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Köln
Kampf gegen Armut und Ausgrenzung

Der Stadtteil Höhenberg-Vingst gilt als eines der ärmsten Viertel in Köln. 28 Prozent der Haushalte sind überschuldet. Dass das nach außen nicht unbedingt sichtbar ist, liegt am katholischen Pfarrer vor Ort und viel ehrenamtlichen Engagement. Sozialexperten kritisieren: Armut sei kein Naturgesetz, sondern politisch geduldet.

Von Vivien Leue |
    Die Innenstadt von Köln mit dem Dom fotografiert am 18.02.2013 in Köln (Nordrhein-Westfalen).
    Armut wird auch im Schatten des Doms ein immer größeres Thema. ( picture-alliance/ dpa / Oliver Berg)
    "Herr Grziwa?" - "Hi" - "Ach, da sind Sie ja, alles klar?"
    Der Kölner Pfarrer Franz Meurer schaut auf seinem Morgenrundgang bei den ehrenamtlichen Helfern seiner Kirche vorbei. Eine Metallwerkstatt, eine Fahrradreparatur, mehrere Kleiderkammern, eine Essensausgabe und viele vollgestopfte Räume mit Spenden beherbergt das moderne Kirchengebäude im Stadtteil Höhenberg-Vingst, einem der ärmsten Viertel in Köln. Gerade steht Pfarrer Meurer bei seinem Schreiner und spricht die neuesten Projekte ab.
    "Wir haben hier in unserem Viertel 17 Kindergärten, wir haben sieben Schulen und Herr Grziwa ist hier der Schreinermeister, der einfach zuarbeitet und pflegt."
    Dutzende Menschen engagieren sich hier in der katholischen Gemeinde: "Also wir haben zwar die meisten Überschuldungen in Köln, mehr als Chorweiler, 28 Prozent, also hier ist der ärmste Stadtteil von Köln, aber wir versuchen, alles schön zu machen."
    Jedes Jahr werden im Viertel zehntausende Blumen gepflanzt, im Herbst sorgt die Kirche dafür, dass das Laub von den Straßen verschwindet, Helfer hängen Hundetüten auf, machen verrottete Bänke wieder fit und zu Weihnachten sorgen Pfarrer Meurer und sein Team für eine stimmungsvolle Straßenbeleuchtung: "Hier ist eines von zwei Lagern mit Weihnachtssternen. Wir haben 130 Weihnachtssterne, die wir an Straßenlaternen hängen. Wo es arm ist, darf es nicht ärmlich sein, muss eben schön sein. Das heißt, wir müssen gucken, dass man versucht, stolz auf sein Viertel zu sein. Dann ist egal, wie viel Geld man verdient. Denn Armut hat ja erst mal gar nichts mit Geld zu tun, sondern Armut heißt Ausschluss, Exklusion, du gehörst nicht dazu."
    Paritätischer Wohlfahrtsverband: "Armut ist politisch geduldet"
    Als arm gilt in Deutschland, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Dass Armut in Deutschland aber häufig vor allem bedeutet, dass die Betroffenen vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind, darin waren sich auch die Teilnehmer einer Konferenz der Bundestagsfraktion der Linken einig. In der Kölner Südstadt haben sie aktuelle Probleme und Lösungsansätze diskutiert. Dabei kritisierte der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ullrich Schneider, dass sich Deutschland mittlerweile offenbar an Armut gewöhnt habe: "Über zwölf Millionen Menschen müssen in Deutschland als arm gezählt werden und das, obwohl Deutschland reicher und reicher wird, mittlerweile das viertreichste Land der Welt ist. Mit anderen Worten: Armut in Deutschland ist kein Naturgesetz, Armut in Deutschland ist politisch geduldet."
    Alleinerziehende, Kranke, Alte, Menschen mit Migrationshintergrund und Familien mit mehr als drei Kindern – in Deutschland gebe es zu viele soziale Gruppen, die von Armut betroffen oder zumindest bedroht sind. Allerdings bemängelte der Kölner Politik- und Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge, dass hierzulande häufig nur die absolute, existenzielle Armut als wirkliche Bedürftigkeit anerkannt werde. Wer Hartz IV erhalte, könne doch nicht arm sein – so die weitläufige Meinung. "Relative Armut, Armut in einem reichen Land, kann demütigender, demoralisierender, erniedrigender sein, als Armut in einem armen Land, weil man eben selbst verantwortlich gemacht wird bei uns für die Armut, weil man als Drückeberger, als Faulenzer, als Sozialschmarotzer hingestellt wird."
    Linken-Chef Gregor Gysi wies auf die wachsende Einkommensschere in Deutschland hin. Zwar müssten sich Engagement und Talent auch in höheren Löhnen widerspiegeln, aber er beobachte in Teilen der Wirtschaft eine Maßlosigkeit, die für die Gesellschaft nicht mehr gesund sei: "Ich meine, wir brauchen wirklich eine neue Schere. Wir müssen dafür sorgen, dass die Einkommen der Armen wirklich wachsen und dafür muss der Reichtum begrenzt werden, anders geht es nicht."
    "Soziale Gerechtigkeit" wird immer wichtiger
    Allerdings zeigte sich Gysi in Köln auch optimistisch. Das Thema "Soziale Gerechtigkeit" stoße immer mehr auf Interesse: "Du kannst über diese Fragen jetzt sprechen mit der Wirtschaft, mit den Kirchen, in den Gewerkschaften, im Bundestag, in den Medien. Und das ist für mich schon wieder so ein Hoffnungsschimmer. Wenn darüber wieder so diskutiert wird, dann erreicht man vielleicht hier und da eine notwendige Veränderung."
    Zurück zum Stadtteil Höhenberg-Vingst. Auch hier sind Veränderungen sichtbar – allerdings dürften sie auf das große Engagement von Pfarrer Meurer und seinem Helfer-Team zurückzuführen sein.
    "Wie lange machen wir das hier? 23 Jahre? Uns war klar, wenn wir das hier hochbringen wollen vom sozialen Brennpunkt wie es genannt wird, zu einem schönen kinderfreundlichen Viertel, müssen alle zusammen machen."
    Mittlerweile machen evangelische und muslimische Gemeinden mit, außerdem nicht-kirchliche Gruppen. Wichtig ist Meurer, dass alle mit anpacken, und nicht nur diskutieren. Und ihm sind die Kinder im Viertel ganz besonders wichtig, denn auf sie kommt es in Zukunft an. So hat Meurers Team auch in diesem Jahr wieder hunderte Schulranzen verteilt, Kommunionskleider verschenkt und Fahrräder ausgegeben.