Kommentar zum Rentenstreit
Könnten alle mal aufwachen?

Der aktuelle Rentenstreit zwischen der Jungen Union und Bundeskanzler Merz ist unnötig und sachlich unbegründet. Harte Kontroversen gab es bei dem Thema schon immer. Geisterfahrten, die sogar eine Regierung sprengen könnten, aber noch nicht.

Von Birgid Becker |
In einer Halle sitzen auf einem Podium auf dem Deutschlandtag der Jungen Union drei Personen, die die Hand gehoben haben oder Karten in die Höhe halten. Im Vordergrund sieht man Menschen von hinten im Publikum, die gelbe Karten in die Höhe halten.
Deutschlandtag der Jungen Union: Hier rumorte es beim Thema Rentenreform - viele junge Abgeordnete sehen ihre Generation als Verlierer der Pläne. Die Debatte wird zur Bewährungsprobe der schwarz-roten Koalition. (IMAGO / Chris Emil Janßen / IMAGO / Chris Emil Janssen)
Nur um es mal einzuordnen: Rentenpolitik – das war immer schon ein hartes Pflaster. Da schenkt man sich nichts. Rentenminister wie Blüm, Riester, Müntefering – die können oder könnten ein Lied davon singen. Was da am Wochenende zwischen dem Bundeskanzler und der Jungen Union geschah, das hat in der Schärfe und der Vehemenz also viele Vorbilder.
Doch ist diesmal alles anders. Bei Blüm-Riester-Müntefering – da ging es um handfeste Konfliktpunkte: Rente an Nettolöhne anbinden, vorzeitigen Renteneintritt mit Abschlägen belegen, länger arbeiten bis 65, bis 67, den Nachhaltigkeitsfaktor in die Rentenformel hineinbasteln, der die Renten auf Jahre hinaus senkte, die Riester-Rente – daraus entwickelten sich handfeste Konflikte, die einen handfesten Grund hatten.

Sicherung des Rentenniveaus mit Steuergeldern

Jetzt haben wir einen handfesten Konflikt, aber keinen handfesten Grund. Dieser Gesetzentwurf zur Stabilisierung des Rentenniveaus: Was geschieht da? Mit Steuergeldern, nicht mit Beitragsmitteln, wird das Rentenniveau bis 2031 gesichert. Bei 48 Prozent. Da ziehen die Jungen in der Union mit.
Der Konflikt dreht sich lediglich darum, ob sich aus dem Gesetz herauslesen lässt, dass kommende Reformen auf dieser Haltelinie aufsetzen oder ob man die Uhr zurückdreht und so tut, als habe es diesen Reformschritt nicht gegeben. Dann läge das Rentenniveau niedriger und alle weiteren Reformschritte würden niedriger starten, nicht bei 48 Prozent, wahrscheinlich bei 47 Prozent. Oder auch nicht!
Denn was immer eine tiefe Textexegese des Gesetzentwurfs ergibt – es ist ziemlich egal, denn klar ist ja, dass es eine noch große Rentenreform zwingend geben wird. Eine, die Rentenniveau mit Beitragsbelastung in eine Balance bringt, die Generationengerechtigkeit mit Armutsbekämpfung kombiniert. Oder zumindest kombinieren sollte.
Dann müsste die Stunde der jungen Union schlagen, wenn sie dann glaubt, dass die Belange der Jungen zu kurz kommen. Jetzt wäre sie gut beraten, in den Entwurf zu gucken, in dem ja zusätzlich steht, dass es bereits in vier Jahren eine Überprüfung der neuen Regelungen geben soll.

Sachlich unbegründeter Streit

Der Rentenstreit, der jetzt geführt wird, ist unnötig. Sachlich unbegründet. Und daher auch kein Aufstand der Jungen, den man feiern muss. Ganz andere Fragen aber wirft auf, wie es dazu kommen konnte, dass einer Unionsfraktion und einem Kanzler Merz so sehr entgangen ist, was sich an Unmut zusammengebraut hat.

Harte Renten-Kontroversen, ja, die gab es schon immer. Geisterfahren in der Rentendebatte – das gab es aber bislang nicht. Und Geisterfahrten, die auch noch das Potenzial haben, eine Regierung zu sprengen? Könnten alle mal aufwachen?