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"Kölle Alaaf" unterm Hakenkreuz

Der Rosenmontagsumzug als Propagandamittel: So nutzten die Nationalsozialisten den Karneval. Und viele Karnevalisten machten mit, jüdische Jecken wurden ausgegrenzt. Doch es gab auch Widerstand unter den Narren.

Von Dörte Hinrichs | 16.02.2012
    Wir tauchen ein in das Jahr 1936, Walter von Lennep singt vom "Heimweh nach Kölle", geschrieben von Willi Ostermann. Einer der ganz großen Bühnenkünstler im Kölner Karneval, dem auch ein Teil der Ausstellung "Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz" gewidmet ist. Kladden mit Biografien von berühmten Karnevalisten sind nachzulesen, aber auch Liedertexte und Büttenreden. Diese und viele andere Karnevalsdokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus haben Jahrzehnte lang das Licht der Öffentlichkeit gescheut.

    "Man hätte sie zutage fördern und ausstellen können, wenn das von den Archiven, also sprich durch die Karnevalsgesellschaften, die diese Dokumente hatten, gewollt gewesen wäre. Aber damals, bis in die 80er Jahre wurde durchweg verneint, dass es Dokumentationsmaterial gegeben hätte. Man hatte gesagt, dass das alles im Krieg verloren gegangen wäre und erst mit der Offenheit der Archive, der Karnevalsgesellschaften und dass sie sagen: Wir öffnen unsere Archive, erst dadurch ist es jetzt möglich gewesen, in diese Dokumente Einsicht zu nehmen."

    So Dr. Jürgen Müller, einer der beiden Kuratoren der Ausstellung. Erst mit dem Generationenwechsel wurde Ende der 90er Jahre eine intensivere Forschung möglich, sind verschiedene Studien zu Karnevalsvereinen und Rosenmontagszügen seit 1933 entstanden.
    Das Festkomitee Kölner Karneval und das Karnevalsmuseum sind heute Kooperationspartner dieser Ausstellung. Langsam ist das Interesse der Vereine und Gesellschaften gewachsen, diese Zeit intensiv aufzuarbeiten und den Kölner Karneval in der Zeit des Nationalsozialismus zu beleuchten:

    "Zunächst einmal gab es Bemühungen der Partei sämtliche Vereine gleichzuschalten, das heißt, 60 Prozent der Vorstandsmitglieder aller Vereine sollten in der NSDAP sein. Das war die Forderung der Partei. Thomas Liessem als Präsident der Prinzengarde hat allerdings in dieser Zeit Verhandlungen geführt mit dem Oberbürgermeister und hat darauf hingewiesen. Die Karnevalisten befinden sich schon immer auf nationalem Boden, deshalb ist eine systematische Gleichschaltung nicht notwendig. Und deshalb hat der Oberbürgermeister bestimmt: Nein, die Forderung der Partei muss nicht umgesetzt werden, eine Gleichschaltung ist nicht notwendig."

    So Marcus Leifeld über den vorauseilenden Gehorsam der Kölner Karnevalisten. Der Bonner Historiker hat gerade seine Dissertation zum Thema verfasst und viele Quellen ausgewertet: So sind zum Beispiel noch Vorstandsprotokolle überliefert von den "Roten Funken" oder auch Entwürfe von Motivwagen der Rosenmontagszüge im Kölner Stadtarchiv. Ausstellungsbesucher können nachgebaute Rosenmontagswagen aus Pappe besteigen und auf Schwarz-Weiß-Fotos einen Eindruck davon bekommen, wie der Rosenmontagswagen 1934 den Zeitgeist widerspiegelte:

    "Dieser erste antisemitische Wagen zeigt zwei ganz wichtige Aspekte: zum einen eine Veränderung vom Antisemitismus hinter den Kulissen hin zu einem öffentlichen und aggressiven Antisemitismus. Das ist das eine. Und der zweite Aspekt ist, dass dieser Wagen aus der Bevölkerung kam, er ist also nicht von oben verordnet worden, sondern ist erst in den Veedelzööch sonntags mitgezogen worden und dann an Rosenmontag. Die offiziellen Stellen wollten aus taktischen Gründen zunächst bis Mitte 1935 auf einen öffentlichen und offiziellen Antisemitismus verzichten, um ausländische Touristen nicht zu vergraulen. Und er zeigt die erzwungene Emigration von orthodoxen Juden und bejubelt diese Emigration."

    "Die letzten ziehen ab" heißt das Motto und zeigt den Weg, den emigrierte Juden von Köln nach Palästina nahmen: "Wir machen einen kleinen Ausflug nach Liechtenstein und Jaffa", steht auf einem Plakat geschrieben, das Karnevalisten in der Hand halten, die sich als Juden verkleidet haben mit Schläfenlocken und bodenlangen Mänteln. In den 20er Jahren waren viele orthodoxe Ostjuden aus Polen nach Köln gekommen, besonders ihnen galt der Argwohn in der Bevölkerung, der auch in Tondokumenten zum Ausdruck kommt.

    Aber es gab auch Gegenstimmen: Die Kölner Narrenzunft hat sich zum Beispiel 1938 geweigert, einen antisemitischen Motivwagen mit sich zu führen. Konsequenz war, dass der Vorstand der Narrenzunft zu Fuß durch den Rosenmontagszug ging. Allerdings hat sich dann sofort eine andere Narrengesellschaft zur Verfügung gestellt und diesen Wagen mit sich geführt. Lange Zeit gab es keine Berührungsängste zwischen jüdischen und nichtjüdischen Karnevalisten, es gab sogar einen jüdischen Karnevalsverein:

    "Den KKK Kleinen Kölner Klub, der sich 1922 gegründet hat. Und zwar ganz in Tradition der sonstigen Gesellschaften, das heißt jedes Mitglied hatte einen kölschen Spitznamen, de Plaat, de Stoppen, beispielsweise. Und ab 1926 hat man in jeder Session eine Veranstaltung durchgeführt, auf der die wichtigsten Karnevalisten aufgetreten sind, Karl Küpper beispielsweise, wohl der prominenteste Büttenredner, das Dreigestirn, die Roten Funken sind dort aufgetreten. Und wie bei jeder anderen Gesellschaft auch, haben die Künstler einen Verdienstorden, der hier zu sehen ist."

    Und auf den noch erhaltenen grün-weißen Karnevalsorden in Form eines Davidsterns von 1929 sind die Kuratoren der Ausstellung besonders stolz. Gründer des jüdischen Karnevalsvereins war Max Salomon, ein sehr musisch begabter Kölner Textilhändler. Auch seinen weiteren Werdegang und den seiner Mitstreiter hat man für die Ausstellung recherchiert: Viele sind deportiert worden und umgekommen, andere konnten rechtzeitig emigrieren.

    "Und obwohl sie verfolgt worden sind in Köln, haben sie die kölschen Traditionen in der erzwungenen Emigration weitergepflegt und gelebt. Man kann hier also sehen, dass Max Salomon als kölsche Markfrau in Los Angeles mit seiner Tochter in die Bütt gestiegen ist, und bis zu seinem Tod 1970 noch rheinische Abende veranstaltet hat. Genauso wie im übrigen Willi Salomon, der in Palästina beziehungsweise Israel in die Bütt gestiegen ist."

    Das Gefühl einer Karnevalssitzung beizuwohnen, bekommen die Besucher unter großen Fotowänden, wo Karnevalisten, zum Teil schon mit Hitlerbärtchen, den Büttenreden lauschen. Davor parallel angeordnet sind Tischreihen wie bei einer echten Saalveranstaltung. Auch wenn die Unterhaltung beim Kölner Karneval im Vordergrund stand, wurde doch zunehmend deutlich, wie er von den Nationalsozialisten instrumentalisiert wurde. Der Rosenmontagszug 1939 setzte klare Akzente:

    "Da war ein großes Bett auf einem Rosenmontagswagen zu sehen. Im Bett lag der deutsche Michel als Symbol für das Deutsche Reich mit kleinen Figuren: einen Bayern, einen Sachsen. Und dieser deutsche Michel sagte dann auf hochdeutsch zu den Figuren: 'Eh, rutscht doch mal ein bisschen rüber, ihr seht doch, ich habe hier keinen Platz mehr.' Übersetzt hieß das nach Ansicht der Nazis Lebensraum im Osten ist notwendig, weil man im Deutschen Reich keinen Platz mehr hat. Deutliches Signal, deutlicher Hinweis darauf, dass die Menschen auch mithilfe der Rosenmontagszüge auf die Notwendigkeit eines Krieges eingestellt werden sollten."