Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Kohlekraft in Kattowitz
Kein Klimaschutz am Ort der nächsten UN-Klimakonferenz

Laut Weltgesundheitsorganisation WHO liegen 33 der 50 schlimmsten europäischen Smog-Städte in Polen, die meisten davon in und um das schlesische Kohlerevier. Am 3. Dezember beginnt ausgerechnet dort, in Kattowitz, die 24. UN-Klimakonferenz. Die Menschen auf dem Land leiden noch mehr als die in der Stadt.

Von Alois Berger | 23.11.2018
    Braunkohle-Kraftwerk Turow in Polen
    Polens Regierung möchte so lange wie möglich an der Kohle festhalten (picture alliance / CTK / Radek Petrasek)
    Auf dem kleinen Brunnenplatz vor der Breslauer Universität sitzen ein paar Studenten in der letzten Spätherbstsonne. Die Luft ist milchig und riecht nach Kohleöfen. Am frühen Morgen ist die Luft noch schlechter, erzählt die 20jährige Carolina, jetzt geht’s gerade, aber am Abend, wenn die Leute von der Arbeit kommen und die Öfen anheizen, dann wird die Luft wieder zum Schneiden sein:
    "Es ist schrecklich. Die Verschmutzung ist so stark, dass man kaum noch was erkennen kann. Alles ist grau, und das bleibt dann den ganzen Winter so."
    Die Studentin erinnert sich noch gut an die letzten Winter, als der Smog wochenlang über der Stadt und über der ganzen Region hing. In Rybnik bei Kattowitz wurden Schulen und Kindergärten geschlossen, weil die Luftverschmutzung die Gesundheit der Kinder gefährdete. Kurorte mussten die Kurtaxe zurückzahlen, weil die Luft nicht heilsam, sondern schädlich war. Der 22jährige Germanistikstudent Mikel geht fest davon aus, dass es in diesem Jahr nicht anders sein wird:
    "Als Vorsorge kaufen wir uns auch Atemmasken. Ich hab auch so eine Maske, und im Winter trage ich die auch, vor allem, wenn die Grenzwerte wieder um das Sieben- oder Achtfache überschritten werden. Die Maske zieht man über Mund und Nase. Die kriegt man überall und man kann in den Geschäften ausprobieren, welche am besten passt."
    "Wir nehmen Smog nicht so ernst wie in Westeuropa"
    An einigen Trambahnhaltestellen hängen Zettel, auf denen die Stadtverwaltung die aktuellen Smogwerte mitteilt. Manchmal kommt es vor, erzählen die Studenten, dass die Stadt empfiehlt, man solle besser zuhause bleiben und jeden Aufenthalt im Freien vermeiden. Aber da müsse die Luft schon sehr dick sein, sagt Danuta:
    "Ich glaube, dass wir in Polen Smog nicht so ernst nehmen wie in Westeuropa. Was bei uns noch als gute Luft durchgeht, das würde in Deutschland bereits als starke Luftverschmutzung gelten. Aber ich bin keine Expertin."
    Ein paar Schritte weiter sitzt Alina Jurasz in der Herbstsonne und bereitet sich auf die nächste Stunde vor. Sie unterrichtet seit 30 Jahren Germanistik an der Breslauer Universität. Sie ist in Schlesien geboren und aufgewachsen. Schmutzige Luft hatten wir hier immer, sagt sie, es hat bloß niemanden gekümmert:
    "Das wurde nicht problematisiert, darüber wurde früher überhaupt nicht diskutiert, nicht gesprochen. Erst in den letzten Jahren wurde die Luftverschmutzung gemessen und öffentlich bekanntgegeben. Und auf diese Weise wurde uns bewußt, dass das ein Problem ist.
    Schuld an der dicken Luft in weiten Teilen Schlesiens ist die Kohle. Das hat auch mit der sozialistischen Vergangenheit zu tun. Im Ostblock war Polen einer der wichtigsten Kohlelieferanten für alle Mitglieder des Blocks. Die Sowjetunion hatte dem Bruderstaat ausdrücklich untersagt, andere Energien zu fördern und auszubauen.
    Das wirkt nach. Noch immer kommen 90 Prozent des polnischen Stroms aus Kohlekraftwerken. Die sind zwar viel sauberer als früher, weil sie inzwischen europäische Umweltstandards einhalten müssen. Aber wenn soviel Kohle verbrannt wird wie in Polen, dann entsteht nun mal viel Feinstaub und viel CO2, trotz aller Filteranlagen. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO liegen 33 der 50 schlimmsten europäischen Smog-Städte in Polen, die meisten davon in und um das schlesische Kohlerevier. Das Europäische Umweltbüro schätzt, dass jedes Jahr rund 5.000 Polen wegen des Feinstaubs aus den Kohlekraftwerken vorzeitig sterben. Dass der Smog ungesund ist, das spürten alle, erzählt Alina Jurasz, wenn wieder geheizt werde:
    "Da atmet man schwer, und da wird man schneller krank. Also es geht hier um Atemwege, Schnupfen, Halsschmerzen."
    Schlechte Qualität der Kohle - starke Luftverschmutzung
    Polens Regierung aber möchte so lange wie möglich an der Kohle festhalten. Anders als Erdöl oder Gas kommt die Kohle aus dem eigenen Boden. Kohle steht deshalb in Polen für Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Doch selbst Kraftwerksbetreiber klagen, dass die einheimische Kohle immer schlechter werde. Die Vorkommen sind weitgehend ausgebeutet, der Brennwert der Kohle wird geringer, der Schwefelgehalt höher – und das führt zu entsprechend starker Luftverschmutzung.
    Besonders darunter leiden die Menschen auf dem Land. Die Studentin Alicia kommt aus einem kleinen Dorf in den südpolnischen Bergen. Die Luft dort sei schlechter als in der Stadt:
    "Es stimmt nicht, dass größere Städte eine höhere Luftverschmutzung haben. Im Gegenteil. In den Dörfern ist es viel schlimmer. Das liegt an den schlechten Kaminen, an den schlechten Öfen und an der schlechten Kohle, die dort verbrannt wird. Wenn ich in meinem Heimatdorf bin, dann kann ich das riechen, das ist viel schlimmer als hier in der Stadt."
    Die bessere polnische Kohle geht an die Strom- und Fernwärme-Kraftwerke. Denn die müssen die EU-Vorgaben erfüllen. Vieles, was für die Kraftwerke zu schlecht ist, landet in Kohlenhandlungen und Baumärkten. Und in den Öfen landet noch ganz anderes: Die Studenten auf dem Brunnenplatz vor der Breslauer Uni erzählen, dass längst nicht nur billige Kohle verbrannt wird. Viele Leute verheizen einfach ihren Müll, erzählen Carolina und Alicia, die würden sogar Plastik verbrennen:
    "Das ist ein großes Problem in den Dörfern: Wir leben im 21. Jahrhundert und die Leute verheizen ihren Plastikmüll."
    Strafen für private Müllverbrennung niedrig
    Seit einiger Zeit versucht die Regierung, hier gegenzusteuern. Doch die Strafen für die private Müllverbrennung sind niedrig, und Förderprogramme für neue Öfen und Kamine werden bisher nur sehr zögerlich angenommen. Es gebe bei vielen Leuten einfach kein Problembewusstsein, findet Carolina:
    "Für einen neuen Kamin muss man einiges umbauen, dazu haben die Leute keine Lust. Aber ich denke, die Jüngeren, so bis Anfang 30, die wissen inzwischen, was Smog anrichte und dass man zum Beispiel kein Plastik verbrennt. Aber bei den Älteren, da hab' ich Zweifel, vor allem bei den über 60-Jährigen."