TV-Runden vor der Europawahl
Ein Duell als demokratischer Test

Vor der Europawahl wird in TV-Runden wieder diskutiert und gestritten - mit etlichen politischen Protagonisten. Die Bürger Europas haben ein echtes Duell von Spitzenkandidaten verdient, findet Medien-Kolumnist Peter Frey. Dafür braucht das Parlament aber mehr Macht bei der Wahl der EU-Kommission.

Eine Kolumne von Peter Frey |
Der italienische Europaabgeordnete Sandro Gozi, die deutsche Europaabgeordnete Terry Reintke, der österreichische Europaabgeordnete Walter Baier, die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula Von der Leyen und der EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte Nicolas Schmit posieren für den Fotografen während der Eurovisionsdebatte zwischen den Spitzenkandidaten für die EU-Kommissionspräsidentschaft, 23. Mai 2024, in Brüssel.
Auch bei der Eurovision Debate zur Europawahl gab es kein echtes Duell von Spitzenkandidaten. (imago / Belga / Nicolas Maeterlinck)
Beginnen wir diese Kolumne vor der Europawahl mal etwas persönlicher: zweimal habe ich ein Fernseh-Duell der Spitzenkandidaten für das Europaparlament moderiert, 2014 Schulz gegen Juncker, 2019 Timmermans gegen Weber. 2014 wurde die EVP stärkste Kraft und Jean-Claude Juncker auf Vorschlag des EU-Rats vom EU-Parlament bestätigt und Kommissionspräsident. Das Duell hatte sich bewährt. Der Rat hatte das System der Spitzenkandidaten respektiert. Einer der beiden wurde Präsident.

Auswahl im Hinterzimmer statt auf der TV-Bühne

2019 lief es anders. Der Sozialist Frans Timmermans und der konservative Manfred Weber lieferten sich in Berlin ein Streitgespräch, das sich bald als Scheinduell herausstellte. Bei den Wahlen gab zwar wieder eine EVP-geführte Mehrheit, aber Weber wurde nicht Kommissionschef. Weil dem französischen Präsidenten Emanuel Macron, der so mitreißend von Europa reden kann, der Mann aus Niederbayern nicht passte. Aus Gründen, die nie wirklich klar wurden, setzte Macron auf Ursula von der Leyen, die ganz ohne öffentliche Debatte Kommissionschefin wurde.
Peter Frey (l-r), Chefredakteur des ZDF, Frans Timmermans, Spitzenkandidat der SPE für die Europawahl, Manfred Weber (CSU), Spitzenkandidat der EVP für die Europawahl, und Ingrid Thurnher, Chefredakteurin ORF-III, stehen vor dem TV-Duell zur Europawahl im ZDF Hauptstadtstudio für ein Foto zusammen. Das TV-Duell mit den Spitzenkandidaten Timmermans und Weber wird im ZDF und ORF ausgestrahlt.
Das Duell echter Spitzenkandidaten zur Europawahl 2019 - "spektakulär gescheitert". (picture alliance / dpa / Christoph Soeder)
Ich erzähle das als Beleg dafür, wie schwierig es ist, über Europa zu berichten. Gewiss, die formale Regel, dass der erfolgreiche Spitzenkandidat am Ende das Amt auch bekommt, gibt es auf europäischer Ebene nicht. Der EU-Rat behält sich die Entscheidung vor. Aber die aussichtsreichsten Kandidaten hatten sich gestellt und Millionen von Zuschauerinnen und Zuschauern waren dabei. Doch die Entscheidung fiel im Hinterzimmer. Unser Duell, ein Stück vorweggenommener europäischer Demokratie, war spektakulär gescheitert.

Viele Parteien, viele Protagonisten

Kein Wunder, dass es einen solchen Versuch vor den Wahlen am nächsten Sonntag nicht mehr gegeben hat. Stattdessen unübersichtliche Debatten mit zu vielen Protagonisten. Die EU hat sich selbst aus dem Programm genommen.
Nun präsentieren viele Kanäle Sondersendungen und Dokumentationen, die Zeitungen liefern auf Sonderseiten Informationen über die Parteien und die Kandidaten. Gut so. Dennoch fragt man sich beim Blick auf die Wahlplakate, worum geht es eigentlich? Wenn sich da Scholz und Merz an der Seite ihrer Spitzenkandidatinnen zeigen, geht es dann um eine Richtungsentscheidung für die EU oder um einen innenpolitischen Stimmungstest?
Dabei braucht Europa mehr Demokratie. In einem von den nationalen Regierungen geprägten System sind die Wahlen zum Europaparlament die einzige Chance von Bürgerinnen und Bürgern, in dieser Gemeinschaft der 27 direkt mitzubestimmen.

Eine echte Kommissionswahl im Parlament

Doch bei der Europawahl gibt es nicht nur ein demokratisches Defizit, es gibt wegen der fehlenden Fünf-Prozent-Hürde auch richtige Fehlanreize. Das versucht jetzt Wagenknechts BSW auszunutzen, die sich zum ersten Mal einem Wählervotum stellt. Dabei schielt sie unter leichteren Bedingungen als bei Landtags- oder Bundestagswahlen auf parlamentarische Absicherung und Pfründe, auch wenn sie in Brüssel „kaum kontrollierte EU-Technokraten“ am Werk sieht, die Europas Demokratie und Identität bedrohen. Die EU macht es ihren Gegnern wirklich leicht.
Europa sollte seinen Wählerinnen und Wählern mehr zutrauen und seinem Parlament mehr Befugnisse geben, einschließlich der Wahl und nicht nur der Bestätigung der Kommissionsspitze. Leider wird auch nach diesen Europawahlen der nächste Kommissionchef oder die Chefin in Brüsseler Hinterzimmern ausgekungelt werden. Da bleibt dem Wähler nur das Prinzip Hoffnung. Ein bürgernahes Europa braucht bei der nächsten Wahl in fünf Jahren wieder ein Fernseh-Duell, das seinen Namen verdient.
Peter Frey war 12 Jahre lang Chefredakteur des ZDF.
Peter Frey war 12 Jahre lang Chefredakteur des ZDF.
Peter Frey begann seine Karriere beim ZDF 1985, er berichtete aus Washington, gründete das ZDF-Morgenmagazin und übernahm später die Leitung des ZDF-Hauptstadtstudios. Von 2010 bis 2022 verantwortete er die Informationsangebote des Senders als ZDF-Chefredakteur.