Freitag, 19. April 2024

Archiv

Kölner Dombaumeister
Wiederaufbau von Notre-Dame wird Jahrzehnte dauern

Das Ausmaß der Zerstörungen lasse sich zwar noch nicht abschätzen, sagte der Kölner Dombaumeister Peter Füssenich zum Brand in der Kathedrale Notre-Dame in Paris. Doch werde es Jahre dauern, bis der erste Besucher die Kirche wieder betreten könne. Zudem könnten Teile des Gewölbes noch einstürzen.

Peter Füssenich im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 16.04.2019
ARCHIV - 30.10.2018, Nordrhein-Westfalen, Köln: Dombaumeister Peter Füssenich steht im Nordturm des Domes. Nach dem Feuer in Notre-Dame rechnet der Kölner Dombaumeister Peter Füssenich mit einem jahrzehntelangen Wiederaufbau. «Jetzt zu spekulieren, wie lange der Wiederaufbau dauern und was er kosten wird, ist ein Blick in die Glaskugel», sagte Füssenich am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Am Kölner Dom repariere man noch heute - 70 Jahre später - Kriegsschäden aus dem 2. Weltkrieg, sagte der Kölner Dombaumeister Peter Füssenich im Dlf (dpa)
Jörg Münchenberg: Kurz vor 19 Uhr gestern Abend kamen die ersten Eilmeldungen. In der Kathedrale Notre-Dame war ein Brand ausgebrochen. Feuerwehr und Hilfskräfte waren offenbar schnell zur Stelle, doch noch um 22 Uhr hieß es, die Sache stehe Spitz auf Knopf. Inzwischen steht fest: Das Gebäude konnte gerettet werden. Der Brand ist inzwischen vollständig gelöscht. Aber die Zerstörungen sind gleichzeitig enorm.
Am Telefon ist jetzt Peter Füssenich. Er ist Dombaumeister von Köln. Herr Füssenich, ich grüße Sie!
Peter Füssenich: Ich grüße Sie auch! – Guten Tag.
"Schrecklich, ein solches Generationenwerk brennen zu sehen"
Münchenberg: Herr Füssenich, was überwiegt bei Ihnen, Entsetzen über den Brand, oder doch Erleichterung, dass Notre-Dame nicht vollständig zerstört worden ist?
Füssenich: Wie viele andere Kolleginnen und Kollegen aus den ganzen Bauhütten Europas sind wir vernetzt und waren alle völlig bestürzt und entsetzt über diese Bilder, die uns gestern aus Paris erreichten. Da gibt es eine grenzenlose Solidarität, die auch mit den Bauleuten verbunden ist. Wir wissen, dass Notre-Dame wie viele andere große Kirchen ein Generationenwerk ist, ein Werk von Menschen, eine Schatzkiste, die Kunst und Kulturgüter mehrerer Generationen behütet. Insofern war das für uns alle ein ganz schrecklicher Anblick, eine solche Kathedrale, ein solches Generationenwerk brennen zu sehen.
Ausmaß der Zerstörungen noch nicht abzuschätzen
Münchenberg: In Köln läuten ja die Glocken seit zwölf Uhr als Zeichen der Solidarität. Aber nicht nur in Köln?
Füssenich: Ja. Unserer Aktion haben sich viele andere Bauhütten, viele Kathedralen in ganz Europa angeschlossen. Seit zwölf Uhr läuten in ganz Europa die Glocken, in Frankreich selbstverständlich, in Österreich, in der Schweiz, in Deutschland, bis nach Riga. Sie alle beteiligen sich an dieser Solidaritätsaktion als Zeichen und der Betroffenheit, die wir alle empfinden.
Münchenberg: Herr Füssenich, Sie haben natürlich auch nur die Bilder gesehen, sehen müssen. Aber wenn man die gesehen hat, dann muss man doch davon ausgehen, dass die Zerstörungen doch gewaltig sind, auch wenn es jetzt heißt, immerhin sei das Gebäude nicht vollständig zerstört worden.
Füssenich: Das ist aus der Ferne natürlich sehr, sehr schwer zu begutachten. Ich denke, die nächsten Tage werden es zeigen, welches Ausmaß diese Schäden in der Folge des Brandes gehabt haben. Wir werden auch sicher da noch mal genauer schauen müssen auf die Gewölbe. Die Feuerwehr hat große Mengen an Löschwasser eingesetzt. Die Gewölbe haben sich vollgesogen mit diesem Löschwasser. Das sorgt natürlich für ein erhebliches Gewicht und eine Vervielfachung des Gewichtes der Gewölbe und das müssen die erst mal aushalten. Man kann, glaube ich, zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts über das Ausmaß dieses Schadens sagen.
"Die Feuerwehr hat ganz großartige Arbeit geleistet"
Münchenberg: Sie sagen, das Gewölbe ist jetzt voll Wasser gesogen. Muss man da einfach warten, bis das verdunstet, oder wie geht man da vor?
Füssenich: Im Moment kann man nichts anderes machen, weil potenziell sind auch Teile der Gewölbe natürlich einsturzgefährdet. Wir haben den Vierungsturm einstürzen sehen. Der hat sicher Gewölbeteile getroffen. Das wird man erst in den nächsten Tagen, wenn die Kathedrale überhaupt zu begehen ist, vor Ort feststellen müssen.
Münchenberg: War es denn richtig, jetzt natürlich von der Ferne beurteilt, dass die Feuerwehr auf den Einsatz von Löschflugzeugen verzichtet hat?
Füssenich: Ja, das war sicher eine richtige Entscheidung der Feuerwehr. Wenn Sie sich vorstellen, dass große Wassermassen, die ein riesiges Gewicht haben, von oben auf die offenen Gewölbe treffen, dann sind das solche heftigen Einwirkungen, dass sie wahrscheinlich direkt eingestürzt wären. Die Feuerwehr hat sehr besonnen und richtig reagiert und von Löschfahrzeugen versucht, diesen Brand in den Griff zu bekommen. Und wir sehen ja auch, die Feuerwehr hat ganz großartige Arbeit geleistet. Der Brand ist ja unter Kontrolle.
"Die Gotik ist eine so fantastische Konstruktion"
Münchenberg: Sie sagen, das Problem ist jetzt, dass der Stein mit Wasser vollgesogen ist. Könnte es denn trotzdem noch zu einem Einsturz des Gebäudes kommen in den nächsten Tagen, oder kann man sicher sein, dass jetzt erst mal das Gebäude stehen bleibt?
Füssenich: Ja. Ich glaube, man muss auch keine Panik machen. Das werden die nächsten Tage sicher zeigen, ob da tatsächlich noch was ins Rutschen gerät. Die Gotik ist eine so fantastische Konstruktion. Hier halten die Gebäudeteile in Abschnitten für sich selber. Selbst wenn ein Gewölbe einstürzt, bedeutet das noch lange nicht, dass die gesamte Kathedrale vom Einsturz betroffen ist. Aber wie gesagt, das muss man einfach in den nächsten Tagen abwarten, und da ist sicher Zeit ein guter Ratgeber.
"Ein Verlust für die gesamte Menschheit"
Münchenberg: Was schätzen Sie? Wie groß ist der kunsthistorische Verlust?
Füssenich: Auch das lässt sich aus der Ferne natürlich sehr schwer beurteilen. Notre-Dame gehört wie viele andere gotische Kathedralen zu den großen Kathedralen Europas, die Vorbilder waren für viele andere Kirchbauten in ganz Europa. Auch der Kölner Dom ist nach den Vorbildern der französischen Kathedralen gebaut worden. Insofern trifft uns ein solcher Verlust einer solchen Kathedrale natürlich ganz besonders. Notre-Dame gehört zu den frühen gotischen Kathedralen in Frankreich, die sicher über die Stadt, über Frankreich hinausstrahlen, und sie gehören auch zum Welterbe. Die UNESCO hat das ja eindeutig erklärt. Das wäre ein Verlust für die gesamte Menschheit. Wir können nur hoffen, dass große Teile der Kathedrale erhalten bleiben.
"Es wird Jahre dauern, bis der erste Besucher wieder die Kirche betreten kann"
Münchenberg: Kann man denn in irgendeiner Form schon abschätzen, wieviel Zeit für den Wiederaufbau veranschlagt werden muss?
Füssenich: Es geht hier sicher nicht um Wochen, sondern wir reden hier über Jahre und Jahrzehnte. Ich kann es am Vergleich des Kölner Domes sagen. Heute, über 70 Jahre nach Kriegsende des Zweiten Weltkrieges, reparieren wir noch Kriegsschäden am Kölner Dom, und das wird gewiss auch noch mehrere Jahre und Jahrzehnte dauern. Ähnliche zeitliche Abläufe müssen wir auch für Notre-Dame uns vorstellen. Das wird sicher Jahre dauern, bis der erste Besucher wieder die Kirche betreten kann.
Münchenberg: Wenn jetzt so eine Kirche wiederaufgebaut werden muss, was ist denn dann noch übrig von der alten Notre-Dame?
Füssenich: Auch das muss man sicherlich anschauen, was ist an Originalsubstanz noch zu halten, noch zu retten. Der Dachstuhl – das ist klar – ist verloren. Auch da werden sich die Kolleginnen und Kollegen vor Ort überlegen, in welchem Maße sie die historische Konstruktion wiederaufbauen, oder auf andere Konstruktionen zurückgreifen. Das was an Original zerstört ist – und hier reden wir auch über einen Dachstuhl aus dem 13. Jahrhundert, zum Teil jedenfalls -, der ist natürlich unwiederbringlich verloren.
Restaurierung werde mehrere hundert Millionen kosten
Münchenberg: Jetzt ist auch die Frage, wie kann das alles finanziert werden. Es gibt ja weltweit bekundete Solidarität, dass man sagt, man unterstützt das jetzt auch. Ein Signal kam hier zum Beispiel auch von der Bundesregierung schon. Die Dresdener Frauenkirche ist ja auch mit weltweiten Spenden wiederaufgebaut worden. Ist das denn ähnlich vorstellbar für Notre-Dame?
Füssenich: Ja. Man hat jetzt aus aller Welt schon Spendenzusagen erhalten, Einzelspender, Stiftungen, ganze Länder beteiligen sich, auch der Zentraldombauverein von Köln möchte eine Spendenaktion ins Leben rufen, um sich solidarisch zu zeigen mit den Menschen um Notre-Dame, mit allen, denen diese Kirche am Herzen liegt. Ich bin sicher, dass durch diese Aufrufe auch Gelder zusammenkommen, die dabei helfen, die Kathedrale wiederaufzubauen.
Münchenberg: Auch wenn das sicherlich noch etwas früh ist, aber wir bewegen uns da wahrscheinlich sicherlich eher im Milliarden-Bereich als im Millionen-Bereich.
Füssenich: Ja, das ist sicher richtig. Es sind sicher mehrere hundert Millionen, wenn man das Ausmaß der Zerstörung da schon sieht. Das ist nicht von einem Tag auf den anderen zu beheben.
Münchenberg: Herr Füssenich, Sie sind ja nun der Dombaumeister hier in Köln. Könnte denn so ein verheerendes Feuer auch im Kölner Dom ausbrechen?
Füssenich: Das ist eine Frage, die mir heute natürlich sehr oft gestellt wurde. Für den Kölner Dom kann ich sagen, dass wir das Glück haben, dass der Dachstuhl des Domes im 19. Jahrhundert aus Eisen gebaut wurde, also einem Material, das nicht so ohne weiteres entflammbar ist. Natürlich müssen wir auch in Köln und in allen Kulturbauten Europas Vorkehrungen treffen des vorbeugenden Brandschutzes, damit solche Katastrophen nicht wieder passieren.
Münchenberg: Das heißt aber jetzt auch, nach diesem schlimmen Ereignis in Paris stellt man sich jetzt hier vielleicht auch noch mal neu auf und denkt darüber nach, was man für Brandschutzbestimmungen hat und wie man Brandschutz verbessern kann.
Füssenich: Ganz gewiss! Wir sind auch in ständigem Kontakt mit der Feuerwehr hier in Köln, um unsere Brandschutzmaßnahmen immer wieder zu überprüfen, in Frage zu stellen und den Ernstfall durchzuspielen. Das ist sicher wichtig, dass man mit Brandschutzexperten sich genau die Gebäude, die sehr speziell sind, anschaut. Das gilt nicht nur für Kirchen, sondern auch für andere Kulturbauten, vor allem, wenn sie historisch sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.