Man hört Atemgeräusche, man sieht eine sonnendurchflutete Sommerlandschaft, Gras, Bäume, ein Fluss, ein Bergsee. Dann Früchte: Himbeeren in einer Hand, eine aufgebrochene Papaya an einem Mädchenmund, eine Rosenblüte, Vögel auf Ästen, Fische, Schmetterlinge, eine Biene, Blüten, fließender Honig, Füße, Brüste, Arme, Münder, eine Offstimme, die von Natur erzählt, von Tagträumen und Sinneseindrücken und immer wieder ein offener Mund, der betont einatmet ...
Eine so assoziative wie genau komponierte Montage aus nur scheinbar unzusammenhängenden Bildern und Tönen, die sich zu einem bezwingenden Bewusstseinsstrom zusammenfügt, der uns in einen Garten Eden zurückführt und in das verlorene Paradies aus Adoleszenz und Entdeckung der Sexualität. Man erinnert sich an Filme von Jane Campion, Sofia Coppola und Lucille Halilhazovic - drei Frauen, die im Kino einen ganz eigenen Blick auf die sinnlichen Gewissheiten unseres Lebens geworfen haben, einen Blick, der so analytisch kühl ist, wie konkret, nie kalt distanziert.
Das Thema, das hier unaufdringlich, aber zwingend in zwölf Minuten auf der Leinwand entfaltet wird, ist die Natur und die Körperlichkeit. Ein Film, der trotz der Begrenzung auf zwei Filmdimensionen vieldimensional wirkt.
Er heißt "Swallow" und stammt von der in London lebenden französischen Künstlerin Laure Prevost und lief bei den Oberhausener Kurzfilmtagen im internationalen Wettbewerb. Bei der Preisverleihung gestern Abend ging er unverdientermaßen leer aus. Doch wenige Filme passten so gut zu dem übergreifenden Thema und der sie in zahlreichen Podiumsdiskussionen umspinnenden Debatte der diesjährigen Kurzfilmtage.
Es ist in Oberhausen guter Brauch, ein Thema zu setzen und die Fülle der jährlichen auch immer ein bisschen zufällig wirkenden Formen und Themen der Programme, die Hunderte von Kurzfilmen zwischen 1 und 60 Minuten zeigen, zu bündeln und mit einer Fragestellung zu strukturieren.
Diesmal war diese Frage besonders provokativ: Es war das schon oft prognostizierte Ende des Kinos und das Auswandern der Filme aus dem sozialen Raum Kino in den asozialen heimischen Computerscreen oder die elitären Elfenbeintürme des großbürgerlichen Museums, in denen jedem Werk im Schnitt weniger als eine Minute Aufmerksamkeitsspanne zur Verfügung steht.
"Flatness", also Flachheit war der Titel der diesjährigen Sonderschau, die sehr betont diesmal die früheren Retrospektiven ersetzen sollte und eine Art unausgesprochener Retrospektive der Zukunft entwerfen.
Der Titel spielte sowohl auf den Boom der Flachbildschirme an, wie auf die Flächigkeit der Bilder, auf flache Dramaturgien und auf oberflächliche Zuschauer, auf die digitale Inflation, die allgemeine Entwertung der Bilder in Zeiten des visual turn. Und schließlich ging es um die neue Künstlichkeit, den betonten Anti-Realismus dieser neuen Bilder.
"Flatness" erwies sich auch als ein durchaus treffendes Konzept zur Filmanalyse, freilich vielleicht in einem anderen Sinn, als es von den fast ausschließlich britischen Kuratoren der Sonderreihe intendiert war.
Denn kaum einer der für den kleinen Bildschirm fabrizierten Filme vermochte auf der großen Leinwand standzuhalten. Zu seicht, zu belanglos wirkte all das. Albern wurde es, als man auch noch vor einem digitalen Standbild zu singen und zu performen anfing. Mit Kino als spezifischem Raum hatte all das überhaupt nichts zu tun.
Und so degradierte sich ein Festival, das doch der Entwertung des Kinobildes Widerstand leisten könnte und sollte selbst zur reinen Abspielfläche beliebiger Bilder. Und als dann noch zum Ende der Reihe ein Film von Rohmer, "Perceval Le Gallois" gezeigt wurde - nur um das fast dreistündige Werk nach vier Minuten abzubrechen, rebellierten viele Oberhausener Zuschauer. So kann man mit Kino nicht umgehen - zugleich bestätigte die ganze Schau unter der Hand den optimistischen Befund, dass die Kraft des Kinos auch in Zeiten der Digitalisierung ungebrochen ist.
Die beste Widerlegung der Flatness-Theorems waren aber die Filme des übrigen Programms: Der Große Preis der Stadt Oberhausen ging an einen Film aus der Türkei: "Off-White Tulips" - zu deutsch etwa: "Gebrochen weiße Tulpen" - von Aykan Safoğlu ist eine Hommage an den exilierten schwarz-amerikanischen Schriftsteller James Baldwin, dessen Leben in der Türkei der Regisseur mit einer eigenen Erkundung seines Heimatlandes verknüpft - eine Außenseiterexistenz in unserer Zeit.
O-Ton aus "Ein Gespenst geht um in Europa":
"Und auf die Erbschaft zurückkommend legt er den Gedanken nahe, eine Erbschaft sei eine an sich ungerechte Sache, obwohl er sich über diese freue, und werde eines Tages bei der nächsten Revolution abgeschafft."
Ein weiteres Highlight in Oberhausen widmet sich ebenfalls einem Schriftsteller: Julian Radlmeier, Student an der Berliner DFFB, folgt in seinem 45-Minüter "Ein Gespenst geht um in Europa" dem sowjetischen Revolutionsdichter Wladimir Majakowski und versetzt ihn ins heutige Berlin, in die Welt der Zeitarbeiter und der hyperkapitalistischen Ausbeutung. "Eine suprematistische Komödie" nennt der Regisseur seinen sehr witzigen, auch gewitzten Film, in dem im Unterschied zu manch anderem Werk Form und Inhalt eine innige Verbindung eingehen. Eines der zu seltenen Beispiele, in denen ein junger Filmemacher Mut zeigt statt vorauseilendem Gehorsam, sich nicht formatierten Sehgewohnheiten anpasst, sondern versucht, neue zu prägen.
Eine so assoziative wie genau komponierte Montage aus nur scheinbar unzusammenhängenden Bildern und Tönen, die sich zu einem bezwingenden Bewusstseinsstrom zusammenfügt, der uns in einen Garten Eden zurückführt und in das verlorene Paradies aus Adoleszenz und Entdeckung der Sexualität. Man erinnert sich an Filme von Jane Campion, Sofia Coppola und Lucille Halilhazovic - drei Frauen, die im Kino einen ganz eigenen Blick auf die sinnlichen Gewissheiten unseres Lebens geworfen haben, einen Blick, der so analytisch kühl ist, wie konkret, nie kalt distanziert.
Das Thema, das hier unaufdringlich, aber zwingend in zwölf Minuten auf der Leinwand entfaltet wird, ist die Natur und die Körperlichkeit. Ein Film, der trotz der Begrenzung auf zwei Filmdimensionen vieldimensional wirkt.
Er heißt "Swallow" und stammt von der in London lebenden französischen Künstlerin Laure Prevost und lief bei den Oberhausener Kurzfilmtagen im internationalen Wettbewerb. Bei der Preisverleihung gestern Abend ging er unverdientermaßen leer aus. Doch wenige Filme passten so gut zu dem übergreifenden Thema und der sie in zahlreichen Podiumsdiskussionen umspinnenden Debatte der diesjährigen Kurzfilmtage.
Es ist in Oberhausen guter Brauch, ein Thema zu setzen und die Fülle der jährlichen auch immer ein bisschen zufällig wirkenden Formen und Themen der Programme, die Hunderte von Kurzfilmen zwischen 1 und 60 Minuten zeigen, zu bündeln und mit einer Fragestellung zu strukturieren.
Diesmal war diese Frage besonders provokativ: Es war das schon oft prognostizierte Ende des Kinos und das Auswandern der Filme aus dem sozialen Raum Kino in den asozialen heimischen Computerscreen oder die elitären Elfenbeintürme des großbürgerlichen Museums, in denen jedem Werk im Schnitt weniger als eine Minute Aufmerksamkeitsspanne zur Verfügung steht.
"Flatness", also Flachheit war der Titel der diesjährigen Sonderschau, die sehr betont diesmal die früheren Retrospektiven ersetzen sollte und eine Art unausgesprochener Retrospektive der Zukunft entwerfen.
Der Titel spielte sowohl auf den Boom der Flachbildschirme an, wie auf die Flächigkeit der Bilder, auf flache Dramaturgien und auf oberflächliche Zuschauer, auf die digitale Inflation, die allgemeine Entwertung der Bilder in Zeiten des visual turn. Und schließlich ging es um die neue Künstlichkeit, den betonten Anti-Realismus dieser neuen Bilder.
"Flatness" erwies sich auch als ein durchaus treffendes Konzept zur Filmanalyse, freilich vielleicht in einem anderen Sinn, als es von den fast ausschließlich britischen Kuratoren der Sonderreihe intendiert war.
Denn kaum einer der für den kleinen Bildschirm fabrizierten Filme vermochte auf der großen Leinwand standzuhalten. Zu seicht, zu belanglos wirkte all das. Albern wurde es, als man auch noch vor einem digitalen Standbild zu singen und zu performen anfing. Mit Kino als spezifischem Raum hatte all das überhaupt nichts zu tun.
Und so degradierte sich ein Festival, das doch der Entwertung des Kinobildes Widerstand leisten könnte und sollte selbst zur reinen Abspielfläche beliebiger Bilder. Und als dann noch zum Ende der Reihe ein Film von Rohmer, "Perceval Le Gallois" gezeigt wurde - nur um das fast dreistündige Werk nach vier Minuten abzubrechen, rebellierten viele Oberhausener Zuschauer. So kann man mit Kino nicht umgehen - zugleich bestätigte die ganze Schau unter der Hand den optimistischen Befund, dass die Kraft des Kinos auch in Zeiten der Digitalisierung ungebrochen ist.
Die beste Widerlegung der Flatness-Theorems waren aber die Filme des übrigen Programms: Der Große Preis der Stadt Oberhausen ging an einen Film aus der Türkei: "Off-White Tulips" - zu deutsch etwa: "Gebrochen weiße Tulpen" - von Aykan Safoğlu ist eine Hommage an den exilierten schwarz-amerikanischen Schriftsteller James Baldwin, dessen Leben in der Türkei der Regisseur mit einer eigenen Erkundung seines Heimatlandes verknüpft - eine Außenseiterexistenz in unserer Zeit.
O-Ton aus "Ein Gespenst geht um in Europa":
"Und auf die Erbschaft zurückkommend legt er den Gedanken nahe, eine Erbschaft sei eine an sich ungerechte Sache, obwohl er sich über diese freue, und werde eines Tages bei der nächsten Revolution abgeschafft."
Ein weiteres Highlight in Oberhausen widmet sich ebenfalls einem Schriftsteller: Julian Radlmeier, Student an der Berliner DFFB, folgt in seinem 45-Minüter "Ein Gespenst geht um in Europa" dem sowjetischen Revolutionsdichter Wladimir Majakowski und versetzt ihn ins heutige Berlin, in die Welt der Zeitarbeiter und der hyperkapitalistischen Ausbeutung. "Eine suprematistische Komödie" nennt der Regisseur seinen sehr witzigen, auch gewitzten Film, in dem im Unterschied zu manch anderem Werk Form und Inhalt eine innige Verbindung eingehen. Eines der zu seltenen Beispiele, in denen ein junger Filmemacher Mut zeigt statt vorauseilendem Gehorsam, sich nicht formatierten Sehgewohnheiten anpasst, sondern versucht, neue zu prägen.