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Koenigs: Deutschland muss helfen, Assad weiter zu isolieren

Das gewaltsame Vorgehen des syrischen Regimes sei "von einer Brutalität, wie wir ihn auch im arabischen Raum nicht kennen", sagt Grünen-Politiker Tom Koenigs. Deutschland müsse eine Führungsrolle bei der Unterstützung der Aufständischen übernehmen - und Flüchtlingshilfe anbieten.

Das Gespräch führte Sandra Schulz | 06.02.2012
    Sandra Schulz: Syrien hat nicht mehr viele Verbündete, aber an Einfluss fehlt es denen nicht. Russland ist einer der wenigen Partner, denn die Regierung in Moskau will den Marinestützpunkt am Mittelmeer nicht missen, den Syrien ihm zur Verfügung stellt, und das Land von Präsident Assad gehört zu den wichtigsten Abnehmern russischer Waffen. Am Wochenende hat Russland mit seinem Veto im UN-Sicherheitsrat gemeinsam mit China eine Resolution gegen Syrien verhindert, neuen Meldungen zum Trotz über neue Gewalt der syrischen Sicherheitskräfte gegenüber den Oppositionellen. Von mehreren Hunderten Toten war die Rede und noch immer ist die Gewalt nicht gestoppt. Heute Morgen melden Menschenrechtler weitere 30 Tote.
    Gibt es nach dem Veto im UN-Sicherheitsrat überhaupt noch eine Perspektive für Frieden in dem Land? – Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich den Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, den Grünen-Politiker Tom Koenigs. Guten Morgen.

    Tom Koenigs: Guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: US-Außenministerin Clinton hat jetzt angekündigt, den Einsatz für einen friedlichen demokratischen Wandel in Syrien zu verdoppeln. Können Sie damit was anfangen?

    Koenigs: Erst mal konkret nicht. Ich finde es aber richtig, dass die Gemeinschaft, die ja immerhin die weite Mehrheit im Sicherheitsrat hat und praktisch die ganze Weltgesellschaft umfasst, zusammenbleibt und den Präsidenten Assad weiter isoliert, denn der führt einen Kampf, einen Krieg gegen das eigene Volk mit grausigen Folgen.

    Schulz: Im Gespräch ist jetzt offenbar eine Kontaktgruppe. Wie müsste die konzipiert sein, damit sie überhaupt etwas bringen kann?

    Koenigs: Das Wichtige ist, dass man die Nachbarn und dann vor allem die arabischen Nachbarn zusammenhält. Die haben sich ja gestern sehr deutlich ausgesprochen, sowohl der Ministerpräsident von Tunesien als auch der von Marokko. Das ist wichtig, dass gerade die arabischen Nachbarn dabei bleiben, denn alles Andere wäre ein Zerfallen dieses Bündnisses, was ja sehr stark ist. Ich fand auch die Nachricht des türkischen Außenministers, alle Flüchtlinge, aber absolut alle – das hat er sehr deutlich gesagt - aufzunehmen, wichtig. Ich glaube, das könnte auch Deutschland sich zum Vorbild machen.

    Schulz: Aber wenn wir auf das schauen, was bisher gelaufen ist - die Beobachtermission der Arabischen Liga gilt als gescheitert, der UN-Sicherheitsrat jetzt, wie gesagt, gelähmt -, wie kann die Gewalt in Syrien beendet werden?

    Koenigs: Wahrscheinlich können das nur die syrischen Aufständischen selber machen, indem sie immer mehr Verbündete sammeln. Es ist ja offensichtlich so, dass sie den fast einjährigen Widerstand, der zunächst ja lange, lange Monate gewaltfrei war, aufrechterhalten können. Auf Dauer kann natürlich niemand einen Krieg gegen das eigene Volk führen, und das zeigt sich ja jetzt auch in den Hochburgen des Widerstands, Homs und Hama, die ja auch eine Tradition haben im Widerstand.

    Schulz: Jetzt ist die Resolution am Wochenende also abgeprallt an Russland und China. Können Sie das noch ein bisschen konkretisieren, was heißt das für das Land?

    Koenigs: Das heißt für das Land zunächst, dass es keine einheitliche Isolierung des Präsidenten gibt, wie man gehofft hat, sondern dass der wichtigste Verbündete Russland, der vor allem ökonomische und geostrategische Interessen hat, dabeibleibt. Das führt aber auch zu einer Isolation dieser Länder, Russland vor allem, aber auch China, und die Rechtfertigung, die China jetzt bringt, dass die Resolution nicht ausgewogen war, ist natürlich völlig abwegig, denn die Resolution war abgemildert und war in einer Weise schon kompromisslerisch, dass manche sich gefragt haben, ob man dem überhaupt noch zustimmen konnte. Es hat aber deutlich gezeigt, dass Assad isoliert ist.

    Schulz: Die Frage wollte ich Ihnen gerade stellen. Es war zuletzt ein Entwurfstext, der kursierte, da war nicht mal mehr die Rede vom Rücktritt Assads. Hätte so eine Resolution überhaupt was gebracht?

    Koenigs: Die Resolution hätte nur zeigen können – und das ist ja das, was die internationale Gemeinschaft zurecht versucht, dass Assad immer weiter isoliert ist, isoliert wird, es werden hinter der Resolution immer mehr Nachbarn versammelt und politische Kräfte. Das ist ja ein richtiger Weg in den Vereinten Nationen. Dass das dann zu Kompromissen führt, die einige dann fast schon ekelhaft finden, das ist richtig, das muss man aber vielleicht in Kauf nehmen. Insgesamt ist die Situation so dramatisch, dass man eigentlich alles tun muss, um ein weiteres Blutvergießen dort zu verhindern, denn das ist ja ein Krieg von einer Brutalität, wie wir ihn auch im arabischen Raum nicht kennen.

    Schulz: Gehen Sie denn davon aus, dass alle Möglichkeiten tatsächlich ausgereizt waren, um Russland und China umzustimmen?

    Koenigs: Ich glaube, es gibt noch einige Möglichkeiten, sowohl um Russland und China umzustimmen und dann ihrerseits mit ihrer Position auch zu isolieren, als auch gegenüber dem Assad-Regime. Der marokkanische Botschafter vor den Vereinten Nationen hat angeregt, und auch der tunesische Ministerpräsident, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen. Das wäre ein demonstrativer Schritt. Es gäbe sicher auch noch weitere im Vermögensbereich, denn die Familie Assad ist ja auch finanziell ein großer Räuber.

    Schulz: Gibt es Erwartungen, die Sie konkret an die Bundesregierung haben?

    Koenigs: Ich glaube, es ist richtig, dass die Bundesregierung sich, wenn nicht an die Spitze, so doch in die Führung im Sicherheitsrat der Bemühungen stellt, Assad weiter zu isolieren, die Aufständischen zu unterstützen, vor allem moralisch - anders können das nur die direkten Nachbarn machen -, und dass die Bundesregierung deutlich sagt, wir werden Flüchtlinge aufnehmen, und zwar unabhängig von der Person.

    Schulz: War die Bundesregierung da bisher deutlich genug?

    Koenigs: Nein, da war sie insbesondere in der Flüchtlingsfrage nicht deutlich genug. Man muss auch denen, die hier im Exil sind, deutlich sagen, wir unterstützen eure Bemühungen und eure Unterstützungen derer, die im Lande kämpfen, oder im Lande leiden. Das muss man sehr deutlich machen und da auch ein anderes Verhältnis zu der in Deutschland ja sehr großen syrischen Gemeinde finden.

    Schulz: Wenn wir jetzt noch mal auf die Prognose für das Land schauen – wir haben vor ungefähr zwei Stunden mit unserem Korrespondenten gesprochen. Er sagt, ein Szenario, ein 15 Jahre langer Bürgerkrieg sei jetzt nicht mehr das Unwahrscheinlichste. Welches Szenario halten Sie für wahrscheinlich?

    Koenigs: Das sind natürlich Spekulationen. Man muss leider sehen, dass in der 40jährigen Geschichte der Regierungen Assad der Vater fürchterliche Massaker angerichtet hat, und das steht auch jetzt noch zu befürchten beziehungsweise das läuft, weil ja Tausende schon umgekommen sind. Ich glaube aber, der Widerstand ist zäh und auf die Länge hält es kein Diktator aus, dass die ganze Nachbarschaft und das Volk gegen ihn ist.

    Schulz: Glauben Sie, die Tage oder sagen wir vielleicht Monate für Assad sind gezählt?

    Koenigs: Ja, das glaube ich ganz entschieden, und ich glaube auch, dass es ein Gesichtsverlust von Russland vor allem sein wird, der viele andere Niederlagen, die sie vorher hatten, übertreffen wird. Aber man darf nicht vergessen: Russland hat zum Beispiel auch den Milosevic bis zum Ende unterstützt und Russland ist da relativ unempfindlich.

    Schulz: Tom Koenigs von den Grünen, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, heute in den "Informationen am Morgen" hier im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank.

    Koenigs: Danke auch, Frau Schulz.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.