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Kölner U-Bahn: Mangelnde Überprüfung auf Baustelle

Der Präsident der nordrhein-westfälischen Ingenieurkammer-Bau, Heinrich Bökamp, sieht eine Ursache für den Bau-Pfusch in Köln in der mangelnden Kontrolle. Es sei ein Problem gewesen, dass die technische Bauaufsicht im Hause der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) lag.

Heinrich Bökamp im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Organisierter Betrug, organisierte Kriminalität, so weit gehen inzwischen die Vorwürfe beim Bau der U-Bahn in der Domstadt. Die Kölner sind geschockt: Erst der Einsturz des Archivs vor knapp einem Jahr, nun kommen weitere Mängel, Schlampereien und Manipulationen ans Tageslicht.

    Das anstehende Hochwasser des Rheins, das in einigen Wochen erwartet wird, könnte zu einer weiteren Katastrophe führen, wenn nicht schnell vorbeugend gehandelt wird. Denn feststeht offenbar, dass die Schlitzwände zur Stabilisierung der Baustellen nicht über genügend Eisenstützen oder Eisenbügel verfügen, um einem erhöhten Druck Stand zu halten.

    Der zuständige Baukonzern Bilfinger & Berger hat erste Mitarbeiter suspendiert. Viele Bauexperten fordern eine mögliche Evakuierung der Anwohner. Doch die Kölner Verkehrsbetriebe als Bauherren beruhigen: Alles ist sicher. Darüber sprechen wollen wir nun mit Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen.

    Heinrich Bökamp: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Bökamp, reden wir über Mafiaverhältnisse?

    Bökamp: Nein, das denke ich nicht. Es sind sicherlich Vorgänge, die eigentlich nicht passieren dürfen. Es sind aber Vorgänge und so, die jetzt, wenn man einmal den Betrag sieht, der da mit dem Eisen erzielt worden ist, sicherlich ein verhältnismäßig geringer Betrag gewesen. Es sind aber eben Dinge, wo man sagen muss, da geht eine Menge Vertrauen verloren, und gerade, wenn es um Sicherheit geht, um Standsicherheit, dann hat man da natürlich nicht die Möglichkeit zu sagen, ein wenig weniger Sicherheit reicht auch, sondern da muss entweder die ganze Sache sicher sein, oder sie ist es halt nicht.

    Müller: Jetzt geht es, Herr Bökamp, ja nicht um ein Reihenhaus. Waren sich die Beteiligten nicht darüber im Klaren, welche Sicherheitsprobleme dadurch entstehen können?

    Bökamp: An sich müssen sie sich schon darüber im Klaren gewesen sein, denn unser Sicherheitskonzept ist ein festgeschriebenes, über Jahrzehnte erprobtes und auch weltweit anerkanntes Sicherheitssystem.

    Hier spielen natürlich mehrere Komponenten eine Rolle. Einmal ist Sicherheit nur dann erzielbar, wenn sie auch kontrolliert wird, wenn, wir sagen immer, das Vier-Augen-Prinzip eingeführt ist und auch wirklich gelebt wird. Da hat hier sicherlich das eine oder andere versagt, dass eben derjenige, der ausführt, sich nicht überwacht gefühlt hat, oder zumindest nicht ausreichend überwacht gefühlt hat, denn wenn 80 Prozent einer Sorte von Eisen verschwinden, dann kann dort eine Überwachung nicht befürchtet worden sein.

    Müller: Sie sehen das aber mit der Mafiafrage relativ gelassen, weil so was häufiger vorkommt am Bau?

    Bökamp: Häufiger eigentlich nicht. Ich denke, dass da normalerweise das Vier-Augen-Prinzip gut greift, gerade wenn solche Dinge hergestellt werden wie hier die Schlitzwände, wo man eben den Verbundbaustoff hat aus Beton und aus Stahl. Dort gibt es immer eigentlich die doppelte Kontrolle vor dem Betonieren, und erst wenn die Kontrolle erfolgreich war, wird freigegeben zum Betonieren. Da muss hier halt was gefehlt haben.

    Müller: Das Vier-Augen-Prinzip, Herr Bökamp, erklären Sie uns das noch mal. Das heißt, einer baut, einer richtet ein und der andere muss es dann abnehmen?

    Bökamp: Genau. Einer baut und der, der baut, der hat im Grunde auch seinen Bauleiter. Der guckt zum ersten Mal hin, ob alles in Ordnung ist. Wenn das so ist, dann benachrichtigt er eigentlich eine unabhängige Person, das kann zum Beispiel ein Prüfingenieur für Baustatik sein, der als Unabhängiger zum Schluss noch mal stichprobenhaft überprüft, sind alle Eisen eingebaut, ist vor allen Dingen so gebaut, wie auch in den geprüften Plänen genehmigt wurde. Erst wenn der die Freigabe erteilt, darf betoniert werden.

    Müller: Wenn ich jetzt richtig mitgerechnet habe, ist es ein Sechs-Augen-Prinzip?

    Bökamp: Wenn Sie den Arbeiter selber, der die Arbeit macht, dazunehmen, dann haben Sie sogar sechs Personen, die eigentlich hingucken müssen, dass sie da ordentlich und richtig die Dinge herstellen.

    Müller: Und da geht man in der Regel davon aus, auch Sie als Ingenieur gehen davon aus, dass das dann stichfest ist?

    Bökamp: Da gehen wir von aus und das wird im Grunde auch dokumentiert. Gerade im Bereich des Hochbaus werden diese Bescheinigungen auch nachher von der Bauaufsicht eingesammelt, dass diese stichprobenhafte Kontrolle tatsächlich stattgefunden hat, und dann gibt es auch eigentlich kein Entweichen.

    Müller: Es gibt ja auch Protokolle, die normalerweise angefertigt werden, für jede Schlitzwand, wenn ich das richtig verstanden habe. Warum hat das ganze System nicht funktioniert?

    Bökamp: Das klärt man im Moment noch auf. Es war sicherlich ein Problem, dass viele Dinge halt bei der KVB direkt angesiedelt waren, dass eben auch die technische Bauaufsicht im Hause der KVB lag, dass der Prüfingenieur für Baustatik nur beauftragt war mit der Prüfung der eigentlichen Papierunterlagen, also der statischen Berechnung und der Zeichnungen, aber nicht mit der stichprobenhaften Überwachung auf der Baustelle.

    Diese Lücken, die mussten natürlich geschlossen werden, und ob das jetzt gelungen ist an allen Stellen, das muss man im Moment noch abklären oder hinterfragen.

    Müller: War das in der Planung bereits ein großer Fehler, dass alles in den Händen der KVB liegt?

    Bökamp: Wir denken schon, dass damit eine Schwachstelle entstanden ist, denn wer sich anmaßt, sich selber überwachen zu können, der geht einfach ein großes Risiko ein. Ich denke, eine Aktiengesellschaft ist sicherlich ein großer Betrieb. Dort alle Vorgänge so zu gestalten und auch zu organisieren, dass eine unabhängige Kontrolle dort funktioniert, das kann man sich halt schwer vorstellen.

    Müller: Herr Bökamp, das wäre jetzt so, als würde der Aufsichtsratsvorsitzende, der kontrollieren soll, zugleich auch der Vorstandsvorsitzende sein?

    Bökamp: Ja, genau, und da ist natürlich die Gefahr immer groß, dass dann Sicherheitsaspekte gedehnt werden, dass man da eben nicht so unabhängig rangehen kann wie früher, als die Bauaufsicht selber noch hoheitlich diese Kontrollen auch gemacht hat, die natürlich Dinge anders durchsetzen konnten, denn sie brauchen hier für diese unabhängige Überwachung jemanden, der auch Dinge dann veranlassen kann, der zur Not sagen kann, es wird eben nicht betoniert, es wird eine Pause gemacht, es muss nachgedacht werden, was kann jetzt getan werden, und der darf eben nicht abhängig sein zu irgendeiner der Firmen oder anderen Beteiligten.

    Müller: Sehen Sie demnach auch ein großes Versäumnis der politischen Verantwortlichen, die diese Konstruktion zugelassen haben?

    Bökamp: Ich denke, dass die Politik das damals gar nicht so verfolgt hat. Der Anfang ist sicher genommen worden in dieser BOStrab, die das überhaupt erlaubt, dass die technische Bauaufsicht an den Vorhabenträger übertragen werden kann.

    Das ist inzwischen ja auch geändert worden. Die Bezirksregierung Düsseldorf hat ja die technische Bauaufsicht wieder zurückgenommen. Aber da ist vor langer Zeit halt in diese Vorschrift das so reingeschrieben worden, nur ich denke, dass man da noch von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist, dass man sich zu der Zeit nicht vorstellen konnte, dass irgendwann mal eine Aktiengesellschaft eine U-Bahn baut.

    Müller: Sind das Kölner Verhältnisse, oder kann das überall passieren?

    Bökamp: Das hätte sicherlich auch woanders passieren können. Das kann man nicht als Kölner Verhältnisse bezeichnen.

    Müller: Reden wir, Herr Bökamp, über das, was jetzt kommen muss. Ein Hochwasser droht wie auch immer, es wird zumindest ja prognostiziert, wenn die Schneeschmelze so richtig einsetzt. Wie groß ist das Problem dann?

    Bökamp: Der Wasserdruck auf die Baugrubenwände ist eigentlich der entscheidende Lastfall und auch der, der die größten Beanspruchungen mit sich bringt. Wenn der Rheinwasserspiegel ansteigt, wird das auch relativ schnell in der Umgebung passieren, das Grundwasser wird ansteigen und dann wird eben der Wasserdruck mehrere Meter höher an den Wänden stehen, und für die Beanspruchung ist eigentlich die Wand auch bemessen.

    Nur jetzt weiß man halt, die Wände stehen dort nicht in dem Zustand, wie sie eigentlich sein sollten, und sind dann eben geringer tragfähig, als sie ursprünglich nach Statik geplant waren. Da ist man jetzt ja dran, rückwärts zu rechnen, zu gucken, wie viel kann die Wand alleine tragen, wo sind halt Felder, wo verstärkt werden muss, wo zusätzlich unterstützt werden muss, um das Ganze zu stabilisieren. Man hat sich ja als letzte Notmaßnahme auch das Fluten der Baugrube schon mit in die Diskussion hineingenommen, die dann als letztes Mittel zur Verfügung steht, um da Sicherheit reinzubringen.

    Müller: Das heißt, die Kölner können sich jetzt doch zurücklehnen, ganz entspannt, und die Olympiade verfolgen?

    Bökamp: Zurücklehnen ist sicherlich ein bisschen übertrieben. Man hat da ja schon mit einem Zustand zu tun, der nicht erwünscht ist, der nicht planmäßig ist, der auch nicht in dem Zustand da steht, wie er eigentlich nach unserer Sicherheitsregel dort stehen sollte.

    Man muss Maßnahmen ergreifen. Man wird sicherlich auch immer noch gucken, hat man alle Fälle aufgedeckt, ist das jetzt eben die letzte Überraschung gewesen, die man da gefunden hat, oder gibt es eben noch andere Punkte. Das, was mit dem Thema Vertrauen zu tun hat, ist da sicherlich schwer erschüttert und keiner wird im Moment sich anmaßen zu sagen, wir haben alle Felder gefunden und alle Punkte auch schon aufgeklärt.

    Jede Überraschung, die jetzt noch hinzukäme, bringt natürlich zusätzliches Risiko und man wird eben irgendwann wirklich darüber nachdenken müssen, schafft man es auch zeitlich, diese Verstärkung dann einzubauen, oder kommt das Wasser schneller. Nur dann wäre halt eben dieser Punkt, dass man das Fluten der Baugrube nutzen kann, um einen sicheren Zustand zu bekommen.

    Müller: Da muss ich noch mal nachfragen, Herr Bökamp. Wenn alle Stricke reißen und man sich nicht sicher ist, ob die Wände tatsächlich halten - man weiß ja auch nicht, wie viele zusätzliche Wände man noch einziehen kann, wie lange das auch ganz konkret dauert, man weiß auch nicht, wann das Hochwasser kommt -, Fluten wäre dann die letzte Option?

    Bökamp: Genau, das wäre die letzte Option. Aber nur durch das Fluten schafft man es halt eben auch, die Umgebung zu sichern, kommt dann an den Evakuierungsmaßnahmen vorbei und entlastet ja praktisch damit die Baugrubenwände, bringt sie eigentlich in den Zustand nahe heran an das, was sie vorher an Last gehabt haben, und da ist dann eigentlich das Risiko nicht mehr.

    Müller: Ist das, Herr Bökamp, jemals noch mal zu verantworten, weiterzubauen?

    Bökamp: Man wird ja weiterbauen müssen. Ich denke, man kann so eine Baustelle jetzt nicht in dem Zustand stehen lassen. Das wäre sicherlich auch eine Katastrophe. Dann haben sie da was stehen, was auch nicht brauchbar ist auf Dauer, wo sie ihre Sicherheitsrisiken auch behalten.

    Es ist ja so: Wenn das endgültige Bauwerk mal fertig ist, dann werden diese Schlitzwände ja nicht mehr gebraucht. Dann ist die Ausführung der Schlitzwände auch nicht mehr interessant. Das endgültige Bauwerk kann ganz alleine die Lasten tragen.

    Man wird jetzt eben und ich denke, da hat man auch schon einiges getan, beim Weiterbauen, wenn man halt anfangen kann, dafür sorgen müssen, dass das ganze Qualitätsmanagement ordentlich kontrolliert wird, dass es überhaupt erst einmal in Gang kommt, und dass man dann eben auch dafür sorgt, dass eine unabhängige Kontrolle begleitend, vielleicht auch in engerem Raster, als man das sonst macht, da mitläuft.

    Müller: Aber Sie würden schon sagen, der Kölner muss schon sehr, sehr gutgläubig sein, um den Verantwortlichen jetzt in Zukunft Vertrauen zu schenken?

    Bökamp: Gestörtes Vertrauen ist natürlich immer schwer wiederherzustellen. Ich denke aber, dass wir halt eben durch alle Beteiligten und durch die Gesetzeslage und Vorschriftenlage ein so starres Regelwerk auch haben, wo alles eigentlich genau festgelegt ist. Man muss sich jetzt nur daran halten, und dafür müssen eben einige Personen jetzt eingesetzt werden, die darauf achten, dass das gemacht wird, und dann dürfte das auch funktionieren.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Bökamp: Vielen Dank!