Archiv

Kommentar zu Israels Regierung
Aus Berlin müssen jetzt Signale kommen

Der Umgang mit der rechtsreligiöse Regierung in Israel sei für die deutsche Politik eine Gratwanderung, kommentiert Sebastian Engelbrecht. Die Bundesregierung müsse aber zeigen, dass ihr die Gefährdung der Demokratie in Israel nicht gleichgültig ist.

Ein Kommentar von Sebastian Engelbrecht |
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf einer Pressekonferenz mit dem israelischen Außenminister Eli Cohen
Als einer der besten Freunde Israels müsse die Bundesregierung Druck auf die Regierung in Jerusalem ausüben, kommentiert Sebastian Engelbrecht (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Die Lage in Israel ist ernst. Denn die neue Rechts-Regierung des Landes bricht mit den besten demokratischen Traditionen. Sie ist im Begriff, den Obersten Gerichtshof zu entmachten und damit die Gewaltenteilung zu schwächen. Sie will die Todesstrafe als probates Mittel gegen Terroristen einführen. Ministerpräsident Netanjahu versucht, sich per Gesetz, mit zweifelhaften Methoden gegen den Korruptionsprozess zu immunisieren, der ihm droht. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll abgeschafft werden. Der Armeerundfunk, früher ein Bollwerk der demokratischen Kommunikation, hat seine kritische Funktion verloren. Hunderttausende Israelis haben in den vergangenen Wochen gegen diese Auflösungserscheinungen der israelischen Demokratie demonstriert, weil sie wissen: In Israel geht es jetzt ums Ganze. Es geht um die Rettung dieser Demokratie.
Damit steht die deutsche Außenpolitik vor einem Dilemma. Einerseits muss der Maßstab weiter gelten, den Ex-Kanzlerin Merkel an die deutsch-israelischen Beziehungen anlegte: Die Sicherheit Israels muss zur deutschen Staatsräson gehören. Deutschland muss dem israelischen Staat verpflichtet bleiben, auch im gemeinsamen Kampf gegen das weit fortgeschrittene iranische Atomprogramm. Das hat Außenministerin Baerbock im Gespräch mit Israels Außenminister Cohen wiederholt: Das iranische Regime, Israels ärgster Feind in der Region, darf nicht in den Besitz von Nuklearwaffen kommen.

Die gemäßigten Kräfte in Israel brauchen die volle Unterstützung

Andererseits verdienen jetzt vor allem die Gegner der Regierung Netanjahu innerhalb Israels, die gemäßigten Kräfte in Israel, die volle Unterstützung Deutschlands. Die Bundesregierung muss als einer der besten Freunde Israels Druck auf die Regierung in Jerusalem ausüben. Baerbock sprach von den „gemeinsamen Werten“, die Deutschland und Israel verbänden. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung wirkt das wie eine hohle Phrase. Immerhin hat sie eine unabhängige Justiz als gemeinsames Ideal benannt. Die Bundesregierung muss zeigen, dass ihr die Gefährdung der Demokratie in Israel nicht gleichgültig ist. In Ansätzen hat das Justizminister Marco Buschmann vor wenigen Tagen bei seinem Besuch in Israel getan.
Aus Berlin müssen jetzt Signale kommen – nicht nur gegen den fast grenzenlos voranschreitenden Siedlungsbau, sondern auch dagegen, dass Jerusalem die oft beschworenen „gemeinsamen Werte“ aufgibt. Eine echte Herausforderung für die Bundesregierung.
Eine schwierige Gratwanderung, ein Dilemma. Denn Deutschland ist das letzte Land, das sich erlauben kann, gegenüber Israel den Zeigefinger zu erheben. Und doch muss es sein. Eine gute Freundschaft überlebt jeden Streit.
Korrespondent Sebastian Engelbrecht
Sebastian Engelbrecht, geboren 1968 in Berlin, besuchte die Deutsche Journalistenschule in München und studierte Evangelische Theologie in Heidelberg, Berlin und Jerusalem. Promotion an der Universität Leipzig. Er war von 2008 bis 2012 ARD-Hörfunk-Korrespondent in Tel Aviv und anschließend Referent des Intendanten von Deutschlandradio. 2017-2018 unterwegs im In- und Ausland als Dlf-Reporter. Seit 2019 ist Sebastian Engelbrecht Korrespondent im Landesstudio Berlin von Deutschlandradio in Berlin-Mitte.