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Köhler hat "mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet"

Der Chefredakteur des Deutschlandfunks, Stephan Detjen, hält die Gründe, die Horst Köhler für seinen Rücktritt angegeben hat, nicht für überzeugend. Der Bundespräsident sei am Ende den Herausforderungen seines Amtes offenkundig nicht mehr gewachsen gewesen.

Stephan Detjen im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Bei mir im Studio begrüße ich den Chefredakteur des Deutschlandfunks, Stephan Detjen. Herr Detjen, in der Geschichte der Bundesrepublik hat es einen Fall gegeben, in dem ein Bundespräsident um eine Verkürzung seiner Amtszeit bat, nämlich Heinrich Lübke, er trat allerdings erst nach der Wahl seines Nachfolgers zurück. Der Rücktritt eines Bundespräsidenten mit sofortiger Wirkung, das ist historisch einmalig. Eine Nacht später: Wie überzeugend finden Sie die Gründe, die Horst Köhler angegeben hat?

    Stephan Detjen: Herr Heckmann, überzeugend sind diese Gründe nicht. Das Amt ist ja nicht beschädigt worden. Es hat eine Diskussion gegeben über eine Äußerung des Bundespräsidenten, das ist etwas ganz Normales. Diese Äußerung war korrekturbedürftig, denn sie bezog sich offenkundig auf Afghanistan. Hätten wir über Somalia geredet, wäre eine ganz andere Diskussion entstanden. Und Horst Köhler, das hat er am Anfang dieses Interviews, aus dem wir gerade noch mal einen Ausschnitt gehört haben, ja gesagt, er wollte eine Diskussion anstoßen. Er wollte eine Diskussion anstoßen über die Ziele von Militäreinsätzen, über deutsche Interessen in der Welt. Hätte er gestern um 14 Uhr diese Äußerungen präzisiert, hätte er weiterführende Überlegungen dazu formuliert, würden wir heute darüber reden und nicht über den Abgang eines Bundespräsidenten, der ja zumindest am Ende den Herausforderungen dieses Amtes offenkundig nicht mehr gewachsen war.

    Heckmann: Aber die Frage ist ja da dennoch, und die bleibt: Wie ist dieser Schritt zu erklären? Ist es eine politische Kurzschlusshandlung gewesen, spielt auch möglicherweise ein Rachegedanke mit hinein wegen des mangelnden Rückhalts vonseiten der Politik, auch möglicherweise vonseiten der Kanzlerin?

    Detjen: Das glaube ich überhaupt nicht. Man muss ja noch mal sehen, was dieses Amt eigentlich ist. Es ist ein besonderes Amt, ein Amt, das nach dem Zweiten Weltkrieg, nach den Erfahrungen, die man in der Weimarer Republik mit dem Staatsoberhaupt gemacht hat, eigentlich entmachtet worden ist. Roman Herzog, der frühere Bundespräsident und Verfassungsrechtler, hat in einem bedeutenden wissenschaftlichen Kommentar zum Grundgesetz einmal geschrieben: Die Hauptaufgabe oder eine der Hauptaufgaben des Bundespräsidenten sei es, so Herzog, zu mahnen, warnen und zu ermuntern. Und wenn man Horst Köhler und seine Amtszeit anschaut, wenn man sich seine Reden noch einmal vor Augen führt, dann muss man doch sagen, das war ein Bundespräsident, der am Ende vor allem verstört, verunsichert und mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet hat.

    Heckmann: Ausgelöst wurde der Rücktritt von Horst Köhler letztlich durch das Interview, das er dem Deutschlandradio gegeben hatte, also Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur, das ja zunächst nicht viel Wirbel ausgelöst hat und später umso mehr. Also auch medial war das Ganze ein Phänomen.

    Detjen: Ja, natürlich, da lag eine gewisse Zeit dazwischen. Dieses Interview ist ausgestrahlt worden am Samstag vor einer Woche, also am vorletzten Samstag, es ist auch bei uns in den Nachrichten aufgegriffen worden. Dann lagen Pfingstfeiertage dazwischen, und dann nach Pfingsten hat uns erst mal der Rücktritt von Roland Koch beschäftigt. Aber uns ist das aufgefallen, diese Äußerung, auch Hörerreaktionen, die wir dazu bekommen haben. Und deshalb haben wir dieses Interview an dieser Stelle hier, in den "Informationen am Morgen" am vergangenen Donnerstag noch einmal aufgegriffen. Und das hat dann in der Tat eine mediale Eruption ausgelöst. Jetzt muss man gleichzeitig sehen, das war ja nicht die einzige korrekturbedürftige, fragwürdige Äußerung, die wir von Horst Köhler gerade in letzter Zeit gehört haben. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Rede, die wir hier im Deutschlandfunk problematisiert haben Mitte Mai, ohne dass sie von anderen Medien weiter aufgegriffen worden ist. Das war die Rede, die Horst Köhler am 14. Mai zum Amtswechsel am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gehalten hat. Da bezeichnete Köhler Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht – also Streitigkeiten, in denen unterlegene parlamentarische Minderheiten sich gegen Mehrheitsbeschlüsse wenden und eine Überprüfung in Karlsruhe verlangen -, da bezeichnete Horst Köhler solche Verfahren, diese Praxis, in Karlsruhe, vor dem Bundesverfassungsgericht als eine - so wörtlich - "Anomalie" der Demokratie. Das fand ich ein überaus fragwürdiges und kritikwürdiges Verständnis, das der Bundespräsident da vor einem Staatsorgan geäußert hat, das ja wie kein anderes zum Schutz von Minderheiten eingerichtet ist. Und auch da ist mir ganz persönlich noch mal deutlich geworden, dass das ein Bundespräsident ist, der Probleme mit seinen Reden hat und mit seinen Äußerungen.

    Heckmann: Horst Köhler wurde bei seiner Wahl als Vorzeichen sozusagen, als Wegbereiter auch für Schwarz-Gelb auf der Bundesebene gehandelt. Jetzt ist die Koalition aus Union und FDP in der Krise. Ist Köhlers Rücktritt damit auch der Anfang vom Ende von Schwarz-Gelb?

    Detjen: Das kann man heute noch nicht sagen, das kommt darauf an, was wir in den nächsten Tagen erleben. Es sind nach den Regeln des Grundgesetzes 30 Tage, die bis zur Wahl eines Staatsoberhauptes verbleiben, wahrscheinlich sind es – ab heute gezählt – noch 26 Tage, wenn wir uns darauf einstellen, dass die Wahl am Sonntag, dem 27. Juni stattfindet. Das werden Schicksalstage für diese Koalition sein, und da kann man sich ganz unterschiedliche Szenarien ausmalen – Szenarien, in denen eine ohnehin schwer belastete Koalition, eine Koalition, deren Führungsfiguren Angela Merkel und Guido Westerwelle innerparteilich unter Druck stehen, insbesondere was die FDP angeht, hat Guido Westerwelle ein Führungsproblem. Wir werden sehen, ob die jetzt auch, was die Haushaltspolitik angeht, zu einer kraftvollen Politik kommen. Wenn sie es allerdings schaffen, innerhalb dieser 26 Tage sich in den großen schweren Haushaltsfragen zu einigen und ein neues Staatsoberhaupt zu küren, dann kann das auch eine Chance für diese Regierung sein.

    Heckmann: Analysen und Einschätzungen von Stephan Detjen, Chefredakteur des Deutschlandfunks. Besten Dank dafür!

    Siehe auch: Fragwürdige Solidaritätsadresse -Der Bundespräsident in Karlsruhe

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