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Kolumbien
Nicht jeder traut dem Frieden

Am Sonntag werden die Kolumbianer über den Friedensvertrag mit der Rebellengruppe FARC abstimmen. Guillermo Arboledo ist Abt eines Benediktiner-Klosters in der Metropole Medellin. Ihm genügt die Vereinbarung nicht, die sozialen Probleme müssten gelöst werden, sagt er. "Solange es keine wirkungsvollen Programme gibt, um den Ärmsten zu helfen, wird dieser Konflikt weitergehen".

Von Corinna Mühlstedt | 28.09.2016
    Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos und der Kommandeur der FARC-Guerrilla-Organisation Timoleon Jimenez, alias Timochenko, geben sich beim Festakt in Cartagena die Hand.
    Festakt zur Unterzeichnung des historischen Friedensvertrages in Kolumbien. (AFP / Luis Acosta )
    "Im Hintergrund des Konfliktes stehen große soziale Probleme", erklärt Abt Guillermo Arboledo. "Kolumbien ist ein sehr reiches Land. Wir haben alles. Aber die sozialen Unterschiede sind enorm. Es gibt bei uns eine kleine äußerst vermögende Oberschicht, und Millionen von Menschen, die absolut nichts haben. Das rechtfertigt zwar keine Gewalt, aber es erklärt sie bis zu einem gewissen Punkt. Denn diese Gewalt ist häufig die Reaktion auf eine wirklich verzweifelte Lage."
    Laut offizieller Statistiken besitzt etwa ein Prozent der fast 50 Millionen Einwohner Kolumbiens mehr als die Hälfte des Landes. Die Zahl enteigneter, landloser Bauern nimmt beständig zu. Die Arbeitslosigkeit und die Slums am Rande der Großstädte wachsen ins Uferlose. Als sich die sozialen Spannungen in den 1960er Jahren nach und nach gewaltsam entluden, hatten die Rebellen im Volk viele Sympathisanten, erinnert sich Guillermo Arboledo:
    "Es gibt verschiedene Guerilla-Truppen. Die Mitglieder der FARC bilden die einflussreichste Gruppierung. Sie hatte früher eine stark kommunistische Orientierung und zog viele Idealisten an. Ihre Ideen waren vernünftig: Mehr Beteiligung des Volkes an Entscheidungen, mehr soziale Gerechtigkeit, eine fairere Verteilung des Landes. Aber inzwischen haben die Guerilleros ihre Glaubwürdigkeit verloren. Denn sie sind zu einer Wirtschaftsmacht im Drogenhandel geworden, um ihre Waffen zu finanzieren. Das gilt für die FARC ebenso wie für zahllose kriminelle paramilitärische Gruppen, die in jüngster Zeit entstanden und extrem gewalttätig sind."
    Hohe Mordrate
    Die meisten Toten gingen derzeit auf das Konto dieser Gruppen, so Abt Guillermo. Kolumbien zähle seit geraumer Zeit weltweit zu den Ländern mit der höchsten Zahl an Morden. Grundsätzlich sehne sich daher in seiner Heimat jeder nach Frieden. Doch der Vertrag, den die kolumbianische Regierung am 2. Oktober zur Diskussion stelle, betreffe ausschließlich die Rebellen der FARC und verschaffe ihnen viele Vorteile, kritisiert Guillermo Arboledo:
    "Die FARC soll ihre Waffen niederlegen und dafür eine politische Stimme bekommen. Soweit so gut. Aber ihre Guerilleros müssten sich dann auch demokratischen Wahlen unterwerfen, wie alle anderen Parteien. Und davon ist bis jetzt keine Rede. Zudem ist die FARC gespalten. Keineswegs alle Mitglieder akzeptieren den Vertrag. Und die anderen Rebellengruppen sind ohnehin entschlossen, den Kampf fortzuführen. Sie haben eigene wirtschaftliche Interessen und ziehen ebenfalls großen Vorteil aus dem Drogenhandel."
    Aus diesen Gründen seien viele Kolumbianer im Zweifel, so der Benediktiner, ob die nun angestrebte Vereinbarung wirklich einem dauerhaften Frieden diene oder nur das Ansehen der Regierung verbessen solle.
    "In Kolumbien herrscht auf Regierungsebene enorm viel Korruption. Die katholische Kirche mahnt das seit langem an. Etliche Pfarrer und Bischöfe sind im politischen und sozialen Bereich aktiv. Denn nur, wenn es gelingt, die gesellschaftlichen Verhältnisse nachhaltig zu verändern, wird in Kolumbien auch die Gewalt verschwinden. Die Kirche ruft deshalb nicht nur zum Frieden auf, sondern auch zu mehr Fairness und Transparenz."
    Aufarbeiten der Vergangenheit
    Während der blutigen Auseinandersetzungen wurden in den vergangenen Jahrzehnten Millionen Menschen von ihrem Land vertrieben, Tausende werden bis heute vermisst. Entscheidend für einen Frieden sei daher, das Unrecht der Vergangenheit auf allen Ebenen aufzuarbeiten, betont Guillermo Arboledo. Ländereien müssten neu verteilt werden, soziale Güter wie ein funktionierendes Gesundheitswesen auch die Armen erreichen. Nur dann habe der Frieden eine Chance:
    "Solange es keine wirkungsvollen offiziellen Programme gibt, um den Ärmsten zu helfen, wird dieser Konflikt weiter gehen, vielleicht unter einem anderen Namen, aber er wird weiter gehen. Wir werden sehen. Für den Augenblick hoffen wir, dass das Abkommen etwas bringt. Besser kleine Schritte als gar keine. Aber es bleiben viele Fragen offen."