Engels: Haben Sie schon gewonnen?
Koch: Das halte ich für eine Fehleinschätzung. Bei Otto Schily sind Kämpfe immer etwas hartnäckig. Ich glaube auch, dass wir heute eher über personelle Fragen etwas hören werden als schon über die Frage des Standorts. Die Entscheidung des Personellen ist auch die Angelegenheit von Otto Schily. Da werde ich ihm auch nicht reinreden wollen. Bei der Standortfrage bleiben wir sehr hart. Wir sind ja jetzt auf dem Weg, den Bundesrat damit zu befassen. Es wird gemeinsame Initiativen quer über die normalen politischen Fronten dabei geben, weil es um eine Grundsatzfrage geht: Beginnt der Bund langsam Stück für Stück seine leitenden zentralen Behörden nach Berlin zu konzentrieren, oder bleiben wir auch in diesem Teil ein föderales Land.
Engels: Sie argumentieren gegen drohenden Zentralismus. Geht es bei Ihnen nicht auch ganz prosaisch um den Schutz von Arbeitsplätzen?
Koch: Ja gut, auch im Rhein-Main-Gebiet geht es am Ende darum, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu halten und die Arbeitsplätze zu halten, wobei ich denke, dass keine Institution bei uns im Lande Hessen, in anderen Bundesländern oder auf Bundesebene allein mit diesem Argument wird gehalten werden können. Wir sind nicht allein Arbeitsplatzagenten, sondern wir haben die Fragestellung zu beantworten, was fachlich notwendig ist. Da muss erklärt werden und kann bis heute nicht erklärt werden, warum eine Behörde, die internationale Kontakte in einer Zahl hat, wie es kaum eine andere deutsche Behörde hat, warum diese ganzen Mitarbeiter internationaler Polizeibehörden und die deutschen Mitarbeiter immer erst nach Frankfurt fliegen sollen aus Berlin heraus, um dort in die Welt zu fliegen und wieder umgekehrt. Diese Behörde gehört in die Nähe des internationalen Knotenpunktes Frankfurt.
Das zweite Argument ist das: Wir haben in der Tat einen anderen Staatsaufbau und haben uns bei dem Bonn-Berlin-Gesetz, bei dem Umzug sehr sorgfältig um Fairness bemüht und auch über die Standorte von Behörden gesprochen. So haben die Hessen gesagt: okay, der Bundesrechnungshof, dort werden wir nicht streiten, wenn der nicht mehr in Frankfurt ist, sondern in Bonn im Ausgleich der Maßnahmen. Wenn ein oberstes Bundesgericht wie das Bundesarbeitsgericht nach Erfurt geht aus Kassel heraus und nur das Bundessozialgericht dort bleibt, dann vertreten wir das im Sinne der nationalen Solidarität und gleichmäßigen Verteilung mit. Dazu gehört aber auch das Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Und wer jetzt Pullach, den Bundesnachrichtendienst in München abräumt, das Bundeskriminalamt in Wiesbaden, später in dieser Logik fast zwingend das Bundesamt für Verfassungsschutz mit seinen Tausenden von Mitarbeitern in Köln, der legt eben die Axt an einen Konsens, bei dem am Ende in der Tat alles in der Hauptstadt landet. Betriebswirtschaftlich ist alles in der Hauptstadt am besten, aber das ist nicht mehr die Bundesrepublik Deutschland. Deshalb ist das ein wichtiger Streit.
Engels: Die Synergieeffekte, die es auch gibt, haben Sie angesprochen. Das kann nicht alles sein, sagen Sie. Wie steht es denn um einen Teilumzug? Wenn wir nach Meckenheim blicken, dann sitzt dort ja gerade die Sektion Staatsschutz, die seinerzeit dort hingezogen ist, um in der Nähe der Politiker zu sein, die sie damals schützen mussten, nämlich in Bonn. Müssten die nicht konsequenterweise nun nach Berlin?
Koch: Ich denke, dass Herr Steinbrück und ich in unserer Betroffenheit der Standorte immer gesagt haben, wir wissen, dass es eine nennenswerte Dienststelle des Bundeskriminalamts in der Bundeshauptstadt geben muss. Dann muss man darauf hinweisen: zur Zeit sind dort etwa 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon fest in der Außenstelle des Bundeskriminalamts. Niemand wird mit Herrn Schily darüber diskutieren, ob er die Zahl dieser Beamten etwas aufstockt, anders strukturiert, um seine Interessen und seine Vorgaben der Sicherheitspolitik zu organisieren. Allerdings die Tatsache, wie die Behörden verteilt sind, dabei bleibe ich. Das ist nicht einfach die Entscheidung, wo der Bundesinnenminister alleine durch die Landschaft stiefeln kann. Das gilt für Wiesbaden und den Sitz des BKA. Das gilt im Prinzip auch für Meckenheim.
Engels: Sie haben Gegenwehr im Bundesrat angekündigt. Kann der Bundesrat es letztendlich verhindern?
Koch: In dieser Einzelfrage ist der Bundesrat auf einem sehr schwierigen Weg, jedenfalls gegenüber dem Bundeshaushalt diese Diskussion zu führen. Aber die Bundesregierung schwebt ja nicht ganz im luftleeren Raum. Sie kommt jeden Tag mit Vorstellungen und Wünschen, die die Kooperation der Länder erfordern. Wir sind kein Staatenbund in dem Sinne, dass wir uns gegenseitig jeweils den Krieg androhen, sondern wir sind eine auf Zusammenarbeit angewiesene Institution, in der es auch das Gebot der Rücksichtnahme gibt. Das, was Otto Schily hier verletzt hat, ist dieses Gebot, nicht auf ein einzelnes Land, sondern auf eine Absprache, die wir am Anfang der 90er Jahre getroffen haben, für die im Bundeskabinett bei den Hessen Hans Eichel ein guter Zeuge ist, denn er hat sie ausgehandelt, in der eben auch der Bestand von Bundesbehörden in der gesamten Bundesrepublik Deutschland garantiert worden ist. Wenn das nicht garantiert worden wäre, wäre das Bonn-Berlin-Gesetz so nicht zu Stande gekommen. Das zeigt schon: Es gibt eben immer Gesetze, bei denen man am Ende die Zustimmung des Bundesrates braucht. Deshalb ist das ein Geben und Nehmen, und ich hoffe, dass Otto Schily akzeptiert, dass er möglicherweise im Gegensatz zu der Art, wie er sein eigenes Ministerium führt, in der Bundesrepublik Deutschland dort nicht nur seine Meinung, sondern auch ein Interessenausgleich gefragt ist. Der wird jetzt etwas kraftvoll und mühsam herbeigeführt, aber ich sehe durchaus eine Chance dafür.
Engels: Kommen wir auf Personalfragen zu sprechen. Der Chef vom BKA, Ulrich Kersten, wird offenbar nicht mehr zu halten sein. Rechnen Sie heute mit seiner Ablösung?
Koch: Ich weiß nicht mehr als in den Zeitungen steht. Ich weiß nur eins: Der Bundesinnenminister ist am Ende in der Frage Standort und Personal verpflichtet, so schnell wie möglich die volle, auch mentale Einsatzbereitschaft des Bundeskriminalamts wieder herzustellen. Wir haben jetzt doch praktisch vier Wochen eine Diskussion, die - das sehe ich - am Standort Wiesbaden unglaublich viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lähmt, auch unglaublich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter getroffen hat in der Art, wie mit ihnen umgegangen worden ist, zum Beispiel wem in den letzten anderthalb Jahren Wohnungen verkauft worden sind mit der Auflage, sie einige Jahre nicht weiter verkaufen oder vermieten zu dürfen, wo jetzt Hals über Kopf gesagt wird, dein neuer Arbeitsplatz ist Berlin. Dann kann man sich ein bisschen vorstellen, wie diese Stimmung ist.
Er muss alles tun, um die Einsatzfähigkeit des Bundeskriminalamts, auch das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schnellstmöglich wieder herzustellen. Dafür ist er Innenminister, die richtigen Schritte zu tun. Wenn er glaubt, das habe etwas mit Personal zu tun, dann muss er die Entscheidungen treffen. Aber ich sage ganz klar: die Lage wird sich durch die neue Berufung eines Chefs des BKA nicht entspannen, solange er die Frage der Zukunft der Institution Bundeskriminalamt und des Standorts nicht löst.
Engels: Mancher Beobachter sieht Kersten als mögliches Bauernopfer, da ja eigentlich Otto Schily die Umzugspläne vorangetrieben habe. Sehen Sie das auch so?
Koch: Ich habe nicht die Absicht, mich in diese Diskussion einzumischen. Wer, der Präsident oder der Minister, die erste Idee gehabt hat, wer sie wem hintertragen hat, wer nicht eingeschätzt hat, dass man so mit Mitarbeitern wahrscheinlich bei den wenigen Sachgründen, die es gibt, nicht umgehen kann, das sind Fragen, die Herr Schily und Herr Kersten miteinander besprechen müssen. Otto Schily hat am Ende das Recht, einen BKA-Präsidenten seines Vertrauens zu berufen, und er hat die Pflicht, für wieder ordnungsgemäße Entscheidungsstrukturen mit Vertrauensbasis im BKA zu sorgen. Er muss nur wissen, bei allem was er personell entscheiden kann: Er löst das Problem nicht, solange er nicht auch wieder Ruhe in die Standortfrage bringt.
Engels: Muss Otto Schily selbst am Ende dann Verantwortung übernehmen bis hin zu einem möglichen Rücktritt?
Koch: Ich bin unter dem Gesichtspunkt des Staatenbundes und derlei nicht ständig dabei, die größten Kanonen aufzufahren. Otto Schily wird seine Entscheidung Rücktritt oder nicht sicher nicht davon abhängig machen müssen. Nur er muss wissen, dass er an dieser Stelle über einen Punkt hinweggegangen ist, dass die Führungsmethode "ich entscheide das und alle anderen haben zu folgen", die man im eigenen Ministerium durchaus anwenden kann und die lange Tradition in der Geschichte hat, im Verhältnis des Bundes zu den Bundesländern so nicht funktioniert.
Engels: Roland Koch, hessischer Ministerpräsident (CDU). - Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch!