Christoph Heinemann: Am Telefon ist jetzt Silvana Koch-Mehrin, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Allianz der europäischen Liberalen im Europaparlament. Guten Morgen!
Silvan Koch-Mehrin: Guten Morgen, Herr Heinemann!
Heinemann: Frau Koch-Mehrin, wie halten Sie es, VW-Gesetz, ja oder nein?
Koch-Mehrin: Ganz klar nein. Nach der Logik müsste man ja sagen, dass immer dann, wenn es einem Unternehmen gut gehen soll, müsste der Staat sich vorher beteiligen. Und ich halte es für sehr richtig, dass die EU hier vorgeht und dass es jetzt irgendwann zu einem Urteil auch kommen wird am EuGH.
Heinemann:! Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff sagt, bisher ist VW gut damit gefahren. Inwiefern hat sich das VW-Gesetz denn nicht bewährt?
Koch-Mehrin: Nun, ich meine, die Vorgeschichte dieses Gesetzes hat ja ganz stark mit der deutschen Geschichte zu tun. Es war kurz nach dem Krieg natürlich eine ganz andere Situation. Und heute ist es so, dass eben dadurch, dass der Staat faktisch eine Sperrminorität hat, dass eben der Staat ganz klar Entscheidungen beeinflussen kann, ein Unternehmen nicht immer so die betriebswirtschaftlich nötigen Entscheidungen treffen kann, sondern politisch beeinflusst wird. Und das ist immer ein Problem, wenn der Staat sich einmischt, weil er ganz andere Kriterien anlegt als ein Unternehmen, das eben schauen musst, dass es eben günstig und gut wirtschaftet.
Heinemann: Welche dringend erforderliche Maßnahme ist denn bei VW durch den Einfluss des Landes bisher nicht getroffen worden?
Koch-Mehrin: Nun, solange es eine SPD-Regierung war, war es nicht möglich - und SPD-Vertreter eben für den Staat im Aufsichtsrat saßen -, war es nicht möglich, zum Beispiel notwendige Veränderungen bei der Arbeitszeit oder eben auch bei der Beschäftigung vorzunehmen. Da gab es dann immer eine Blockade, und das war für VW schwierig, weil es dann im Vergleich zu anderen Unternehmen in der gleichen Branche sehr viel mehr Kosten mit sich rumschleppen musste und dadurch weniger wettbewerbsfähig war. Das hat sich jetzt mit einer anderen Regierung etwas gebessert, aber natürlich bleibt es trotzdem so, dass Unternehmensentscheidungen, die dafür sorgen sollen, dass das Unternehmen auch mittel- und langfristig gut wirtschaftet, blockiert werden, wenn man eben politische Entscheidungen, wie zum Beispiel vor einer Wahl sollen keine Einschnitte bei der Beschäftigung gemacht werden, da vorgesetzt bekommt.
Heinemann: Aber gerade bei der Arbeitszeit war doch VW Vorreiter.
Koch-Mehrin: War, man dachte auch eine Zeit lang, dass das Modell, was VW sich ausgedacht hatte, zukunftsweisend war, aber die Korrekturen müssen ja erfolgen, weil es eben sich als gegenteilig erwiesen hat.
Heinmann: Frau Koch-Mehrin, der Einfluss des Landes Niedersachsen hat bisher verhindert, dass Wolfsburg von Heuschrecken heimgesucht wurde?
Koch-Mehrin: Also wenn man Porsche als Heuschrecke bezeichnen will, die ein Interesse haben, größere Anteile zu haben, ist es ja doch eine einigermaßen lustige Definition von Heuschrecke. Außerdem ist das nicht immer die Garantie, dass, weil ein Staat da ist, dass eine Heuschrecke abgewiesen wird. Und außerdem ist ja auch nicht in jedem Fall eine Heuschrecke negativ. Es hängt immer davon ab, was für eine Art von Investition da gemacht wird, und da gibt es natürlich Möglichkeiten, das auch zu beeinflussen von unternehmerischer Seite her.
Heinemann: BenQ und viele andere Beispiele belegen, dass zu oft nicht mehr der Markt dem Menschen dient, sondern dass der Wert eines Menschen an der Börse gehandelt wird. Was folgt für Sie daraus?
Koch-Mehrin: Also ich glaube, dass es ein Trugschluss ist zu sagen, wenn der Staat die Wirtschaft macht, dann geht es uns besser. Das haben wir gesehen, dass es im Kommunismus nicht der Fall war. Und auch jetzt haben wir das Problem, dass wir im Grunde zuviel staatliche Einflussnahme bei Unternehmen haben. Wir sind da in Europa an der Spitze, 20 Milliarden Euro pro Jahr werden an Subventionen an die Unternehmen gezahlt, und das wirkt sich nicht in dem Fall so aus, dass wir deswegen einen besseren Wirtschaftsstandort hätten oder besser florierende Unternehmen, sondern es hat nur damit zu tun, dass im Grunde Geld von Steuerzahlern umgeleitet wird in Unternehmen, die auch funktionieren und sogar besser funktionieren würden, wenn der Staat sich raushalten würde.
Heinemann: Kurz noch zu einem anderen Thema: Die Außenminister der Europäischen Union haben beschlossen, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei teilweise auszusetzen. Frau Koch-Mehrin, wie bewerten Sie diese Entscheidung?
Koch-Mehrin: Also ich glaube, das war ein Kompromiss, der in der jetzigen Lage vermutlich der bestmögliche war, den man erreichen konnte, dass man von diesen 35 Verhandlungskapiteln mit der Türkei 8 auf Eis legt, nämlich diejenigen, die die gemeinsame Handelszone mit Zypern betreffen, wo der Knackpunkt ist. Aber es bleibt natürlich das große Problem, dass die Türkei Mitglied der EU werden möchte, ohne dass sie alle Mitglieder anerkennt, nämlich sich weigert, Zypern als Staat anzuerkennen, und das ist natürlich eine einigermaßen absurde Situation, Mitglied werden zu wollen einer Union, ohne alle Mitglieder dieser Union anzuerkennen.
Heinemann: Ist die gestrige Entscheidung der Anfang vom Ende einer Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union?
Koch-Mehrin: Ich glaube, die gestrige Entscheidung war der Versuch, weiterhin im Gespräch zu bleiben, weiter verhandeln zu können und die Themen, die große Reibereien verursachen, aufzuschieben, bis eben nach den Wahlen im Frankreich, die im kommenden Jahr anstehen, aber auch nach den Wahlen in der Türkei, die ebenfalls im kommenden Jahr stattfinden, wo im Vorfeld beider Wahlen eben die Regierungen ihre Muskeln spielen lassen und sagen, wir lassen uns hier nicht vom Verhandlungspartner über den Tisch ziehen. Insofern glaube ich, ist es etwas auf Zeit Spielen, um nach eben diese innenpolitisch zentralen Daten wieder richtig verhandeln zu können.
Heinemann: Frau Koch-Mehrin, wenn ein Land, dessen geografische und kulturelle Zugehörigkeit zu Europa und zur europäischen Wertegemeinschaft von vielen Bürgerinnen und Bürgern der EU in Frage gestellt wird, schon bei den Beitrittsverhandlungen größte Widerstände leistet, hat das Ganze dann noch einen Sinn?
Koch-Mehrin: Also, es ist sicherlich ein ganz, ganz langfristiger Prozess. Und ich glaube, es ist wichtig, dass man miteinander sehr intensiv im Gespräch ist und verhandelt. Was aber in 15 Jahren ist, ob es zu einem Beitritt kommt oder ob man auf beiden Seiten sagt, wir wollen eng zusammenarbeiten, aber keine gemeinsame Union bilden, das, glaube ich, sollte man jetzt nicht entscheiden müssen. Man kann das auch nicht entscheiden, weil die EU heute nicht für die Aufnahme der Türkei in der Lage wäre und auch die Türkei nicht in der Situation ist, ein Mitglied der Union werden zu können, weil einfach da viel zu viel noch an Reformen gemacht werden muss.
Heinemann: Silvana Koch-Mehrin, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Europaparlament. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Koch-Mehrin: Danke Ihnen.
Silvan Koch-Mehrin: Guten Morgen, Herr Heinemann!
Heinemann: Frau Koch-Mehrin, wie halten Sie es, VW-Gesetz, ja oder nein?
Koch-Mehrin: Ganz klar nein. Nach der Logik müsste man ja sagen, dass immer dann, wenn es einem Unternehmen gut gehen soll, müsste der Staat sich vorher beteiligen. Und ich halte es für sehr richtig, dass die EU hier vorgeht und dass es jetzt irgendwann zu einem Urteil auch kommen wird am EuGH.
Heinemann:! Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff sagt, bisher ist VW gut damit gefahren. Inwiefern hat sich das VW-Gesetz denn nicht bewährt?
Koch-Mehrin: Nun, ich meine, die Vorgeschichte dieses Gesetzes hat ja ganz stark mit der deutschen Geschichte zu tun. Es war kurz nach dem Krieg natürlich eine ganz andere Situation. Und heute ist es so, dass eben dadurch, dass der Staat faktisch eine Sperrminorität hat, dass eben der Staat ganz klar Entscheidungen beeinflussen kann, ein Unternehmen nicht immer so die betriebswirtschaftlich nötigen Entscheidungen treffen kann, sondern politisch beeinflusst wird. Und das ist immer ein Problem, wenn der Staat sich einmischt, weil er ganz andere Kriterien anlegt als ein Unternehmen, das eben schauen musst, dass es eben günstig und gut wirtschaftet.
Heinemann: Welche dringend erforderliche Maßnahme ist denn bei VW durch den Einfluss des Landes bisher nicht getroffen worden?
Koch-Mehrin: Nun, solange es eine SPD-Regierung war, war es nicht möglich - und SPD-Vertreter eben für den Staat im Aufsichtsrat saßen -, war es nicht möglich, zum Beispiel notwendige Veränderungen bei der Arbeitszeit oder eben auch bei der Beschäftigung vorzunehmen. Da gab es dann immer eine Blockade, und das war für VW schwierig, weil es dann im Vergleich zu anderen Unternehmen in der gleichen Branche sehr viel mehr Kosten mit sich rumschleppen musste und dadurch weniger wettbewerbsfähig war. Das hat sich jetzt mit einer anderen Regierung etwas gebessert, aber natürlich bleibt es trotzdem so, dass Unternehmensentscheidungen, die dafür sorgen sollen, dass das Unternehmen auch mittel- und langfristig gut wirtschaftet, blockiert werden, wenn man eben politische Entscheidungen, wie zum Beispiel vor einer Wahl sollen keine Einschnitte bei der Beschäftigung gemacht werden, da vorgesetzt bekommt.
Heinemann: Aber gerade bei der Arbeitszeit war doch VW Vorreiter.
Koch-Mehrin: War, man dachte auch eine Zeit lang, dass das Modell, was VW sich ausgedacht hatte, zukunftsweisend war, aber die Korrekturen müssen ja erfolgen, weil es eben sich als gegenteilig erwiesen hat.
Heinmann: Frau Koch-Mehrin, der Einfluss des Landes Niedersachsen hat bisher verhindert, dass Wolfsburg von Heuschrecken heimgesucht wurde?
Koch-Mehrin: Also wenn man Porsche als Heuschrecke bezeichnen will, die ein Interesse haben, größere Anteile zu haben, ist es ja doch eine einigermaßen lustige Definition von Heuschrecke. Außerdem ist das nicht immer die Garantie, dass, weil ein Staat da ist, dass eine Heuschrecke abgewiesen wird. Und außerdem ist ja auch nicht in jedem Fall eine Heuschrecke negativ. Es hängt immer davon ab, was für eine Art von Investition da gemacht wird, und da gibt es natürlich Möglichkeiten, das auch zu beeinflussen von unternehmerischer Seite her.
Heinemann: BenQ und viele andere Beispiele belegen, dass zu oft nicht mehr der Markt dem Menschen dient, sondern dass der Wert eines Menschen an der Börse gehandelt wird. Was folgt für Sie daraus?
Koch-Mehrin: Also ich glaube, dass es ein Trugschluss ist zu sagen, wenn der Staat die Wirtschaft macht, dann geht es uns besser. Das haben wir gesehen, dass es im Kommunismus nicht der Fall war. Und auch jetzt haben wir das Problem, dass wir im Grunde zuviel staatliche Einflussnahme bei Unternehmen haben. Wir sind da in Europa an der Spitze, 20 Milliarden Euro pro Jahr werden an Subventionen an die Unternehmen gezahlt, und das wirkt sich nicht in dem Fall so aus, dass wir deswegen einen besseren Wirtschaftsstandort hätten oder besser florierende Unternehmen, sondern es hat nur damit zu tun, dass im Grunde Geld von Steuerzahlern umgeleitet wird in Unternehmen, die auch funktionieren und sogar besser funktionieren würden, wenn der Staat sich raushalten würde.
Heinemann: Kurz noch zu einem anderen Thema: Die Außenminister der Europäischen Union haben beschlossen, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei teilweise auszusetzen. Frau Koch-Mehrin, wie bewerten Sie diese Entscheidung?
Koch-Mehrin: Also ich glaube, das war ein Kompromiss, der in der jetzigen Lage vermutlich der bestmögliche war, den man erreichen konnte, dass man von diesen 35 Verhandlungskapiteln mit der Türkei 8 auf Eis legt, nämlich diejenigen, die die gemeinsame Handelszone mit Zypern betreffen, wo der Knackpunkt ist. Aber es bleibt natürlich das große Problem, dass die Türkei Mitglied der EU werden möchte, ohne dass sie alle Mitglieder anerkennt, nämlich sich weigert, Zypern als Staat anzuerkennen, und das ist natürlich eine einigermaßen absurde Situation, Mitglied werden zu wollen einer Union, ohne alle Mitglieder dieser Union anzuerkennen.
Heinemann: Ist die gestrige Entscheidung der Anfang vom Ende einer Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union?
Koch-Mehrin: Ich glaube, die gestrige Entscheidung war der Versuch, weiterhin im Gespräch zu bleiben, weiter verhandeln zu können und die Themen, die große Reibereien verursachen, aufzuschieben, bis eben nach den Wahlen im Frankreich, die im kommenden Jahr anstehen, aber auch nach den Wahlen in der Türkei, die ebenfalls im kommenden Jahr stattfinden, wo im Vorfeld beider Wahlen eben die Regierungen ihre Muskeln spielen lassen und sagen, wir lassen uns hier nicht vom Verhandlungspartner über den Tisch ziehen. Insofern glaube ich, ist es etwas auf Zeit Spielen, um nach eben diese innenpolitisch zentralen Daten wieder richtig verhandeln zu können.
Heinemann: Frau Koch-Mehrin, wenn ein Land, dessen geografische und kulturelle Zugehörigkeit zu Europa und zur europäischen Wertegemeinschaft von vielen Bürgerinnen und Bürgern der EU in Frage gestellt wird, schon bei den Beitrittsverhandlungen größte Widerstände leistet, hat das Ganze dann noch einen Sinn?
Koch-Mehrin: Also, es ist sicherlich ein ganz, ganz langfristiger Prozess. Und ich glaube, es ist wichtig, dass man miteinander sehr intensiv im Gespräch ist und verhandelt. Was aber in 15 Jahren ist, ob es zu einem Beitritt kommt oder ob man auf beiden Seiten sagt, wir wollen eng zusammenarbeiten, aber keine gemeinsame Union bilden, das, glaube ich, sollte man jetzt nicht entscheiden müssen. Man kann das auch nicht entscheiden, weil die EU heute nicht für die Aufnahme der Türkei in der Lage wäre und auch die Türkei nicht in der Situation ist, ein Mitglied der Union werden zu können, weil einfach da viel zu viel noch an Reformen gemacht werden muss.
Heinemann: Silvana Koch-Mehrin, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Europaparlament. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Koch-Mehrin: Danke Ihnen.