Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Kolumbien
Friedensgespräche mit zweitgrößter Guerilla-Gruppe

Während Kolumbiens Regierung in Havanna mit der FARC neu verhandelt, sollen am Donnerstag in Quito auch Gespräche mit der Nationalen Befreiungsarmee ELN (Ejercito Nacional de Liberación) aufgenommen werden. Präsident Santos sagte, nur mit der ELN "wird dieser Frieden vollständig sein".

Von Anne Herrberg | 27.10.2016
    Mitglieder der kolumbianischen ELN händigen ihre Waffen aus.
    Mitglieder der kolumbianischen ELN händigen ihre Waffen aus. (dpa / picture alliance / Mauricio Duenas Castaneda)
    Krieg. Wie das ist, wenn Freunde, die gerade noch da waren, plötzlich tot sind. Wie es riecht, wenn Ölpipelines brennen, wie man Angst unterdrückt, alle das lernt man, wenn man in Sur de Bolivar aufwächst, im Norden Kolumbiens. Und auch, wie man einen Gewehrlauf säubert. Selbst wenn man erst 13 Jahre alt ist. Wie Jera.
    "Die Waffen, das Marschieren, immerzu, und nicht widersprechen. So war das bei der ELN, die haben mich geholt, wie viele andere auch. Seit die FARC für den Frieden ist, haben die ELN angefangen, mehr zu rekrutieren."
    Jera wurde von Kolumbiens zweit größter Guerilla ELN, der selbsternannten Nationale Befreiungsarmee, zwangsrekrutiert – nun lebt sie weit weg von ihrer Heimat in einem Kinderdorf nahe Bogota. Ihre Mutter hatte sie nach wenigen Wochen aus den Reihen der ELN geholt. Das war vor einem halben Jahr. Nun wollen die Rebellen – in Ecuadors Hauptstadt Quito - ebenfalls Friedensgespräche mit der Regierung von Juan Manuel Santos aufnehmen.
    "Trotz aller Widrigkeiten wird der Frieden, den wir uns so sehr wünschen, an Stärke gewinnen, und nur mit der ELN wird der Frieden komplett sein."
    Der Friedensnobelpreisträger: Die Zeit drängt. Nach dem abgelehnten Friedensvertrag mit den FARC befindet sich Kolumbien in einer Art gefährlichem Schwebezustand, sagt auch Verteidigungsminister Luis Carlos Villegas
    Informelle Sondierungsgespräche seit zwei Jahren
    "Wir haben zwar einen Waffenstillstand, aber rund 6000 schwer bewaffnete FARC-Kämpfer ohne Ansage oder Zeitplan. Was mich enorm beunruhigt, ist der fortschreitende Zerfall des Zusammenhaltes der FARC, es gibt zunehmend Druck von kriminellen Banden und eben der ELN-Guerilla.
    Die ELN mit ins Boot zu holen, sei zentral. Bereits seit zwei Jahren laufen informelle Sondierungsgespräche. Zentraler Streitpunkt blieb bis zum Schluss: die Freilassung verbliebener Geiseln. Chefunterhändler der Regierung Juan Camilo Restrepo gab sich positiv, warnte jedoch.
    "Es werden keine einfachen Verhandlungen. Die ELN sind eine sehr kriegerische Gruppe. Wir sind guten Willens, aber ich warne auch vor zu großem Optimismus."
    Die ELN, die sich bei Gründung 1964 durch die kubanische Revolution und die Befreiungstheologie inspirierte, soll noch rund 2000 Kämpfer in ihren Reihen haben – wie werden sie wieder in die Gesellschaft integriert, mit welchen Rechten, welche Rechenschaft müssen sie über ihre Verbrechen ablegen? Bei vielen Themen gibt es Überschneidungen zu den Verhandlungen mit der FARC, doch jede Gruppe stehe für sich, sagt Guillermo Fernandez-Maldonado, der für die UN-Menschenrechtskommission in Kolumbien arbeitet.
    "Die ELN ist im Vergleich zur FARC weit weniger hierarchisch organisiert, stützt sich eher auf Pakte und Absprachen. Dabei ist die ideologische Komponenten noch stärker. Eine zentrale Forderung ist: Partizipation der Zivilgesellschaft. Aber genau das könne die Verhandlungen noch komplizierter machen
    Zahlreiche soziale Bewegungen haben Vorschläge erarbeitet, auch eine Kommission der Bischofskonferenz wird die Verhandlungen begleiten, für die neben Ecuador und Venezuela, auch Norwegen, Brasilien, Chile und Kuba als Garanten fungieren. Hoffentlich bekommen sie das hin, sagt Jera. Die ehemalige Kindersoldatin möchte nichts lieber, als wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können.