Kommentar zur Pride-Parade in Budapest
Orbáns politisches Eigentor

Die ungarische Regierung versuchte die Pride-Parade in Budapest zu verbieten – und hat sich damit selbst eine Falle gestellt. In einer Phase wachsender Kritik droht Viktor Orbán die Kontrolle zu verlieren.

Von Gerwald Herter |
Eine Person auf einer Demonstration trägt eine weiße Pappmaske mit dem stilisierten Gesicht von Viktor Orbán. Die Maske zeigt ein streng wirkendes Gesicht mit zusammengezogenen Augenbrauen und rotem Mund.
Eine Teilnehmerin der Pride-Parade in Budapest protestiert mit einer Orbán-Maske. Die ungarische Regierung hatte versucht, die Parade mit einer schnellen Gesetzesänderung zu verbieten. (IMAGO / TT / Stefan Jerrevång )
Bei der Budapest-Pride geht es längst nicht mehr allein um die sogenannte queere Community. Um die geht es hier auch und der Schutz ihrer Rechte ist gerade in Ungarn sehr wichtig. Aber durch den Versuch, mit einer fadenscheinigen Begründung und einer schnellen Gesetzesänderung die Pride-Parade einfach mal zu verbieten, hat sich die ungarische Regierung selbst eine Falle gestellt. Zehntausende Menschen mit Gewalt von der Straße zu prügeln, das kann auch Orbán nicht wollen. „Wir sind ein zivilisiertes Land“, hat er vor kurzem noch beteuert, hoffentlich wird sich das auch an diesem Abend bewahrheiten. Trotz des Verbots muss er die Parade durch Budapest ziehen lassen, auch wenn das eigentlich nicht seine Absicht war. Das zeigt, er ist doch nicht allmächtig.
Der ungarische Premierminister Viktor Orbán steht unter gewaltigem Druck, in den Umfragen liegt seine Partei Fidesz längst nicht mehr vorn und im nächsten Frühjahr stehen Parlamentswahlen an. Gerade in dieser Situation macht Orbán erstaunliche Fehler, die ihn bei den Wahlen den Sieg kosten könnten.

Begründung des Pride-Verbots mit Jugendschutz

Offiziell hat die Regierung das Verbot der Pride-Parade mit Kinder- und Jugendschutz begründet. Das ist völlig absurd. Die Unterstellung, wonach Homosexuelle Minderjährige gefährden, weil sie sich zu ihrer Sexualität bekennen, ist irrational-ideologisch. Das Verbot der Pride-Parade widerspricht zudem demokratischen Grundwerten, wie der Versammlungsfreiheit. Der Geist einiger ungarischer Gesetze, die sich gegen Homosexuelle richten, verträgt sich nicht mit dem Konzept einer offenen und toleranten Gesellschaft. Eines dieser Gesetze wird gerade vom Europäischen Gerichtshof geprüft und dürfte kassiert werden. Der Schutz von Minderheiten ist schließlich ein wichtiger Maßstab für demokratische Gesellschaften.
Orbáns Politik hatte sich jahrelang gegen Flüchtlinge gerichtet. Sie sind aus Ungarn fast verschwunden. Seine Kritiker sagen, nun habe er ein neues Feindbild aufbauen wollen, um sich an der Macht zu halten. Es liegt nahe, dass er von den massiven Problemen Ungarns ablenken will.

Tisza-Partei hält sich aus der Pride-Debatte heraus

Eine derzeit ziemlich erfolgreiche Partei macht da konsequent nicht mit, sondern ignoriert die Debatte um die Pride-Parade ganz einfach: Tisza, eine noch recht junge Partei, die in den Umfragen derzeit deutlich vor Fidesz liegt, ohne überhaupt im ungarischen Parlament vertreten zu sein.
Ihr Chef, der Rechtsanwalt Péter Magyar war einst selbst Fidesz-Mitglied und gibt sich konservativ gemäßigt. Womöglich wollte Orbán den Streit um die Pride zum Kern einer politischen Auseinandersetzung mit Magyar machen, doch der denkt nicht daran und hat das Thema einfach links liegen lassen. Insider sagen, er kenne alle Fidesz-Tricks und habe bisher alles richtig gemacht, ohne durch neue Ideen besonders aufzufallen.
Das reicht erstmal in dieser für Ungarn so misslichen Lage: Der Großteil der EU-Gelder, die an Ungarn gehen sollen, ist eingefroren. Dieses Geld fehlt der Regierung Orbán. Eine bedenklich hohe Inflation, hat die Kaufkraft in Ungarn geschwächt. Nach Schätzungen ist sie inzwischen schwächer als die in Rumänien oder der Slowakei. Im Kontrast dazu wirkt der wundersame Reichtum von Menschen, die Orbán und seinem System nahestehen, seltsam verstörend. Viele Ungarinnen und Ungarn fühlen sich nicht nur ihres Wohlstands beraubt, sondern auch ihrer Rechte. Wer sich hier bewegt, spürt diese Fesseln ganz besonders, dazu gehören die Menschen, die an der Budapest-Pride teilgenommen haben.