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Kollaborateur und Widerstandskämpfer

Als oberster Polizeichef war René Bousquet zur Freude der Nationalsozialisten einer der erfolgreichsten Judenjäger Frankreichs. Doch der Franzose war nicht nur Kollaborateur, er wurde auch als Widerstandskämpfer aktiv, als das Blatt sich wendete. Dennoch kam Bousquet nach dem Krieg für die Deportation von 60.000 Juden mit einer milden Strafe davon. Vor 15 Jahren setzte ein Attentat seinem Leben ein jähes Ende.

Von Peter Hölzle | 08.06.2008
    "Mord an René Bousquet. Er wurde heute morgen in seiner Wohnung von einem Geistesgestörten niedergeschossen."

    Die Spitzenmeldung in den Mittagsnachrichten des französischen Rundfunks und Fernsehens an jenem Dienstag, dem 8. Juni 1993, war das beherrschende Thema nicht nur in Paris,
    wo sich die Tat ereignete, sondern in ganz Frankreich, denn: An René Bousquet scheiden sich bis heute die Geister.

    Einer schrumpfenden Zahl Franzosen ist er ein großer Patriot, der in schwerer Zeit die Nation vor dem Schlimmsten bewahrt hat. Der großen Mehrheit indessen gilt er als einer der schlimmsten Kollaborateure mit Nazi-Deutschland. Und dies nicht ohne Grund.

    Als oberster Polizeichef der Regierung Pétain, die nach der Niederlage 1940 vom Badeort Vichy aus einen südfranzösischen Satellitenstaat von Hitlers Gnaden verwaltete, arbeitete Bousquet mit der deutschen Besatzungsmacht in Nordfrankreich eng zusammen, so eng, dass er sogar die Anerkennung des Reichsführers SS Heinrich Himmler fand. Über eine Begegnung Bousquets mit Himmler am 3. April 1943 in Paris berichtet der deutsche Gesandte Rudolf Schleier:

    ""Der Reichsführer SS war beeindruckt von der Persönlichkeit Bousquets. (...) Er sieht in ihm im Rahmen der Polizeizusammenarbeit einen wertvollen Mitarbeiter, (...) eine (...) starke und tatkräftige Persönlichkeit, die in der französischen Politik gewiss noch eine ungleich bedeutendere Rolle spielen wird als jetzt (...)."

    Himmler, der oberste Judenjäger des NS-Regimes, hatte allen Grund, mit René Bousquet zufrieden zu sein. In den neunzehn Monaten an der Polizeispitze von Vichy-Frankreich - zwischen April 1942 und Dezember 1943 - leistete er ganze Arbeit, die von einem folgenschweren Deal ausging, den Bousquet einfädelte.

    Für das von deutscher Seite nur mündlich gegebene Versprechen, französische Juden nicht zu behelligen, übernahm Bousquets Polizei die Jagd auf nicht-französische Juden in ganz Frankreich, und - sie war dabei sehr erfolgreich. 60.000 Juden wurden in Bousquets Amtszeit nach Auschwitz deportiert. Da überrascht, dass der Oberkollaborateur nach dem Krieg mit einer glimpflichen Strafe davon kam. Der Staatsgerichtshof sprach am 23. Juni 1949 folgendes Urteil:

    "Der Angeklagte Bousquet, René hat sich des Verbrechens der nationalen Schande schuldig gemacht. Ihm werden die bürgerlichen Ehrenrechte auf fünf Jahre aberkannt. Die Strafe wird
    aber aufgehoben, weil er aktiv und anhaltend am Widerstand gegen die Besatzungsmacht teilgenommen hat."

    Kollaborateur und Widerstandskämpfer in einer Person, das war für viele Karrieristen in der damaligen Zeit kein Widerspruch. Je näher das Kriegsende rückte, desto rascher begriffen sie,
    dass sie mit ihren Diensten für das mit Hitler verbündete Vichy-Frankreich auf das falsche Pferd gesetzt hatten. Also knüpften sie Kontakte zur Résistance.

    Bousquet bewegte sich da in "guter" Gesellschaft. Auch François Mitterrand war ein solcher Kollaborateur und Widerstandskämpfer. Nur begann der spätere französische Präsident schon
    etwas früher mit der Untergrundarbeit als Bousquet. Aber das gemeinsame Schicksal verbindet.

    Nicht zuletzt deshalb fand René Bousquet nach dem Krieg einflussreiche Freunde und machte dank seiner überragenden Intelligenz eine glänzende Bank- und Zeitungskarriere. Die fand freilich ein jähes Ende, als der Rechtsanwalt und Publizist Serge Klarsfeld 1979 Bousquets vergessene Rolle bei der Judenvernichtung in Frankreich aufdeckte.

    Aber zur Rechenschaft für seine Schreibtischtaten wurde er nie gezogen, weil ein in Frankreich Allmächtiger schützend die Hand über ihn hielt: der französische Präsident höchstselbst.

    "" (...) Nein - ein Vertrauter war er nicht. (...) Sicher ist er mir begegnet ( ...) zusammen mit anderen Personen","

    versuchte Mitterrand seine Beziehung zum früheren Polizeichef von Vichy nach dessen Ermordung kleinzureden. Aber die guten Dienste, die der ihm bei seinen Anläufen auf das Präsidentenamt durch Geld und publizistische Unterstützung gewährt hatte, waren ihm in dankbarer, wenn auch unausgesprochener Erinnerung geblieben. Dafür lohnte es sich sogar, die Mühlen der Justiz anzuhalten.

    Nach dem Attentat auf Bousquet war das nicht mehr nötig. Gleichwohl gibt es keinerlei Hinweise
    auf einen Auftragsmord. Nach allem, was wir wissen, handelte der Täter Christian Didier aus eigenem Antrieb.