
Wer sich mit Einsamkeit bei Kindern beschäftigt, dem seien zwei Zahlen ans Herz gelegt, die der Bildungssoziologe Aladin El-Mafalaani in Vorträgen zitiert: Auf die Frage, ob es an ihrer Schule einen Erwachsenen gibt, auf den sie sich verlassen können, antwortet etwa die Hälfte der befragten Kinder im Grundschulalter: Nein.
Zu keinem Sozialarbeiter, zu keiner Lehrerin führen sie offenbar eine vertrauensvolle Beziehung. Ebenfalls glaubt die Hälfte der Kinder, dass es für die Schule und die gesamte Schulgemeinschaft nicht wichtig ist, dass sie überhaupt da sind und wofür sie sich interessieren.
Jedes fünfte Kind kennt die Einsamkeit
In dieser Woche hat das Deutsche Jugendinstitut diese Erfahrungen und Wahrnehmungen zusätzlich mit Zahlen unterfüttert. Demnach ist jedes fünfte Kind zwischen fünf und elf Jahren zumindest manchmal einsam.
Jetzt ließe sich dieses Ergebnis schnell abtun nach dem Motto: Sich mal einsam zu fühlen, gehört zum Leben dazu. Aber Achtung: Die Zahlen haben eine Sprengkraft für unsere Gesellschaft und das Gesundheitssystem.
Denn wer sich einsam fühlt, trägt ein höheres Risiko, an Depressionen oder Angststörungen zu erkranken. Und die Kinder- und Jugendpsychiatrien schlagen schon jetzt Alarm. Seit der Corona-Pandemie haben sie kaum noch freie Plätze.
Es geht um die Qualität von Beziehungen
Wer Kindern, die sich einsam fühlen, ernsthaft helfen will, sollte zwei Dinge berücksichtigen. Erstens sagen Forschende unisono, dass es beim Kampf gegen Einsamkeit nicht um die Quantität von Beziehungen, sondern um die Qualität geht.
Es ist also nicht entscheidend, ob Kinder tagtäglich im Klassenzimmer mit vielen anderen Gleichaltrigen sitzen, am Schulausflug teilnehmen oder nachmittags am Fußballtraining. Wichtig ist, dass sie vertrauensvolle Beziehungen führen, in denen sie sich öffnen können – auch gegenüber Erwachsenen.
Und das gilt nicht nur für die Eltern-Kind-Beziehung oder das erweiterte häusliche oder familiäre Umfeld. Auch die Schulen müssen in den Blick genommen werden.
Wie Schulen gegen Einsamkeit helfen können
Eine große Chance liegt in der schon geplanten flächendeckenden Ganztagsbetreuung in den Grundschulen. Denn mit ihr werden neben den schon vorhandenen Lehrkräften weitere Menschen an die Schulen kommen mit unterschiedlichen Professionen und als erwachsene Vertrauenspersonen.
Wird der Ganztag richtig organisiert, kann Schule als Lern- und Lebensort gestaltet werden, an dem Kinder sich wohl und sozial eingebunden fühlen. Und auch hier ist Qualität deutlich wichtiger als Quantität. Denn es ist entscheidend, dass gut ausgebildetes pädagogisches Fachpersonal den Ganztag gestaltet. Personal, das genau weiß, was es für wertschätzende, soziale Beziehungen braucht. Personal, das den Kindern zuhört, sie ernst nimmt und sich für ihre Lebenswelt interessiert.
Politik als Katalysator von Einsamkeit bei Kindern
Aber gerade das hat die Bildungspolitik in Bund und Ländern derzeit offensichtlich kaum auf dem Schirm. Denn noch immer ist völlig unklar, woher das gerade beschriebene Personal kommen soll. Und dass, obwohl schon ab dem kommenden Jahr der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz schrittweise eingeführt wird.
So wirkt Politik eher als Katalysator von Einsamkeit bei Kindern und macht es ihnen unnötig schwer, sich an der Schule wohlzufühlen und Menschen zu finden, denen sie sich anvertrauen können.
Übrigens – das ist auch ein Ergebnis jüngster Studien – kann das zu einem ernsthaften Problem für unsere Gesellschaft werden. Denn es zeigt sich: Junge Menschen, die einsam sind, haben weniger Vertrauen in die Demokratie und sie glauben weniger daran, dass ihr eigenes politisches Handeln einen Unterschied macht. Eine echte Gefahr, so warnen die Forschenden, für unsere Demokratie.