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Koizumis schwieriger Reformkurs

Peter Lange: Japan hat gewählt und ähnlich wie vor einem Jahr für Gerhard Schröder lässt sich nun auch für den japanischen Regierungschef Koizumi feststellen: es hat noch mal gereicht. Seine Partei, die LDP, hat Verluste einstecken müssen, aber die beiden Koalitionspartner sind stabil geblieben und die oppositionellen Demokraten haben deutlich gewonnen. Politisch dürfte also erst einmal alles beim Alten bleiben in Tokio. Die Wähler haben Koizumi bestätigt, trotz oder wegen seiner Reformansätze, das ist eine der offenen Fragen. Am Telefon begrüße ich den Japankenner Professor Manfred Pohl, er ist Politikwissenschaftler am Ostasieninstitut der Universität Hamburg. Das war nun das erste Mal, dass sich Koizumi mit seiner Politik den Wählern stellen musste. Mit dem erwarteten Ergebnis, Herr Pohl?

    Manfred Pohl: Eigentlich nicht. Er hat sich bestimmt mehr versprochen. Ich denke einmal, die erste Absage an seine Politik war die geringe Wahlbeteiligung. Das ist natürlich für Japan nicht ganz ungewöhnlich, aber er hat bestimmt erwartet, dass die japanischen Bürgerinnen und Bürger ihn mit einem stärkeren Mandat in die nächste Reformphase schicken würden. Das wird für ihn sehr schwierig werden.

    Lange: Aber ohne ihn wäre seine Partei doch sicherlich noch stärker abgestraft worden.

    Pohl: Völlig richtig. Ohne ihn wäre die LDP wahrscheinlich richtig abgestürzt. Er hat sich ja selbst immer als Löwenherz stilisiert und damit hatte er auch bestimmt viele Wähler gewinnen können, nur seine wirklichen Gegner sitzen in der eigenen Partei, das ist das Problem. Und das heißt, auf dem Lande, in den Kleinbetrieben und auch in den Wirtschaftskreisen ist er nicht als Reformer, sondern als Gegner bekannt und wird auch als solcher bekämpft, das ist sein Problem gewesen. Wenn er oder seine Partei mit einer großen überzeugenden Mehrheit einer starken Wahlbeteiligung gewählt worden wäre, dann könnte er ganz anders handeln. Jetzt ist er gefesselt. Andererseits kann man natürlich sagen, dadurch, dass die Oppositionspartei, die demokratische Partei, so stark geworden ist, können wir auf ein Zwei-Parteien-System blicken und das wird Japans Politik endlich wieder ein wenig spannend machen.

    Lange: Ihm wird zugutegehalten, dass er in Japan Reformen eingeleitet hat, was man ihm wohl vorher gar nicht so zugetraut hat, andererseits heißt es, er sei zu zaghaft. Was stimmt oder stimmt vielleicht beides?

    Pohl: Beides, man darf nur nicht vergessen, dass er natürlich aus demselben Holz geschnitzt ist, wie die früheren Machthaber seiner Partei. Sein Vorgänger Mori ist zugleich auch sein Ziehvater. Er ist zwar eine schrille Erscheinung, wenn man ihn so in der Öffentlichkeit sieht, aber er ist natürlich ein in der Wolle gefärbter Konservativer. Das heißt, er kann diese Reformen, die er angekündigt hat, nicht so schnell gegen seine Partei umsetzen, wie er es vielleicht gerne möchte.

    Lange: Und wenn ich Sie richtig verstehe, kann man mit dieser Partei, die fast 50 Jahre ununterbrochen an der Macht ist, im Grunde auch nicht mehr richtig Start machen.

    Pohl: Das ist richtig, diese Partei ist reformunfähig. Im Grunde müsste er diese Partei zerschlagen und vielleicht wäre es sogar möglich, irgendwann einmal mit der Opposition zusammenzugehen. Aber die Partei, die er leitet und für die er die Regierung führt, ist nach meiner Auffassung nicht reformfähig.

    Lange: Was steht denn jetzt in erster Linie an, wenn es um Strukturreformen in Japan geht? Ein soziales Netz, das wild gewuchert wäre und das man zurückschneiden müsste, gibt es doch in dem Sinne gar nicht.


    Pohl: Nein, welche Reformen wirklich notwendig sind, sind die Reformen des Altersversorgungs-, des Post- und vor allen Dingen natürlich des Bankensystems. Die Banken in Japan sind überschuldet und müssten eigentlich völlig neu strukturiert werden, aber hinter diesem Bankensystem stehen natürlich organisierte Interessen, die eine solche Reform fast unmöglich machen. Hinzu kommt, dass zahlreiche Staatsunternehmen eigentlich reformiert werden müssen, an erster Stelle die Unternehmen, die die Schnellstraßen in Japan betreiben. Das wäre unbedingt nötig. Nur sind hier einfach verflochtene Interessen, die über Jahrzehnte gewachsen sind und die kann Koizumi eigentlich in der Zeit, die ihm bleibt, nicht auflösen und wirklich gründlich reformieren. Dazu braucht er mehr Zeit und man kann nur hoffen, dass ihm diese Zeit auch bleibt.

    Lange: Was hat nun dann der durchschnittliche Japaner von der nächsten Amtszeit der Regierung Koizumi konkret zu erwarten?

    Pohl: Eigentlich nur Belastungen, denn wie auch bei uns in Deutschland, kann Koizumi die Reformen, die er anstrebt, nur wirklich umsetzen, indem er den normalen japanischen Bürger belastet. Das heißt, es werden möglicherweise Steuererhöhungen kommen, es werden höhere Beiträge für die Altersversorgung zu erwarten sein und die gewachsenen Interessen, zum Beispiel in der ländlichen Bevölkerung oder beim Kleingewerbe, wird er verletzen müssen. Anders kann er diese Reformen nicht umsetzen.

    Lange: Japan gilt nun einige Jahre schon als "der kranke Mann" Ostasiens. Einige Experten sehen die Wirtschaftskrise nun überwunden, andere sagen, das bisschen Aufschwung ist noch nichts. Wo steht denn Japan aus Ihrer Sicht?

    Pohl: Nach meiner Auffassung ist das Tal durchschritten. Ich denke schon, dass die japanische Entwicklung jetzt wieder nach oben gehen wird und vergessen wir nicht: Japan mag aus unserer Sicht als "der kranke Mann" Asiens erscheinen, aber es ist natürlich immer noch eine wirtschaftliche Supermacht, das wird leicht in den Kommentaren übersehen. Die japanischen Unternehmen sind enorm innovationsfähig und sie sind auf diesem Wege. Ich denke, in den nächsten Jahren wird Japan wieder ganz massiv als Konkurrenz, Partner und Lokomotive in der Region auftauchen. Da bin ich sehr optimistisch.

    Lange: Kommen wir noch mal auf die Opposition zu sprechen. Die demokratische Partei ist ja eine vergleichsweise neue Erfindung oder Neugründung, die hat deutlich hinzugewonnen. Wo und wofür steht sie politisch?

    Pohl: Im Grunde ist es ein Ableger der LDP. Vergessen wir nicht: der Chef der demokratischen Partei und die meisten Politiker in dieser Gruppe, sind ehemalige LDP-Politiker. Im Grunde ist es sozusagen der erneuerungsfähige Zweig der alten LDP. Koizumi hat das Problem, dass er sozusagen mit einer Familienstreitigkeit zu tun hat, denn die demokratische Partei ist nichts anderes als die Tradition der jüngeren LDP. Insofern ist das für ihn gefährlich.

    Lange: Aber wenn das doch die glaubwürdige Alternative zur LDP sein könnte, warum hat es jetzt mit dem Machtwechsel dann doch noch nicht geklappt?

    Pohl: Weil nach wie vor die Klientelpolitik in Japan dominiert. Es ist eben noch die bäuerliche Bevölkerung und die der kleineren und mittlerem Betriebe, die sich für die LDP entschieden haben, weil diese LDP für diese Sonderinteressen steht. Für mich war bei der Wahl die niedrige Wahlbeteiligung das Bedenkliche. Wäre sie höher gewesen, denke ich, wäre es für die LDP wirklich bedenklich gewesen. Die Buddhisten und die ganz winzige konservative Partei sind dabei nicht so entscheidend. Wären mehr Wähler zur Wahl gegangen, hätte es für die LDP sehr bedenklich ausgesehen.

    Lange: Das war Manfred Pohl, Politikwissenschaftler am Ostasieninstitut der Universität Hamburg, vielen Dank für das Gespräch.