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Kombilohn als Flucht nach vorne?

Engels: Für Gerhard Schröder spitzt sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt derzeit zu. Die Arbeitslosigkeit schrammt nahe an der vier Millionen-Grenze vorbei. Nun will der Bundeskanzler offenbar mit der Idee Kombilohn die Flucht nach vorne antreten, das so genannte Mainzer Modell wurde uns eben vorgestellt. In diesem Modell kommt die Ermäßigung für die Sozialversicherungskosten den Arbeitnehmern zugute. Doch, den durchschlagenden Erfolg des Modells vermisst man bislang. Am Telefon ist nun Helmut Hartmann, Geschäftsführer der Firma Consens, die Sozial- und Arbeitsämter und Ministerien zu genau diesen Fragen berät.

    Engels: Wir haben es im Beitrag gehört. Nur rund 800 Arbeitsplätze werden bisher auf diesem Weg gefördert, für 14 000 war das Programm angelegt. Warum hat das Mainzer Modell nicht mehr Zulauf?

    Hartmann: Ich denke es war wichtig, so etwas zu probieren. Man wusste vorher nicht, wie diese Dinge funktionieren. Es gibt mehrere Erklärungen für die Situation, eine Erklärung ist, dass der Kombilohn, das heißt die ergänzende Finanzierung beim Niedriglohn, nur ein Aspekt ist bei der Frage, wie besetzen wir freie Stellen oder wie bekommen wir Arbeitslose wieder in Arbeit.

    Engels: Welches sind denn die anderen Aspekte, was ist ausschlaggebend?

    Hartmann: Wenn sie sich die Arbeitlosen und ihre Situation, besonders bei den längerfristig Arbeitslosen anschauen, dann sind oft soziale Rahmenbedingungen, zum Beispiel wie versorge ich meine Kinder, manchmal Schulden, manchmal gesundheitliche Probleme, auch Qualifizierungsprobleme, also eine Vielzahl von Dingen, Hinderungsgründe dafür, sofort freie Stellen anzunehmen. Hier muss mit gezielten individuellen Hilfen und Unterstützungen und Qualifizierungen der Weg bereitet werden. Und im einen oder anderen Fall kann auch ein ergänzender Lohn eine kleine Unterstützung sein, aber er ist nicht die Lösung aller Probleme.

    Engels: Das heißt, das ist ein Modell, das vielleicht im Einzelfall hilft. Aber so flächendeckend, wie Gerhard Schröder sich das im Moment vorstellt, ist es wohl keine so gute Idee?

    Hartmann: Das Modell hat vor allem zwei Probleme: Das erste Problem: Diejenigen, die schon in Arbeit sind, und genau zu diesen Bedingungen, den niedrigen Löhnen arbeiten, sind relativ benachteiligt gegenüber denen, die jetzt gefördert werden. Eigentlich sollte diese ergänzende Finanzierung ja für alle mit solchen niedrigen Löhnen gelten, aber das könnte niemand finanzieren. Das andere Problem: Auch ein Kombilohn ist immer befristet, irgendwann hört das auf, und dann stellt sich für den Betroffenen eine erhebliche Verschlechterung seiner Finanzsituation dar. Oder der Arbeitgeber muss erheblich etwas drauflegen, und das schafft oft Schwierigkeiten.

    Engels: Wie ist denn Ihre Erfahrung in diesem Bereich? Gehen diese Arbeitsplätze, wenn die Förderung ausläuft, auch wieder verloren?

    Hartmann: Das passiert zum Teil, weil dann die Bedingungen einfach nicht mehr stimmen. Auf der anderen Seite muss man sehen, und das haben wir ja auch eben im Beitrag gehört, Menschen wollen arbeiten, ihnen ist das dann egal, weil sie ihren Job behalten wollen. Und dabei ist Geld dann eben nur eine einzige Perspektive, nicht die einzige Begründung, bei einem Job zu bleiben.

    Engels: Nun sehen die Gewerkschaften diese Modelle skeptisch, und auch die Arbeitgeberseite erklärt mehr oder weniger regelmäßig, dass ihnen eine allgemeine Senkung der Abgaben lieber wäre als der Kombilohn. Warum scheuen denn beide Tarifparteien davor zurück?

    Hartmann: Ich glaube, bei den Tarifparteien, auf jeden Fall bei den Gewerkschaften, spielt natürlich die Angst davor eine Rolle, dass der Niedriglohn-Sektor sich erheblich ausweiten und Tariflöhne unterlaufen könnte. Aber es gibt natürlich noch einen anderen Aspekt. Die Frage ist ja, warum man das jetzt finanziert, oder, was finanziert man eigentlich? Jeder kann nachvollziehen, wenn ein Arbeitloser nicht die Anforderungen für einen Arbeitsplatz erfüllt, dass man dann sagt, da helfen wir kurzfristig mit finanziellen Zuschüssen. Das passiert ja jetzt schon auf vielfältige Art und Weise. Aber warum soll man das flächendeckend machen, und wenn schon für alle Arbeitslosen, warum dann nicht für alle, die wenig verdienen? Diese Frage ist natürlich eine sehr grundlegende und strukturelle, die weit darüber hinaus geht, wie man jetzt möglichst viele Arbeitslose in Jobs bringt.

    Engels: Würden Sie dann soweit gehen, dass Sie befürchten würden, dass bei einer flächendeckenden Förderung das Angebot so verzerrt würde, dass viel weniger reguläre Arbeitsplätze angeboten würden.

    Hartmann: Es wäre natürlich erheblich teurer, und Arbeitgeber könnten sich natürlich darauf einstellen und sagen, da gibt´s ja eine Förderung, wir gehen mit den Löhnen runter; das könnte natürlich auch passieren. Ich denke, es kommt im wesentlichen darauf an, dass wir gering bezahlte Jobs, von denen wir eine Menge haben, insgesamt entlasten - durch geringere Sozialversicherungsbeiträge, durch geringere Steuern - also den Übergang von nicht arbeiten zur Arbeit erleichtern, indem wir diese Hemmschwellen mit plötzlichen starken Belastungen weiter reduzieren. Egal, ob das nun nur für einen Arbeitslosen gilt oder für alle - das muss die Perspektive sein.

    Engels: Und was raten Sie nun Gerhard Schröder? Soll er an dem Programm festhalten oder lieber die Finger davon lassen?

    Hartmann: Ich denke, wir haben ja diese Modellversuche noch nicht komplett ausgewertet, sie sind noch nicht zu Ende. Insofern scheint es mir jetzt ein wenig verfrüht zu sagen, das ist die Lösung oder das verwerfen wir jetzt völlig. Meine Vermutung ist, dass wir zu dem Ergebnis kommen, im Einzelfall gezielt ergänzend Löhne zu bezuschussen macht Sinn. Aber flächendeckend allen eine pauschale Subvention anzubieten die arbeitslos sind, das ist zum einen zu teurer und außerdem nicht sinnvoll.

    Link: Interview als RealAudio