaren Alternativen. Wir haben ja darauf hingewiesen, dass wir nicht entgegen den öffentlichen Behauptungen einfach sagen, uns interessiert nicht, was in dem Bereich von finanziellen Veränderungen geschieht. Wenn man das tut, dann muss man zwingend die in der Hartz-IV-Diskussion, also der Frage von Arbeitsorganisation, Arbeitsvermittlung, Zumutbarkeit, geführte Debatte so lösen, wie die Union es vorgeschlagen hat mit ihrem Existenzgrundlagengesetz, dass sowohl ein neuer Arbeitsmarkt für Niedriglohn entsteht, der im Zweifel subventioniert wird durch die Sozialhilfe, als auch andere Vermittlungspraxen angewandt werden. Dann braucht man den zweiten Arbeitsmarkt in der klassischen Form nicht mehr. Insofern gibt es diese Möglichkeit.
    Wichtiger aber noch ist, dass im klassischen ersten Arbeitsmarkt etwas passiert, weil das alles rechtfertigt sich nur, wenn wieder Wirtschaftsaufschwung entsteht. Der Wirtschaftsaufschwung in Deutschland ist im Augenblick nicht dadurch gehindert, dass kein Geld vorhanden wäre. Die Sparquote der Deutschen steigt. Geld ist da. Es ist aber keine Hoffnung da, dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Das liegt am Arbeitsmarkt und wenn man dort nicht entscheidend eingreift mit betrieblichen Bündnissen für Arbeit, also der Möglichkeit, in Betrieben zum Beispiel stärker Eigenverantwortung zu übernehmen, dann wird es dort keine Besserung geben.

    Heuer: Ich würde gerne noch mal bei dem zweiten Arbeitsmarkt bleiben. Wenn wir den abschaffen, dann gibt es doch trotzdem mehr Arbeitslose. Das kostet doch mehr Geld, Herr Koch?

    Koch: Ja. Das hängt davon ab, ob wir bereit sind, in Deutschland wieder über Niedriglohnsektoren zu sprechen. Niedriglohn, das empfinden viele Bürger ja zunächst als eine Bedrohung, weil es ein niedrigerer Lohn ist als sie es für notwendig halten, um in Deutschland leben zu können. Auf der anderen Seite erhalten diese Menschen zur Zeit Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe und arbeiten nicht, weil diese Arbeit in Deutschland nicht mehr angeboten wird.
    Wir schlagen vor, lasst uns Arbeit auch dann aufnehmen und annehmen, wenn sie relativ niedrig entlohnt wird. Lasst uns einen Zuschuss dazu zahlen aus der staatlichen Kasse, der dann am Ende geringer ist als die derzeitige Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe. Trotzdem hat der Bürger, der dort arbeitet, mehr Geld als er zur Zeit vom Staat in Arbeitslosen- oder Sozialhilfe bekommt. Das ist eigentlich eine ganz überschaubare Regelung, der sich die Sozialdemokraten seit vielen Jahren verweigern, weil sie sagen das ist unzumutbar, zu solch niedrigen Löhnen zu arbeiten. Wir sagen das ist zumutbar, weil es auf das Einkommen des Betroffenen ankommt, das er am Ende eines Monats in seiner Tasche hat. Das ist besser als bisher und trotzdem wird volkswirtschaftlich etwas erarbeitet, was im zweiten Arbeitsmarkt halt regelmäßig nicht der Fall ist. Insofern ist das ein Modell, das sehr wohl denkbar ist, weil es Arbeit nach Deutschland zurückholt und in Deutschland hält, die wir zu Zeiten großen Wirtschaftswachstums ganz großzügig in den Rest der Welt exportiert haben, was wir uns heute nicht mehr leisten können.

    Heuer: Ein Modell, Herr Koch, auch eine zwingende Bedingung für die Zustimmung der Union zum Vorziehen der Steuerreform?

    Koch: Die zwingende Bedingung ist wesentliche Veränderung im Bereich des Arbeitsmarktes. Wir haben ja einen Katalog von Forderungen dafür aufgestellt und wir sind nie hergegangen und haben gesagt, alles was in dem Gesetz steht, das im deutschen Bundestag von der CDU/CSU vorliegt, muss Punkt für Punkt bis zum letzten Komma umgesetzt werden, aber wir haben gesagt wesentliche Punkte. Zwei wesentliche Punkte haben wir klar beschrieben. Der eine Punkt ist: es muss möglich sein, unterhalb der Tarifverträge in den Betrieben Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern möglich zu machen. Das zweite ist: es muss einen Einstieg in einen niedriger besoldeten Arbeitsbereich geben, damit wir diese Arbeit nach Deutschland zurückholen, ohne dass dem einzelnen Bürger dadurch ein Schaden entsteht. Im Gegenteil, er hat mehr Geld und einen Job. Derzeit hat er die Sozialhilfe und keinen Job. Diese beiden Punkte sind in der Tat essentiell.

    Heuer: Herr Koch, heute kommt ja der Vermittlungsausschuss zusammen. Wie weit sind denn die Verhandlungen gediehen beim Subventionsabbau, also über das Papier, das Sie und Herr Steinbrück erstellt haben? Halten Sie dort eine Einigung für greifbar nah?

    Koch: Ja. Ich glaube schon, dass es eine Übereinstimmung unter den Finanzministern gibt, die zur Zeit verhandeln, dass diese Methode und dieses Modell und auch die Größenordnungen als eher Mindestgröße dessen, was denkbar ist, dort verhandelt werden und dass alle wissen, dass wir angesichts der finanziellen Schwierigkeiten, die wir haben, diese Verhandlungen nicht scheitern lassen können. Wie genau es dann aussieht, insbesondere auch was die Größenordnung angeht, wird sicherlich einen Zusammenhang haben mit den übrigen Finanzgesprächen. Die Finanzminister, die dort verhandeln, haben zurecht zunächst einmal dann auch im Auge, dass wir die Schwierigkeiten, die wir in Deutschland aufgrund der mangelnden Fähigkeit der Haushalte haben, ihre Aufgaben zu lösen, nicht noch vergrößern. Da hängt dann leider Gottes wie in anderen Fällen des Vermittlungsausschusses auch, wenn wir über diese 120 verschiedenen Gesetze sprechen, nahezu alles mit allem zusammen. Deshalb wird es auch am Ende ein Finanzpaket oder keine Einigung geben und nicht erst mal dies und dann reden wir wieder über jenes. Da spielen die Koch-Steinbrück-Vorschläge denke ich eine nicht unerhebliche Rolle und sie gehören eher zu dem unstreitigen als zu dem streitigen.

    Heuer: Herr Koch, ich möchte Ihnen zum Schluss noch eine kurze Frage stellen zu einem anderen Thema. Florian Gerster, der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, ist ja in der Kritik. Jetzt ist davon die Rede, er habe seinen eigenen Spesenetat gegenüber seinem Vorgänger um 76 Prozent erhöht. Sind Sie dafür, wenn das stimmt, dass Gerster abgelöst wird?

    Koch: Ich habe oft genug Zeitungsmeldungen über mich gelesen, dass ich immer erst gern wüsste, ob es wirklich stimmt. Aber offensichtlich hat Herr Gerster geglaubt, er kaufe sich die Bundesanstalt für Arbeit als sein eigenes Unternehmen und mache jetzt Werbung und Marketing, und ein bisschen vergessen, dass dies ein Unternehmen ist, das ausschließlich von Steuergeldern lebt.

    Heuer: Roland Koch, der hessische Ministerpräsident. - Ich danke Ihnen für das Gespräch Herr Koch!