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Koloniale Raubkunst
"Rückgabe nicht durch Provenienzforschung verzögern"

"Die Forderungen nach Restitution von Raubkunst gab es schon vor vierzig Jahren", erklärten die Wissenschaftler Felwine Sarr und Bénédicte Savoy im Rahmen einer Podiumsdiskussion. Beide sehen Deutschland auf einem guten Weg und plädieren für eine Veröffentlichung der Bestände.

Von Lorenz Rollhäuser | 15.01.2019
    Französische Kunsthistorikerin Benedicte Savoy (R) und senegalesischer Ökonom Felwine Sarr (L) am 21.03.2018 in Paris. - Die zwei Akademiker wurden von Emmanuel Macron beauftragt einen Leitfaden für Frankreich zum Umgang mit kolonialen Objekten herauszugeben
    Die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der senegalesische Ökonom Felwine Sarr (AFP / ALAIN JOCARD )
    Zunächst erläuterte Bénédicte Savoy, dass schon Ende der 1970er Jahre in Frankreich eine Kommission aus Fachleuten darüber beraten hatte, was mit den afrikanischen Kunstwerken in den ethnologischen Museen geschehen solle. Und dass man damals zum selben Schluss gekommen war wie heute: Man muss restituieren. Und dies auf der Basis einer ethischen Haltung, die auch als solche formuliert wurde.
    "Eine Geste der Solidarität und der Fairness. Das war 1980, vor vierzig Jahren, es ist alles schon gedacht worden. Und als wir das feststellten, dann war für uns klar, erstens, dass das, was wir vorschlagen, weder neu noch revolutionär ist, sondern schon dagewesen ist, und zweitens wurde uns aber gleichzeitig klar, wenn wir das nicht sehr deutlich sagen und sehr laut, dann gibt es genug Kräfte, die, wie vor vierzig Jahren, wieder dafür sorgen, dass es vergessen wird."
    Restitution auf Anfrage und nach Absprache
    Die Autoren nutzten dann die Gelegenheit, einige der Argumente zu entkräften, die gegen ihren Report immer wieder in Stellung gebracht werden, wenn es heißt, sie wollten die ethnologischen Museen leeren, und man könne doch nicht den Herkunftsländern die Artefakte einfach vor die Füße kippen. Felwine Sarr nannte das eine Karikatur, eine Entstellung ihrer Empfehlung, denn es sei selbstverständlich, dass Restitution nur auf Anfrage und nach Absprache erfolgen könne, genau wie das jetzt mit sechsundzwanzig Objekten aus der Republik Bénin, dem früheren Dahomey, geschehe, für die seit 2016 eine offizielle Bitte um Rückgabe vorliege.
    Gleichzeitig verwies er darauf, dass aufgrund des Reports in manchen Ländern Afrikas – Sarr erwähnte Gabun, die Elfenbeinküste, Burkina Faso und den Senegal - bereits Listen derjenigen Werke erstellt würden, die diese von Frankreich zurückfordern. Es komme also ein dialektischer Prozess in Gang, sobald in Europa die Bereitschaft zur Restitution formuliert würde.
    Inventarisierung für Forschungszwecke nutzen
    Auf die deutsche Situation bezogen, zeigte sich Bénédicte Savoy ausgesprochen zufrieden mit der Stellungnahme von Monika Grütters und Michelle Müntefering, die Restitutionen befürworten und zugleich davor warnen, Provenienzforschung zu nutzen, nur um Zeit zu schinden. Denn andernfalls sei man angesichts der Menge der Artefakte auch mit fünfzig Provenienzforschern noch die nächsten Jahrzehnte beschäftigt, ohne dass irgend etwas geschehe.
    "Vor der Provenienz noch müsste einfach das Inventar zugänglich gemacht werden und online gestellt werden, und dann kann jeder von uns seine Provenienzarbeit machen, denn bei diesen sehr vielen Objekten, Millionen von Objekten sind das, da müsste das so offen gemacht werden, dass jeder, der etwas denkt beitragen zu können, ob an der Universität oder in den Communities in Afrika, oder Juristen oder wer auch immer, dass man das einspeisen kann, das Wissen."
    Zugänglich machen, offenlegen, Kooperation mit allen Interessierten, das ist der Geist, den Sarr und Savoy einfordern und auf den sie auch im Untertitel des Reports verweisen: für eine neue Ethik der Beziehungen. Denn bei den geforderten Restitutionen geht es zwar einerseits um die Werke als solche, andererseits aber immer zugleich auch darum, in der Gegenwart Beziehungen zwischen Europa und Afrika aufzubauen, die nicht von Hierarchien bestimmt sind.
    Gesellschaftlichen Diskurs mitgestalten
    Auf die Frage, inwieweit der Umgang mit den ethnologischen Artefakten dabei nicht ein Nebenschauplatz sei, entgegnete Felwine Sarr sehr entschieden, er betrachte dies als einen Kampfplatz unter vielen anderen. Deutlich wurde so, dass Sarr und Savoy ihre Aufgabe als Wissenschaftler und Intellektuelle, getreu der französischen Tradition, darin sehen, auf Grund ihrer Expertise den gesellschaftlichen Diskurs mitzugestalten. Es ist diese eminent politische Haltung, die ihnen das Publikum mit Begeisterung dankte.
    Nach über acht Monaten intensivster Arbeit am Report wollen beide aber vor allem erst einmal zurück in die Lehre, zur Arbeit mit den Studierenden, und die Flamme an die Jüngeren weitergeben, wie es Bénédicte Savoy ausdrückte.