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Köln
Klüngel am Rhein

Als die SPD im vergangenen Jahr wegen Postengeschachers in der Kritik stand, wurden auch die Grünen im Stadtrat kleinlaut. Denn Klüngel in Köln hat viele Väter und Mütter. Jetzt sind die Grünen selbst Zielscheibe von Vorwürfen. Die Ex-Fraktionschefin, Kirsten Jahn, zog an die Spitze des Regionalverbunds "Metropolregion Rheinland". Ohne Ausschreibung.

Von Moritz Küpper | 21.02.2019
Blick auf die Stadt Köln vom Rhein aus
Die Domstadt: lässig oder nachlässig? (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
Wer in diesen Tagen zu Kirsten Jahn möchte, fährt hoch hinaus: siebte Etage, zwölfte Etage, sechzehnte Etage. Der Aufzug ist ferngesteuert. Das Hochhaus am Rhein, gegenüber des Kölner Doms, trägt den Namen "Kölner Triangel". Hier befinden sich die Räume der Geschäftsstelle der "Metropolregion Rheinland".
Am 1. März dieses Jahres wird Jahn, die zehn Jahre lang für die Grünen im Kölner Stadtrat saß, dort zuletzt die Fraktion anführte, ihren neuen Posten als hauptamtliche Geschäftsführerin offiziell antreten. Von einem Grundgehalt von über 100.000 Euro schreiben die lokalen Zeitungen, dazu eine fünfstellige Jahrestantieme. Bei einem Verein, der von Wirtschaftskammern, Städten und Kommunen, also aus Steuergeldern, mitfinanziert wird.
Es ist ein Personalwechsel, der die Domstadt in den vergangenen Wochen in Wallung brachte – und all jene bestätigte, die die Begriffe Köln und Klüngel für ein Zwillingspaar halten: "Wenn so unsere Lernkurve in Sachen Transparenz und Compliance aussieht, dann mache ich mir ernsthaft Sorgen um die Strukturen unserer öffentlichen Einrichtungen", hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende im Rat der Stadt Köln, Christian Joisten, letzte Woche gesagt.
Immer wieder Klüngel-Schlagzeilen
Eine "vergiftete Atmosphäre im Ratssaal" attestierte auch tags drauf der "Kölner Stadt-Anzeiger". Der Grund: Die Debatte um Kirsten Jahn und ihren Wechsel vom Sessel der Grünen-Fraktionschefin auf den Leitungssessel in der 18. Etage mit Rhein- und Domblick.
Erst im vergangen Jahr hatte Köln bundesweit für Klüngel-Schlagzeilen gesorgt, als der damalige SPD-Fraktionschef in Köln, Martin Börschel, über Nacht und ohne Ausschreibung, auf den neu geschaffenen Posten eines Vorstandsvorsitzenden des Stadtwerke-Konzerns wechseln wollte. Beteiligt damals waren – neben der SPD und der CDU – auch die Grünen, unter anderem mit Kirsten Jahn in ihrer alten Funktion.
Während der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer damals zurücktrat, leistete Jahn öffentlich Abbitte: "Wir sind uns einig, dass durch die absolut falsche und grundlegend fehlerhafte Vorgehensweise bei der geplanten Einrichtung und Besetzung des hauptamtlichen Geschäftsführers bei den Stadtwerken, erhebliches Vertrauen in die Öffentlichkeit verloren gegangen ist. Das Vertrauen in transparente Prozesse und das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Politik ist erschüttert."
So Jahn im Sommer 2018, ziemlich zerknirscht in der Causa des SPD-Politikers Börschel. Die Grünen-Politikerin damals: "Die grünen Prinzipien der Transparenz und Besten-Auslese, unabhängig von Parteibüchern, sind und bleiben mein Leitfaden. In Zukunft werde ich hier noch viel aufmerksamer sein werden müssen und ich werde es auch sein. Die roten Linien werde ich, werden wir als Grüne nicht mehr überschreiten."
Es waren – auch und gerade mit dem Wissen von heute – denkwürdige Sätze mit hohem Anspruch. Denn Jahn versprach: "Bei der Besetzung von Vorstands- und Geschäftsführer-Positionen wird es zukünftig keinerlei Ausnahmen bezüglich formloser Verfahren mehr geben. Wir Grünen haben einmal unseren Kompass verloren und das wird nie wieder passieren."
Keine rechtlichen Beanstandungen
Ein gutes halbes Jahr später muss sich Jahn an diese Sätze erinnern lassen. Bei der jüngsten Kölner Ratssitzung sagte SPD-Mann Christian Joisten: "Der verloren gegangene Kompass, hier schon mehrfach erwähnt, der angeblich ja wiedergefunden wurde, ist uns allen hier noch gut in Erinnerung. Und nun dieser Vorgang, Besetzung eines Geschäftsführer-Postens ohne Ausschreibung!"
Kirsten Jahn widersprach in dieser Ratssitzung: "Ich verwehre mich, dass das gerade hier diskutierte mit den Stadtwerken beziehungsweise, dass das, was mit der Metropolregion passiert ist, mit der Stadtwerke-Affäre auch nur annähernd vergleichbar ist. Die Stelle ist vorhanden gewesen und musste neu besetzt werden. Dass die Stelle vakant und neu besetzt werden musste, wurde auch kommuniziert."
Tatsächlich gibt es am Wechsel Jahns an die Spitze der "Metropolregion Rheinland" keine rechtlichen Beanstandungen. Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker stimmte für Jahn, der Düsseldorfer OB Thomas Geisel, ein SPD-Mann, hatte das Verfahren aufgesetzt und aufgrund zeitlichen Drucks sowie aus Kostenersparnissen auf eine Ausschreibung verzichtet.
Die Kandidatin Jahn wird nun aber nicht an rechtlichen Fragen, sondern an ihren eigenen Maßstäben gemessen. So wird, nicht nur hinter vorgehaltener Hand, in der Domstadt allerorts mit dem Kopf geschüttelt über mangelndes politisches Gespür.
Die NRW-Grünen teilten mit, dass aus ihrer Sicht politische Parteien verhindern müssten, dass der Eindruck entstehe, dass solche Stellen nach anderen Kriterien vergeben werden als der fachlichen und persönlichen Eignung des oder der Bewerber*in. Und weiter, Zitat: "Ein solches Verfahren hat im Falle der Metropolregion nicht stattgefunden. Dies bedauern wir, entspricht aber den bisherigen Regeln."
Berufliche Kompetenzen, politische Erfahrung
Zurück in den Turm am Rhein, in die achtzehnte Etage. Für das Gespräch in den Räumen der "Metropolregion Rheinland", hat Jahn extra ihre neue Geschäftsführer-Kollegin Ulla Thönnissen sowie die Pressesprecherin des Vereins mitgebracht. Jahn weiß, dass das Thema heikel ist, sie ist bereit, darüber zu reden, vor dem Mikrofon möchte sie dies aber nicht ausführlich tun.
"Köln ist jetzt natürlich sensibilisiert, zu recht auch sensibilisiert. Es gab manchmal Vergleiche, die auch so, wenn man sich genau das Ganze anguckt und differenziert darstellt, dann auch so nicht immer zugetroffen haben."
Die Grünen-Politikerin Jahn will den Blick nach vorne richten, will über ihre künftige Arbeit sprechen: "Unsere Hauptaufgabe im Endeffekt besteht darin, bestimmte Ideen, die vorhanden sind, aufzugreifen, zu vernetzen und zusammenzuführen, damit dann eine starke Struktur da ist und ein gemeinsames Bild nach außen dokumentiert werden kann, so dass das Rheinland mit einer Stimme sprechen kann gegenüber Bund, Land und der Europäischen Union."
Auch Thönnissen betont die Ziele, erwähnt eine mögliche Olympia-Bewerbung von Nordrhein-Westfalen, die Ambitionen des Rheinlandes. Deswegen, so Jahn, habe sie diese Stelle gewollt: "Ich bin Geografin, ich habe das gelernt. Ich habe interkommunale Zusammenarbeit direkt nach dem Studium gelernt, habe es dann immer wieder gemacht. Hab Wirtschaftsförderung gemacht, bevor ich in die Politik gegangen bin. Also, ich habe sozusagen die beruflichen Kompetenzen und ich habe auch politische Erfahrung über meine Funktion, die ich im Rat der Stadt Köln hatte."
Kritik hin, Kritik her, es geht weiter, so der Eindruck im Gespräch mit Kirsten Jahn, schließlich müsse Köln vorankommen. Doch: Warum passiert so etwas immer wieder in Köln? In der Stadt, die deutschlandweit Sympathien genießt, in der viele – vor allem junge – Menschen, leben wollen?
"Alles hat eine Kehrseite. Und diese freundliche Seite, die Welt mal nicht so verkniffen zu sehen, spielerisch, auch mal was lässig anzugehen, hat natürlich eine Kehrseite, klar", sagt der Psychotherapeut Wolfgang Oelsner. Er lebt in Köln, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Karneval und hat kürzlich einen Aufsatz geschrieben.
"Köln ist eine lässige Stadt, oder eine nachlässige?", fragt der Autor im Titel. Spielerisch an die Dinge herangehen, die Welt nicht immer ernst nehmen, locker und leicht, wie eben im Karneval, das ist Kölns Image – und gleichzeitig gibt es eben auch die Kehrseite dieser Stärke: der Klüngel, die Selbstbedienungsmentalität, der kölsche Grundsatz, "Et hätt noch immer jott jejange" – "Es ist noch immer gut gegangen", dessen Wahrheit sich zuletzt allerdings immer weniger zeigte.
Beispiele wie der Einsturz des Kölner Stadtarchivs, der sich in ein paar Tagen zum zehnten Mal jährt, die sogenannte Kölner Silvesternacht oder die Affären um Posten-Geklüngel – viele Ereignisse haben am Image der vermeintlich lässigen Stadt gekratzt.
Wenn die Stimmung kippt
"Da kann aus einem Schunkeln, aus diesem wunderbaren Gefühl der Nähe, mit fremden Menschen auf einmal sich im Arm zu liegen, das kann umkippen, in Grapschen, in Übergriffigkeit. Da, wo Affekte freigelegt werden, ist immer ganz schnell das Kippen zum Lachen und zum Weinen", sagt der Kölner Therapeut.
Und in Köln kippt gerade einiges. Nicht einmal zwei Jahre sind es bis zur nächsten Kommunalwahl, doch die Personal-Querelen in der Domstadt nehmen nicht ab, die Parteien sind zerstritten, der Umgang mit städtischen Spitzenjobs sucht bundesweit wohl seinesgleichen: Die Berufung eines neuen Theater-Intendanten – gescheitert, nachdem die Auswahl harsche Kritik nach sich gezogen hatte; die Bestellung einer neuen Schul-Dezernentin – gestoppt nach Zwist in den Parteien; das Hauen und Stechen um eine Vorstandspersonalie bei den Verkehrsbetrieben – nicht mehr vermittelbar. Dazu nun die Personalie Jahn.
Die frischgebackene Geschäftsführerin will nun aber nach vorne schauen. Vom 18. Stock aus, in den Räumen der Metropolregion, kann sie auch das Rathaus sehen. Dort machen die Parteien und Fraktionen jetzt ohne sie weiter, ein persönliches Statement hatte sie in ihrer letzten Ratssitzung allerdings hinterlassen:
"Ich werde Ihnen erhalten bleiben und ich werde weiterhin die Arbeit des Rates eng verfolgen. Sie haben die Verantwortung für diese Stadt. Gehen Sie mit der Verantwortung sorgsam und sorgfältig um Sie haben das Privileg, zu gestalten. Ich wünsche Ihnen, dass Sie weiterhin etwas Konstruktives daraus machen."
Auslegungssache. Auch, oder gerade, in Köln.