Birke: Es führt uns aber doch dann zu der generellen ethischen Frage, unter welchen Umständen es auch denkbar wäre, dass ein von den Kirchen sanktionierter Krieg, eine von den Kirchen sanktionierte Gewaltanwendung stattfinden könnte. Es wird ja immer wieder das Beispiel auch angeführt, man habe Auschwitz mit Soldaten befreit.
Kock: Auschwitz und die Nazis sind ja doch eigentlich ein anderes Kaliber, und ich halte es nicht für besonders sinnvoll, Dinge aus der Geschichte herauszuholen und sie mit heute zu parallelisieren. Hitler hat schließlich einen Krieg angefangen, er ist einmarschiert nach Polen und nach Russland und so weiter. Das ist in diesem Fall nicht gewesen. Das heißt also: Wenn man denn überhaupt einen Krieg rechtfertigen kann – und ich bin ja selber kein Pazifist –, dann doch nur unter der Voraussetzung, dass wirklich ein Angriff stattfindet, dass ein Angriff unmittelbar bevorsteht. All dies ist ja hier nicht gewesen, und insofern sind die ethischen Rechtfertigungen für diesen Krieg, auch wenn man jetzt da ein paar jubelnde Leute zeigt, eigentlich nicht überzeugend.
Birke: Stört es Sie, den evangelischen Theologen, dass ein Präsident wie George W. Bush auch immer wieder auf religiöse Umschreibungen für die Motive seines Feldzuges zurückgreift?
Kock: Es stört mich sehr, weil dieses die Benutzung und der Gebrauch religiöser Bilder und Zielvorstellungen für ein politisches Ziel darstellt. Und ich glaube, dass eine Politik sich rationaler Argumente bedienen muss, dass der Grundsatz, dass ein Krieg selbst wider das Gebot ist, weil ja immer Unschuldige auch mit einbezogen werden, dann eben von den Menschen, die Verantwortung haben, verlangt, dass sie wirklich abwägen und dass sie wissen, was setze ich ein, was will ich erreichen und was wird erreicht und was richte ich an und steht das in einem Verhältnis zu dem, was an Schäden an denen ausgerichtet wird, die in diesem Krieg im Grunde nur die Opfer sind?
Birke: Nun versuche ich mich noch einmal in die Rolle der Kriegsbefürworter hineinzudenken und argumentiere zum Beispiel auch mit Zahlen der Gesellschaft für bedrohte Völker, die festgestellt haben will, dass in den Jahrzehnten der Saddam-Hussein-Diktatur bis zu eine Million Iraker ums Leben gekommen sind durch diese Terrorherrschaft dieses Menschen. Ist es da nicht zu rechtfertigen, jetzt auch ein paar Tausend Opfer in Kauf zu nehmen, um das Volk von diesem Diktator zu befreien?
Kock: Also, ich finde es beschwerlich, dass eben jetzt eine solche Überlegung benutzt wird. Die Gesellschaft für bedrohte Völker und andere humanitäre Institutionen haben immer hingewiesen auf diese grausamen Aktivitäten, auch zu einer Zeit, als Saddam noch ein Werkzeug der Amerikaner gewesen ist. Wir erleben gerade und haben die Nachrichten bekommen, dass im Kongo drei Millionen Menschen umgebracht worden sind in den letzten Jahren. Niemand ist von Amerika oder von anderen Politikern auf die Idee gekommen, da müsste man jetzt sozusagen mit militärischer Gewalt einschreiten, um diese Welt zu bewahren. Die eigentlichen Herausforderungen dieser Leiden sind doch die, dass wir eigentlich eine neue Politik brauchen, eine Politik, in der nicht die Nützlichkeit für die Ökonomie oder die Nützlichkeit für den eigenen Einfluss im Vordergrund stehen, sondern in der die Menschenrechte selbst gewahrt werden. Und ich habe gerade gelesen, dass an 30 Stellen in der Welt im Moment Krieg herrscht. Und das sind Kriege, an denen die Menschen verdienen, an denen Waffenproduzenten verdienen, weil Menschen aus den sogenannten reichen Ländern Waffen hinliefern. Und wir haben ja auch interessanterweise bei Saddam eben die Spuren dieser Handelsmissionen gefunden. Das ist das Dilemma. Also diejenigen, die jetzt sagen, das muss jetzt alles sein, damit die Menschenrechte gewahrt bleiben, die sind für mich deshalb nicht überzeugend, weil sie an vielen Stellen in dieser Welt nicht nach Menschenrechten fragen.
Birke: Nun haben auch einige Politiker dies gesagt, die ein ‚C’ im Namen ihrer Partei haben – ein ‚C’, das für ‚Christlich’ steht. Sollte die Union auf das C verzichten, wenn sie sich mit solchen Äußerungen an die Öffentlichkeit wendet?
Kock: Ach nein, ich möchte auch nicht hier die Politik in dieser Form zensieren. Meine Position selbst, die aus einer christlichen Grundlage her sich definiert und sagt, ‚Krieg – also wenn, dann nur im äußersten Notfall’, unterscheidet sich im Prinzip ja nicht von denen der ‚C’-Parteien in unserem Land. Wir kommen nur im Blick auf das Ergebnis nicht zueinander. Wir erleben, dass Menschen das eben anders einschätzen, das muss ich zunächst einmal respektieren und erwarte, dass das in einen öffentlichen Diskurs gestellt wird.
Birke: Herr Kock, befürchten Sie jetzt, dass es zu weiteren solcher Präventivschläge, -kriege kommen könnte?
Kock: Also, wenn ich übertrage von der eigenen Disposition zum Bösen, dann kann ich sagen: Das, was man schon mal gemacht hat, macht man möglicherweise leicht noch mal wieder, vor allem dann, wenn es – äußerlich jedenfalls – einen Erfolg gegeben hat.
Birke: Droht dann nicht das, was eben Schriftsteller wie Huntington als den ‚clash of civilisations’ – als das große Aufeinanderprallen der Kulturen des Islam und des christlichen Glaubens – bezeichnet haben?
Kock: Die Befürchtungen sind nicht unberechtigt. Ich selber habe im Vorfeld dieses Krieges als einen wichtigen Grund, gegen diesen Krieg zu sein, gesagt, dass er die islamische Welt destabilisiert, sie aufbringt gegen den Westen, nicht in Begeisterung versetzt. Und das ist auch so jetzt, und ich bin mir gar nicht so sicher, ob der Ruf nach Demokratie in dem Sinne, dass das Volk in den islamischen Ländern selbst jetzt sozusagen das Heft in die Hand nehmen soll, wirklich gut ist. Da gibt es ja heute in vielen Staaten, mit denen wir gut zusammenarbeiten, Systeme, die kann man nicht demokratisch nennen. Und wenn man da nach den Mehrheiten fragt, dann würde eher vielleicht ein islamistischer Radikalismus an diese Stellen treten. Und ob das eigentlich so gut ist, weiß ich nicht. Das heißt also, man muss alles tun, damit nicht die Vermutung und der Eindruck in den islamischen Ländern entsteht, Westen und Christentum – das ist alles dasselbe und das ist etwas, was sich gegen die Religion richtet. Und diese Nachweise sind jetzt komplizierter geworden, finde ich. Es sei denn, dass man darauf hinweisen kann, dass die meisten Kirchen, vom Papst angefangen, sich gegen diesen Krieg ausgesprochen haben, und besonnene Muslime haben das natürlich auch zur Kenntnis genommen.
Birke: Gegen den Krieg sich auszusprechen ist sicher das eine. Das andere ist aber konkret handeln. Was tut die Evangelische Kirche Deutschlands, um die Kluft zwischen diesen Kulturen – zwischen Islam und Christentum – zu überbrücken?
Kock: Es gibt natürlich jetzt ganz pragmatische Notwendigkeit. Wir beteiligen uns selbstverständlich an den humanitären Hilfen, die jetzt wieder möglich sind in dem Land. Wir haben ja die Kontakte auch zu den Gruppierungen, zu den Kirchen, zu den Institutionen im Irak selbst, und unsere Katastrophenhilfsorganisationen sind an dieser Stelle erprobt und machen was und werden sich auch weiterhin daran beteiligen. Das ist schwierig in der Bevölkerung manchmal jetzt durchzusetzen, weil viele Menschen sagen: Ja, die einen machen es kaputt und die anderen müssen jetzt helfen. Ich selber halte dieses für eine falsche Argumentation. Es geht immer um die Menschen in Not, und deshalb werden wir uns auch daranmachen und dort weiter mithelfen. Das Zweite - nicht so pragmatisch - ist mehr grundsätzlich: Wir müssen das Gespräch mit dem Islam fortsetzen. Wir müssen den Diskurs führen, damit nicht religiöse Floskeln benutzt werden, um wieder Gewalt anzuwenden. Das wird uns nicht leichter gemacht. Wir haben in der Vergangenheit angesichts des Terrors vom 11. September 2001 den Muslimen immer wieder gesagt: Ihr müsst eure Religion nicht missbrauchen lassen. Und nun werden wir natürlich damit konfrontiert, dass sich auch der amerikanische Präsident auf religiöse Formeln bezieht, wenn er den Krieg rechtfertigt. Und das ist nicht so ganz einfach. Aber ich glaube, es ist deutlich, dass man auch in der christlichen Geschichte einen Weg gegangen ist, der von einer solchen Gewalt mit religiöser Verbrämung gekommen ist in eine sehr kritische Betrachtung jeder kriegerischen Maßnahme. Und insofern hoffe ich, dass das Gespräch nicht unmöglich ist.
Birke: Präses Kock, Sie haben ja eben die Hilfsbereitschaft angesprochen, die Sie als etwas zögerlich bei den Deutschen auch eingestuft haben. Zögerlich, weil da auch viele denken, das Verursacherprinzip sollte gelten, nämlich derjenige, der den Schaden durch den Krieg verursacht hat, sollte ihn auch irgendwie bezahlen. Also Sie sind gegen diese strikte Anwendung des Verursacherprinzips, oder haben Sie Verständnis dafür, dass die Menschen sich jetzt mit Spenden zurückhalten?
Kock: Also, ich verstehe es mit meinem Kopf, aber ich weiß, dass das Herz anders sprechen muss, wenn es um leidende Menschen geht. Und dann kann ich nicht fragen, ob das so ist. Gucken Sie: Ein Mensch, der von einem Auto angefahren ist, weil einer betrunken ans Steuer gegangen ist und dieser Betrunkene selbst ist mit verletzt, den kann ich ja jetzt nicht liegenlassen, sondern ich muss ihm auch helfen, obwohl er schuldig geworden ist. Und hier geht es ja auch in vielen Fällen eben um die Bevölkerung, die selber an dem Krieg unbeteiligt gewesen ist, außer dass sie daran leidet. Und da muss man helfen. Ich glaube nicht, dass man sich da dispensieren darf.
Birke: Liegt das Zaudern der Deutschen vielleicht aber auch an der ökonomischen Situation? Wir haben ja eine durch die hohe Arbeitslosigkeit mit verursachte soziale Situation, wo viele Menschen auch den Cent mehrfach umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben können.
Kock: Also, es gibt in der Heiligen Schrift ja eine wunderschöne Geschichte von der Witwe, die zwei Pfennig in den Gotteskasten legt, also opfert, und alle, die darüber die Nase rümpfen, kriegen von Jesus gesagt: Sie hat von dem gegeben, was ihr wirklich ein Opfer war, weil sie das gegeben hat. Viele andere haben viel mehr. Und so ist das auch in unserem Land heute. Wir haben welche, bei denen es sehr schwer fällt, noch etwas abzuzwacken, und die dürfen nicht unter Druck gesetzt werden. Wenn, muss so was ja sowieso freiwillig sein. Und es gibt andere, die über sehr viel Geld verfügen. Es hat noch nie so viel Geld in unserem Land gegeben wie heute. Es ist etwas ungeschickt verteilt, will ich mal sagen, aber diejenigen, die über viel Geld verfügen, haben auch die Möglichkeit, dann Gutes damit zu tun.
Birke: Präses Kock, Sie haben die Verteilungsungerechtigkeit in der Bundesrepublik angesprochen. Das ist ja ein heißes Thema, ein heißes Eisen momentan, wo auch in der Sozialdemokratischen Partei heftigst gestritten wird, ob die geplanten Sozialreformen wirklich das Attribut ‚sozial ausgewogen’ verdienen. Sie haben sich ja energisch für den Reformschritt der rot-grünen Bundesregierung ausgesprochen, dafür auch viel Kritik in Reihen der Evangelischen Kirche geerntet. Bleiben Sie dabei, dass die Reform, so wie sie konzipiert ist, richtig ist?
Kock: Ich habe nicht gesagt, dass wie sie konzipiert ist richtig ist, aber wie sie intendiert ist, das habe ich bejaht. Ich glaube, dass wir nicht umhin können, dass wirklich an allen Stellen auch Einschränkungen gemacht werden müssen. Wir können unser soziales System nicht bewahren, wenn wir der Meinung sind, wir können ständig wachsende Lasten draufsatteln. Das schafft dieses System nicht. Und deshalb bin ich der Auffassung, dass man zunächst wirklich nüchtern prüfen muss, was liegt hier auf dem Tisch an Vorschlägen, sind sie geeignet, wirklich hier zu einer besseren Verteilung der Lasten zu kommen? Und das sehe ich zunächst mal als etwas Notwendiges an. Ich habe mich darüber geärgert, dass, ehe schon der erste Satz richtig gedruckt war, das Schreien anging: ‚Wir sehen ja ein, dass man etwas tun muss und überall muss eingeschränkt werden, nur gerade an der Stelle nicht’. Und es gibt auch solche Stellen, die dann, wenn sie wirklich gemeint wären, wirklich unangenehm wären. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man einem 45jährigen Langzeitarbeitslosen in Halle sagt: Du kriegst jetzt nur noch die halbe Zeit dein Arbeitslosengeld, weil wir dir damit was Gutes tun wollen. Das glaubt der nicht, das stimmt auch nicht, denn er braucht ja Impulse dafür, dass Stellen da sind. Und die eigentliche Problematik muss ja damit verbunden gelöst werden. Und das erwarte ich jetzt eigentlich von der Politik der Bundesregierung, dass sie sichtbar macht, in welcher Form nun durch diese Maßnahmen auch wirklich etwas zustande gebracht wird. Ich habe so als eine der Regeln ja gesagt, es muss doch deutlich gemacht werden denen, die Arbeitslosengeld bekommen und denen das jetzt gekürzt wird, dass dies, was jetzt gekürzt wird, dafür verwendet wird, dass sie selbst gefördert werden in ihrem Bemühen um einen Arbeitsplatz. Und das heißt also, dass man, statt eine Arbeitslosigkeit zu finanzieren, die Beschaffung von Arbeit damit finanziert. Das muss plausibel gemacht werden, und darum gehöre ich zu denen, die sagen: Lass mal wirklich erst das jetzt auf den Tisch kommen. Und dann muss es im Einzelnen sicherlich noch diskutiert werden. Aber wir brauchen die Bewegung auf diesem Gebiet und nicht die Stagnation, die darin besteht, alles, was auf den Tisch kommt, wird erst mal zerredet und zermeckert. Es muss was geschehen.
Birke: Also wir brauchen Bewegung, sagen Sie, Präses Kock. Aber wir brauchen ja auch Ausgewogenheit. Ist es denn ausgewogen, wenn künftig das Krankengeld nur noch von den Arbeitnehmern finanziert wird?
Kock: Ja, das wäre ausgewogen, wenn alle Arbeitnehmer einbezogen würden. Also, jedenfalls ist ja im Moment die Situation, dass nur solche Leute zur Solidarleistung verpflichtet sind, die ein bestimmtes Einkommen nicht überschreiten. Und das halte ich für prinzipiell falsch. Ich denke, das muss man überprüfen. Da sagen die Leute: Naja, willst du denn jetzt die ganzen privaten Krankenkassen zerstören? Nein, das will ich gar nicht, sondern die können für all das Versicherungsleistungen anbieten, die man nicht für eine Grundsicherung aller gebraucht. Und da kann ich mir sehr viel vorstellen, und da kann auch eine Versicherung noch gut dran verdienen. Aber es so zu machen, dass die Leute mit relativ geringem Einkommen und die, die Arbeit haben, dann die Lasten für die Gesamtgesellschaft nahezu zu tragen haben, das vermag ich nicht einzusehen.
Birke: Wie steht es denn mit der Kürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld und der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe?
Kock: Also, die Frage des Zusammenlegens halte ich für eine eher technische Frage, da geht es ja immer um die Problematik: Welche Ebene muss das eigentlich dann bezahlen? Aber die andere Frage ist komplizierter - wie ist das mit der Kürzung von Arbeitslosengeld. Ich habe gesagt, wenn verhindert werden kann, dass durch die lange Dauer der Zahlung von Arbeitslosengeld Firmen ihre Stellen wegrationalisieren können, indem die Leute sozusagen vorher verlockt werden, ihre Arbeit aufzugeben, und dann vier Leute vier Jahre oder so, oder dreieinhalb Jahre in die Arbeitslosigkeit gehen, bevor sie dann ihre Rente kriegen, dann halte ich dieses im Prinzip für einen Missbrauch des Systems. Und ich habe gesagt, wenn an diesen Stellen durch eine Kürzung der Anreiz erschwert wird, die älteren Arbeitnehmer loszuwerden oder auf elegante Weise loszuwerden, dann halte ich dies jedenfalls für eine erwägenswerte Frage.
Birke: Dann müssten allerdings noch Zusatzmaßnahmen zu dem reinen Vorschlag der Kürzung des Bezugszeitraums dann kommen.
Kock: So sehe ich das. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein behinderter Mensch, der wirklich keine Chance und kein Arbeitsangebot kriegt – und vor allem gibt es ja auch Regionen, in denen das wahnsinnig kompliziert ist, den Menschen etwas zu bringen. Und Sie können eigentlich schwerlich einer Familie, die nun da ihr kleines Häuschen gebaut hat, irgendwo in Halle-Neustadt oder so, dazu bringen, dass sie jetzt nach Bayern zieht, um eine Arbeit zu kriegen. Vielleicht ist das noch von der Entfernung her einigermaßen hinzukriegen, aber weiter entfernte Regionen in Vorpommern oder an der sächsisch-polnischen Grenze, die sind meines Erachtens nicht in der Lage, in eine Mobilität hineinzukommen. Da muss eigentlich auch unser Wirtschaftssystem viel mobiler werden. Ich ärgere mich immer, wenn Leute, die wirtschaftlich Verantwortung tragen, sich darauf zurückziehen und sagen: Wir können eben nicht anders, wir müssen die Leute entlassen. Das ist oft auch fast unvermeidlich, aber ich erwarte eigentlich viel mehr Phantasie von ihnen, dann mit den gut ausgebildeten Leuten, die sie haben, etwas Vernünftiges zu machen, damit man für die Menschen Arbeit hat und damit sie vielleicht auch selber dann was daran verdienen. Also nicht kreativ sein in der Frage, wie rationalisiere ich die Sachen, sondern wie kann ich mit den Menschen und ihren Fähigkeiten und ihren Kompetenzen auf dem Markt bestehen? Das erwarte ich eigentlich von einem Qualitätsmanager.
Birke: Präses Kock, die Vorbereitungen für den großen Ökumenischen Kirchentag laufen auf Hochtouren, und just vor Ostern, am Gründonnerstag, hat der Papst in einer Enzyklika noch einmal klargestellt, dass das Teilen der Eucharistie für die Katholiken, beziehungsweise des Abendmahls dann eben für die evangelischen Christen, aus seiner Sicht nicht infrage kommt. Sehen Sie darin einen Affront an die Ökumenebestrebungen, an den Ökumenischen Kirchentag in Deutschland?
Kock: Ich glaube, wirklich enttäuscht kann man nur sein, wenn man vorher sehr viel erwartet hat. Ich bin Realist genug zu wissen, dass die katholische Position, so weit sie eben amtskirchlich und aus Rom her definiert wird, an dieser Stelle wenig Beweglichkeit zeigt. Ein bisschen enttäuscht bin ich schon insofern, als ja eigentlich wichtige seelsorgerische Fragen in diesem Papier gar nicht zur Sprache kommen: Wie geht es eigentlich mit Menschen, die verheiratet sind miteinander und wo beide unterschiedlichen Kirchen angehören, bedeutet die Tatsache, dass sie in einer nach katholischem Verständnis ja auch sakramentalen Weise miteinander verbunden sind, dass sie eben am Sakrament des Mahles nicht teilnehmen dürfen, bedeutet das eigentlich wirklich der Weisheit letzter Schluss? Also, an der Stelle bin ich schon enttäuscht. Es ist deutlich geworden und auch noch mal zur Sprache gebracht, dass die katholische Kirche aufgrund ihres Amtsverständnisses, aufgrund ihres Weiheverständnisses, tatsächlich sich nicht in der Lage sieht, das evangelische Abendmahl für gleichwertig oder für gültig zu erklären. Und das ist eben eine nüchterne Bilanz. Und was mich auch ein bisschen enttäuscht, ist, dass in dem Papier auch kein Weg gezeigt wird, außer dem, dass man sozusagen unter das päpstliche Amt zurückkehrt. Das ist leider so. Und ich denke, wir sollten uns nicht entmutigen lassen. Wir Evangelischen haben das Verständnis, dass unser Abendmahl nicht ungültig ist, sondern dass es gültig gefeiert wird nach den Worten der Heiligen Schrift und nach den Regeln, die dort sind. Und deshalb laden wir alle Getauften ein, auch an diesem Mahl teilzunehmen. Aber wir müssen eben in einer gewissen Asymmetrie hier leben. Die katholische Kirche will es in dieser Form nicht mit vollziehen.
Birke: Es gibt ja auch einige katholische Basisgruppen, die sich da nicht an die Enzyklika des Papstes halten wollen an dem Kirchentag in Berlin. Ist das, was Sie eben noch mal als Einladung an alle katholischen Christen formuliert haben, sozusagen dann auch als eine Art Appell zum Boykott dieser Enzyklika oder zum Unterlaufen dieser Enzyklika zu verstehen?
Kock: Ach, wo käme ich hin und wer wäre ich? Ich will nicht die Katholische Kirche auf eine subversive Weise irgendwo ins Wanken bringen. Das wäre ja absurd. Die Katholische Kirche muss ihre Regeln aufstellen, und die Menschen, die ihr angehören, müssen auch diesen Regeln entsprechend leben, sofern sie katholisch sein wollen. Und ich selber kann da nicht von mir aus jetzt zu einer Unbotmäßigkeit aufrufen. Die Leute müssen das tun, was sie selbst für richtig halten. Und das ist in der Tat das Problem, dass offenbar die Einschätzung, wie sich deutsche Katholiken an der Basis im Blick auf ihr Verhältnis zum Protestantismus definieren, in Rom nicht so gesehen wird wie bei den Basisgruppen hier in unserem Land.
Birke: Außer bei der Frage der Eucharistie beziehungsweise des Abendmahls – gibt es denn nennenswerte Fortschritte im Bereich der Ökumene zu verzeichnen?
Kock: Also, es kommt darauf an, welchen Zeitraum Sie als Bezugsgröße nehmen. Noch in den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat ja Pius XI es für völlig unmöglich gehalten, dass Katholiken überhaupt an evangelischen Veranstaltungen teilnehmen konnten. Und das ist doch eine Zeit, die längst vergangen ist. Und wir haben durch die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges mit der Una-Sankta-Bewegung, durch die ökumenische Bewegung, die weltweit sich entfaltet hat und schließlich eben auch durch das II. Vatikanische Konzil einen großen Entwicklungsschub gehabt, und es sind ökumenische Freundschaften entstanden. Und deshalb habe ich auch keine Sorge, dass eine solche Enzyklika hier nur Frost oder so was verbreitet - Frust ja, bei manchen, aber Frost nicht für die Ökumene.
Birke: Vielen Dank, Präses Kock, für dieses Gespräch.