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Kölner Hooligan-Krawalle
"Rechtsextremismus darf nicht weiterhin unterschätzt werden"

Entwicklungen beim Rechtsextremismus müssten jetzt ganz genau analysiert werden, um dann die richtigen Schlüsse zu ziehen, sagte Irene Mihalic, Obfrau der Grünen im Bundestags-Innenausschuss und innenpolitische Sprecherin der Fraktion im DLF. Sie mache sich Sorgen, dass solche Ereignisse sich wiederholen.

Irene Mihalic im Gespräch mit Sandra Schulz | 28.10.2014
    Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic, Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss.
    Grünen-Politikerin Irene Mihalic fordert mehr Verantwortung von der politischen Seite. (picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    Mihalic befürwortet, Veranstaltungen, bei denen erkennbar nur die Gewalt im Vordergrund stehe, leichter verbieten zu können. Dass sich Hooligans und Rechtsextremisten gezielt zusammenschließen, das sei kein neues Phänomen. Man wisse seit Jahren, dass es enge Verbindungen zwischen Neonazis und Hooligans gebe. Bedenklich sei, dass jetzt auch rechtsextreme Parteien, wie Pro NRW, NPD oder auch die Partei die Rechte, diese Entwicklung für sich zu nutzen scheinen.
    Die Schlussfolgerung, dass das Einsatzkonzept am Sonntag von vornherein aufgegangen sei, hält die innenpolitische Sprecherin für verfrüht. Man dürfe jetzt nicht den Fehler machen und die Schuld für die gewalttätigen Ausschreitungen bei der Polizei abladen.

    Das Interview mit Irene Mihalic in voller Länge:
    Sandra Schulz: Seit dem Wochenende diskutieren wir über den Gewaltexzess, der scheinbar aus dem Nichts kam. Die Gruppe "Hooligans gegen Salafisten" hatte am Sonntag in Köln schwerste Ausschreitungen provoziert, mit Dutzenden verletzten Polizisten. Was tun gegen das gewaltbereite Bündnis?
    Am Telefon begrüße ich die innenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Obfrau ihrer Fraktion im Bundestagsinnenausschuss. Guten Morgen, Irene Mihalic.
    Irene Mihalic: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Sie waren mal Polizistin in Köln. Haben die Kollegen alles richtig gemacht?
    Mihalic: Ja das ist natürlich jetzt die Frage, ob die Polizei die Lage im Vorfeld so richtig eingeschätzt hat. Da gibt es ja auch unterschiedliche Auffassungen dazu. Ich jedenfalls halte die Schlussfolgerungen, die wir gestern ja auch schon gehört haben, dass beispielsweise das Einsatzkonzept von vornherein aufgegangen ist, eigentlich für verfrüht, denn man darf natürlich jetzt nicht den Fehler machen und die Schuld für die gewalttätigen Ausschreitungen bei der Polizei abladen. Aber natürlich muss man auch diesen Einsatz sorgfältig nachbereiten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass hier auch zahlreiche Beamte verletzt worden sind. Da muss man natürlich jetzt sehen, wie diese Versammlung so eskalieren konnte.
    "Das ist kein neues Phänomen"
    Schulz: Welche Antwort muss der Staat geben auf so einen Gewaltexzess?
    Mihalic: Ja nun. Dass sich Hooligans und Rechtsextremisten gezielt zusammenschließen, das ist ja eigentlich kein neues Phänomen, sondern das ist deutschlandweit bekannt. Das tritt an vielen Stellen auf. Und dass es enge Verbindungen zwischen Hooligans und Neonazis gibt, das wissen wir auch schon seit Jahren. Bedenklich ist natürlich, dass jetzt auch rechtsextreme Parteien wie Pro NRW, die NPD oder auch die Partei Die Rechte diese Entwicklungen für sich zu nutzen scheinen. Diese Versammlung in Köln ist ja auch von einem Funktionär von Pro NRW angemeldet worden.
    Schulz: Frau Mihalic, Sie sagen jetzt gerade, was alles schon bekannt war. Aber die Frage war, was muss jetzt passieren.
    Schulz: Das was jetzt passieren muss ist natürlich, dass der Rechtsextremismus in Deutschland nicht weiterhin unterschätzt werden darf. Diese Entwicklungen, die sich dort jetzt ergeben, die müssen sehr genau analysiert werden. Es müssen die richtigen Schlüsse gezogen werden. Ich halte es auf jeden Fall für sinnvoll, wie auch schon vorgeschlagen wurde, zu prüfen, ob man solche Versammlungen, wo erkennbar nur die Gewalt im Vordergrund steht, künftig leichter wird verbieten können. Es wird natürlich sehr, sehr schwierig, auch die Gerichte davon zu überzeugen, aber ich halte das in diesem Fall für einen notwendigen Schritt.
    Schulz: Aber wenn der Innenminister sagt, solche Versammlungen können verboten werden, warum ist die Versammlung dann nicht verboten worden?
    Mihalic: Ja nun, das hängt natürlich auch von der Lageeinschätzung ab. Das wird man jetzt erst im Nachhinein auswerten können, warum diese Versammlung beispielsweise im Vorfeld nicht hätte verboten werden können. Das was ich auch bisher darüber gehört habe ist, dass beispielsweise derjenige, der die Versammlung angemeldet hat, dass das in der Vergangenheit schon öfter geschehen ist und dass diese Versammlungen recht ruhig abgelaufen sind. Wie gesagt, da muss man jetzt auch im Einsatzgeschehen das Ganze nachbereiten, um zu sehen, ob da vielleicht auch in der Lageeinschätzung, was die Qualität dieser Gewalteskalation angeht, Fehler gemacht worden sind.
    "Ich mache mir große Sorgen, dass sich solche Ereignisse wiederholen"
    Schulz: Wir hatten gerade vor einer halben Stunde einen Fanforscher im Programm. Der hat gesagt, in den sozialen Netzwerken war das schon lange zu erkennen. Deswegen noch mal die Frage: Wer ist verantwortlich für diesen Gewaltexzess?
    Mihalic: Wie ich das eben schon sagte. Dieses Phänomen, dass Hooligans und Rechtsextremisten sich zusammenschließen, das ist erst mal nichts Neues. Und dass diese Verbindungen insbesondere auch über die sozialen Netzwerke zustande kommen, das wissen wir auch. Da gibt es auch Erkenntnisse vom Verfassungsschutz beispielsweise. Das ist ja auch schon geäußert worden in der Debatte. Ich frage mich natürlich: Wenn es insgesamt kein neues Phänomen ist, wieso konnte dann diese Dimension in der Form, wie sie jetzt aufgetreten ist, nicht erkannt werden. Ich persönlich mache mir in dem Zusammenhang große Sorgen, dass sich solche Ereignisse wiederholen. Diese Vereinigung "Hooligans gegen Salafisten" hat ja beispielsweise auch schon angekündigt, dass auch in anderen Städten ähnliche Demonstrationen stattfinden sollen. Vor dem Hintergrund muss man die Lage natürlich jetzt noch mal ganz genau bewerten, welche Erkenntnisse liegen eigentlich vor, wie sind diese zu bewerten und welche Schlüsse sind daraus zu ziehen. Es darf auf jeden Fall nicht der Fehler gemacht werden, dass diese Dimension und diese Gewalteskalation weiterhin unterschätzt wird.
    "Rechtsextremismus wird in Deutschland politisch weiterhin massiv unterschätzt"
    Schulz: Dann beantworten Sie uns das doch netterweise. Welche Schlüsse sind denn zu ziehen? Was muss sich ändern?
    Mihalic: Was sich ändern muss ist, dass das Problem nicht weiterhin negiert wird. Ich habe den Eindruck, dass der Rechtsextremismus in Deutschland politisch weiterhin massiv unterschätzt wird. Wir befinden uns zum Beispiel jetzt im dritten Jahr nach NSU. Es sind aber kaum Konsequenzen aus dieser Terrorserie gezogen worden. Auch hier beobachten wir, dass ein bekanntes Phänomen, dass daraus keine Bewertung abgeleitet wird, was konkret zu tun ist, ob es jetzt beispielsweise polizeiliche Präventionsmaßnahmen sind, ob es beispielsweise Verbote von solchen Versammlungen sind, ob es andere Maßnahmen sind, die im Kampf gegen rechts einzusetzen sind. Wichtig ist natürlich, dass erst einmal die Analyse stimmt, und dann muss man natürlich in Ruhe überlegen, wie kann es da weitergehen. Aber wichtig ist, dass man auch politisch den Rechtsextremismus in Deutschland nicht weiterhin unterschätzt, und da tragen auch alle eine klare Mitverantwortung.
    Schulz: Jetzt nennt sich das Bündnis ja "Hooligans gegen Salafisten" und schreibt sich auf die Fahnen, dass sie sich wehren wollen gegen die wachsende Zahl von Salafisten hier bei uns im Land. Könnte es sein, dass das Bündnis auch deswegen so einen großen Zuspruch hat, weil der Staat etwas hilflos wirkt im Umgang mit diesen gewaltbereiten Salafisten?
    Mihalic: Es ist natürlich sehr besorgniserregend, dass hier rechtsradikales Gedankengut sozusagen vielleicht auch ein Stück weit salonfähig wird, dass solche Gruppen Ängste in der Bevölkerung vor gewaltbereiten Salafisten ausnutzen. Ich sehe hier wie gesagt auch eine klare Mitverantwortung aus der Politik, und zwar aus zwei Gründen. Wie ich eben bereits sagte: Der Rechtsextremismus in Deutschland wird weiterhin massiv unterschätzt und in Sachen ISIS und gewaltbereiter Salafismus, da bestimmen leider populistische Forderungen die Debatte und es werden auch von führenden Politikern Ängste geschürt. Insgesamt wird in dieser Frage viel zu viel geredet, aber zu wenig getan. Da gibt es die bekannten Vorschläge, was gegen ISIS-Unterstützer zu tun ist, aber damit wird letztlich eigentlich nur vorgetäuscht, dass etwas getan wird. In Wirklichkeit kürzt die Bundesregierung beispielsweise den Haushalt der Bundespolizei um 51 Millionen und gibt gerade mal eine halbe Million für Prävention und Deradikalisieren aus. Unterm Strich kann man sagen, es existiert keine koordinierte Anti-Terror-Strategie, und da passen Worte und Taten nicht zusammen. Und dass das dann Rechtsextremisten für sich nutzen und versuchen, auf den Ängsten, die in der Bevölkerung bestehen, aufzusatteln, das trägt natürlich dann noch mit dazu bei, dass hier mehr oder weniger nicht das richtige getan wird, um beispielsweise auch gegen gewaltbereiten Salafismus vorzugehen.
    "Es wird zu viel geredet, aber zu wenig getan"
    Schulz: Was ist denn gefährlicher, Rechtsextremismus oder Linksextremismus?
    Mihalic: Das was hier gefährlich ist, ist vor allen Dingen, dass beispielsweise Menschen mit Migrationshintergrund diesen Dingen schutzlos ausgeliefert sind. Wenn gewaltbereite Rechtsextremisten durch die Straßen laufen und "nationaler Widerstand" skandieren und „Ausländer raus" rufen, dann muss sich im Grunde genommen ein Großteil der Bevölkerung enorm davor fürchten, dass beispielsweise das Ganze auch wieder bedrohliche Ausmaße annimmt, dass da auch Gewalteskalation stattfindet. Ich möchte nicht, dass Menschen mit Migrationshintergrund dem schutzlos ausgeliefert sind und sich hier in Deutschland nicht mehr sicher fühlen können. Deswegen ist hier die gesamte Politik gefragt, sich dem Rechtsextremismus deutlich entgegenzustellen.
    Schulz: Diese rechtsextremistischen Parolen, die sind natürlich auch auf breite Ablehnung gestoßen. Aber noch mal die Frage: Die Sorge auch vieler Menschen vor dem Linksextremismus, vor den Salafisten, wird die denn ernst genug genommen?
    Mihalic: Die Sorge vor dem gewaltbereiten Salafismus, da muss man ganz klar sagen, hier müssen sozusagen die richtigen Antworten gefunden werden. Es passt einfach nicht zusammen, wenn beispielsweise die Bundesregierung bei den Sicherheitsbehörden im Haushalt kürzt, es keine koordinierte Präventions- und Deradikalisierungsstrategie gibt und auch noch die Mittel für die Prävention gekürzt werden, und auf der anderen Seite Vorschläge gemacht werden, die diesem Problem nicht gerecht werden. Da passen Worte und Taten nicht zusammen. Stattdessen wird beispielsweise auch von führenden Unionspolitikern - Sie hatten gestern ja auch Herrn Strobl im Interview - suggeriert, dass man den gewaltbereiten Salafismus einfach abschieben könne. Das ist meiner Ansicht nach schlicht realitätsfern und gleichzeitig auch verantwortungslos, denn wer über Menschen, die hier in unserer Gesellschaft aufgewachsen sind und sich hier in Deutschland auch radikalisiert haben und sich dem Salafismus zuwenden, pauschal von Ausländern spricht, die hier ihr Gastrecht missbrauchen, der verschafft natürlich Rechtsextremisten, ob jetzt gewollt oder nicht, auch die nötige Legitimation, gegen Menschen mit Migrationshintergrund zu hetzen bis hin zu solchen gewalttätigen Aufmärschen, wie wir sie am Wochenende in Köln erlebt haben.
    Schulz: Aber in der Szene gibt es ja auch viele, so berichten es die Verfassungsschützer, gewaltbereite Salafisten, die eine doppelte Staatsbürgerschaft haben. Warum soll man die Leute, die noch eine andere Staatsbürgerschaft haben, sage ich jetzt mal flapsig, hier festhalten?
    Mihalic: Ganz einfach, weil man ansonsten das Problem nur in ein anderes Land abschiebt. Wir reden hier über Menschen, die hier in Deutschland in aller Regel aufgewachsen sind, die hier sozialisiert wurden und die sich auch hier in Deutschland radikalisiert haben, und dann muss man mit diesem Problem auch hier in Deutschland umgehen. Natürlich muss man sämtliche polizeirechtlichen Mittel, sämtliche gesetzgeberischen Mittel, die bereits vorhanden sind, ausschöpfen, um diesem Problem zu begegnen. Ich sehe nicht, dass das aktuell geschieht. Auf der anderen Seite muss man natürlich darauf hinwirken, dass sich nicht noch mehr Menschen radikalisieren. Das heißt, es braucht eine koordinierte Präventions- und Deradikalisierungsstrategie, damit sich nicht noch mehr Menschen dem gewaltbereiten Salafismus zuwenden, und das muss endlich angegangen werden.
    "Mann muss mehr in die Prävention investieren"
    Schulz: Warum haben Sie das denn nicht gemacht zu rot-grünen Zeiten? Da wurden ja auch, jetzt ganz knapp verkürzt gesagt, mit den Sicherheitspaketen eins und zwei ziemlich schroff die Sicherheitsgesetze verschärft. Da war von Prävention nicht viel die Rede.
    Mihalic: Die Sicherheitsgesetze sind verschärft worden. Wir haben aber es jetzt mit einem Phänomen zu tun, dass beispielsweise 450 ISIS-Unterstützer nach Syrien beziehungsweise auch in den Nordirak ausgereist sind. Wir haben auch eine UN-Resolution, die uns dazu verpflichtet, beispielsweise Ausreisen in diese Kampfgebiete zu verhindern. Und das sagen uns auch die Sicherheitsbehörden: Natürlich muss man mehr in die Prävention investieren, natürlich muss man auch weitgehend dafür sorgen, dass sich nicht noch mehr Menschen radikalisieren, um auch die Gefahr am Ende durch solche kampfbereiten ISIS-Unterstützer auch hier für Deutschland zu vermindern. Und ich sehe nicht, dass das aktuell geschieht.
    Schulz: ..., sagt die innenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Den Grünen, Irene Mihalic, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank.
    Mihalic: Vielen Dank, Frau Schulz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.