Freitag, 22. September 2023

Vorschläge zur Reform der Altersvorsorge
Wie können die Renten finanzierbar bleiben?

Immer weniger Erwerbstätige müssen in Deutschland immer mehr älteren Menschen die Rente finanzieren. Dadurch gerät das Rentensystem ins Wanken. Welche Stellschrauben gibt es, um die gesetzliche Altersvorsorge zu stabilisieren?

16.12.2022

    Eine Person hält einen Rentenbescheid der Deutschen Rentenversicherung in der Hand
    Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland droht der gesetzlichen Rentenversicherung langfristig ein Finanzierungsproblem (picture alliance/ Fotostand/ K. Schmitt)
    Jedes Jahr zum 1. Juli wird die gesetzliche Rente in Deutschland angepasst – abhängig von der Lohnentwicklung. Am 13. April hat das Bundeskabinett eine Rentenerhöhung auf den Weg gebracht, die größte seit Jahrzehnten. Im Westen Deutschlands steigen die Altersbezüge danach um 5,35 Prozent, in Ostdeutschland um 6,12 Prozent. Außerdem erhalten etwa drei Millionen Menschen, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen, langfristig mehr Geld.
    Über ein Viertel aller Neurentnerinnen und -rentner nutzen allerdings aktuell die Gelegenheit, nach 45 Beitragsjahren in der gesetzlichen Rentenversicherung mit 63 Jahren abschlagsfrei in Frührente zu gehen und liegt damit deutlich vor der Regelaltersgrenze. Gut ein weiteres Viertel geht auch mit Abschlägen von über acht Prozent vorzeitig in den Ruhestand. Damit wird die Debatte um eine Rentenreform und den Rentenbeginn wieder neu entfacht.
    Wie wird die Rente finanziert und welche Ansätze gibt es, angesichts des Personal- und Fachkräftemangels sowie der steigenden Lebenserwartung die gesetzliche Altersversorgung zu stabilisieren?

    Wie wird die Rente finanziert?

    Die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland wird durch ein Umlageverfahren finanziert. Das bedeutet, dass die laufenden Rentenzahlungen überwiegend durch Rentenbeiträge der aktuell erwerbstätigen Menschen finanziert werden. Gleichzeitig erarbeiten die aktuellen Beitragszahler sich selbst Ansprüche auf eine Rente, die dann wiederum die nachfolgenden Arbeitnehmer-Generationen finanzieren müssen. Dieses System wird auch Generationenvertrag genannt.
    Problematisch daran ist, dass aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Rentnerinnen und Rentner aufkommen müssen. Denn während die Geburtenrate niedrig bleibt, steigt die Lebenserwartung der Bevölkerung und dadurch gibt es immer mehr Menschen in höherem Alter. Und wenn Menschen länger leben, beziehen sie auch länger Rente.

    Dauer des Rentenbezugs in Deutschland in den Jahren von 1960 bis 2018

    Das Diagramm zeigt die Dauer des Rentenbezugs in Deutschland in den Jahren von 1960 bis 2018
    Das Diagramm zeigt die Dauer des Rentenbezugs in Deutschland in den Jahren von 1960 bis 2018 (Statista.de (Bearbeitung: Deutschlandradio/ A. Kampmann))
    Deshalb wird die Rentenversicherung auch mit Steuermitteln bezuschusst. Sie decken rund 30 Prozent der Ausgaben und machen mehr als ein Viertel des Bundeshaushalts aus. Doch die geburtenstarken Jahrgänge kommen jetzt erst ins Rentenalter. Der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums sieht in einer Studie, die Anfang Juni 2021 vorgestellt wurde, "schockartig steigende Finanzierungsprobleme" auf die gesetzliche Rentenversicherung zukommen.
    Um die Gefahr zu bannen, dass die laufenden Einnahmen der Rentenversicherung eines Tages nicht mehr ausreichen, um die Rentenzahlungen zu finanzieren, gibt es verschiedene Ansätze, die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung zu stabilisieren.
    Möglichkeit 1: Die Rentenbeiträge steigen – Erwerbstätige und Arbeitgeber zahlen mehr ein
    Noch bis zum Jahr 2025 gilt die "Haltelinie" für die Rentenbeiträge, die die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben hatte: Sie dürfen bis dahin nicht auf mehr als 20 Prozent des Durchschnittsverdienstes steigen. Derzeit liegen die Rentenbeiträge bei 18,6 Prozent, die zur Hälfte von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite gezahlt werden. Das sogenannte Rentenniveau darf zudem nicht unter 48 Prozent sinken.
    Rentenniveau

    Das Rentenniveau ist ein statistischer Wert, der das Verhältnis einer gesetzlichen Standardrente (nach 45 Jahren Beitragszahlung auf Basis eine durchschnittlichen Einkommens) zum aktuellen durchschnittlichen Einkommen einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmerin angibt. Es wird als Netto-Wert vor Steuern angegeben, also nach Abzug der durchschnittlichen Sozialabgaben aber ohne Berücksichtigung von Steuern. Über die tatsächliche Höhe einer individuelle Rente sagt das Rentenniveau nichts aus. Auch bedeutet ein Absinken des Rentenniveaus nicht, dass die Brutto-Renten sinken, sondern dass die Standardrente prozentual langsamer gestiegen ist als der Durchschnittsverdienst.
    Im Jahr 2020 hatte die Rentenkommission der Bundesregierung in ihrem Bericht empfohlen, die Haltelinien für Beitrags- und Rentenniveau über das Jahr 2025 hinaus fortzuschreiben. Beide sollen dann alle sieben Jahre neu festgelegt werden. Die Kommission sah dabei einen Spielraum von 20 bis 24 Prozent beim Beitragssatz und von 44 bis 49 Prozent beim Rentenniveau.
    Auch fast alle Parteien wollen den Korridor für die Altersvorsorgebeiträge erweitern. Höhere Rentenbeiträge bedeuteten allerdings weniger Nettoeinkommen für Beschäftigte, ohne dass dies die Strukturprobleme der gesetzlichen Rentenversicherung löse, betonte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), im Deutschlandfunk. Für die Arbeitgeber bedeuteten sie höhere Kosten. Er plädierte für stabile Sozialversicherungsabgaben und eine Gesamtbetrachtung des Reformbedarfs in Renten-, Pflege- Kranken- und Arbeitslosenversicherung.
    Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, erklärte im Dlf: "Wenn wir die Beiträge um einige Zehntelprozent erhöhen, dann sind das im Jahr keine 100 Euro, sondern im Durchschnitt irgendwas über 30 Euro. Lieber dieses, als dann Altersarmut, wie wir sie jetzt in Deutschland haben." Er forderte zudem eine Rentenreform, nach der auch Beamte und Selbstständige in die Rentenkasse einzahlen.
    Möglichkeit 2: Das Renteneintrittsalter steigt – Erwerbstätige arbeiten länger
    Nach aktueller Rechtslage wird die Altersgrenze für die Rente ohne Abschläge bis zum Jahr 2029 bereits schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Viele Experten fordern darüber hinaus eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters.
    Axel Börsch-Supan, Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München, hatte diese Idee schon in der Rentenkommission als eine mögliche Option ins Spiel gebracht, um die längere Lebenserwartung in der Rente abzubilden. Die Kommission hat den Vorschlag jedoch nicht weiterverfolgt, sondern an der bislang geltenden Grenze von 67 Jahren festgehalten. Im Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsministeriums, das Bösch-Supan federführend schrieb, hat er den Vorstoß nun wieder untergebracht.
    Der Beirat fordert, dass die Lebensphase, in dem ein Mensch Rentenbezüge erhält, auf Dauer nicht von der allgemeinen Entwicklung der Lebenserwartung abgekoppelt werden dürfe. Mit Blick auf die steigende Lebenserwartung müssten die zusätzlichen Lebensjahre "nach einer klaren Regel" zwischen "mehr arbeiten" und "länger Rente beziehen" aufgeteilt werden. Wie das Gutachten aufführt, würde bei Anwendung dieses vorgeschlagenen dynamischen Modells das Renteneintrittsalter im Jahr 2042 dann 68 Jahre erreichen.

    Durchschnittliches Eintrittsalter in die Altersrente und gesetzliche Regelaltersgrenze

    Auch andere Experten, etwa vom ifo-Institut, und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) schließen sich der Auffassung an, dass die gesetzliche Rentenversicherung ohne eine Anpassung der Lebensarbeitszeit an die zunehmende Lebenserwartung auf Dauer nicht finanzierbar ist.
    Durchschnittliches Eintrittsalter in die Altersrente und gesetzliche Regelaltersgrenze von 1960 bis 2020
    Der Abstand zwischen dem durchschnittlichen Renteneintrittsalter und gesetzlicher Regelaltersgrenze nimmt in Deutschland zuletzt wieder zu (Statista/Bund-Länder Demografie Portal)
    BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter kritisierte im Dlf zudem, dass die Politik immer mehr Ausnahmen von der Rente mit 67 zulasse: "Wir haben die Rente mit 67 vor längerer Zeit festgelegt und seitdem rückt die Politik immer schrittweise davon ab und macht immer mehr abschlagsfreie Frühverrentungen. Ich glaube, der wichtigste Punkt ist, dass wir konsequent festhalten - an dem Ziel der Rente mit 67." Die Frühverrentungen beträfen nicht nur Berufsgruppen wie Maurer, Bauarbeiter und andere, die körperlich arbeiteten. "Die entscheiden sich in der Regel, lang zu arbeiten", so Kampeter. Wichtig sei, die Weichen für einen möglichen Anstieg des Renteneintrittsalters ab 2030 rechtzeitig zu stellen. In der Politik stieß der Vorstoß dagegen weitgehend auf Ablehnung.
    Statt mit einem höheren gesetzlichen Renteneintrittsalter zu drohen, sollten positive Anreize gesetzt werden, sagte der Sozialwissenschaftler Stefan Sell im Dlf: Die entscheidende Frage sei, wie Arbeitsplätze so weiterentwickelt und umgebaut werden könnten, dass sie auch für die stark steigende Anzahl an über 60-Jährigen Menschen attraktiv würden, sodass sie möglichst lange arbeiten und so dem Arbeitsmarkt erhalten bleiben könnten. Das betreffe nicht nur Fachkräfte, sondern Arbeitskräfte allgemein. Denn viele Menschen würden es gar nicht schaffen, bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter zu arbeiten, "weil sie krank sind oder schlichtweg nicht mehr können", so Sell. Den Umbau der Arbeitsplätze müssten Arbeitgeber gemeinsam mit Gewerkschaften angehen.
    Die Spitze der Unionsfraktion ist angesichts der aktuellen Diskussion über das Renteneintrittsalter offen für eine breite Debatte über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Er sei sicher, "dass mit steigender Lebenserwartung auch eine steigende Lebensarbeitszeit verbunden sein muss", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag, Thorsten Frei. Der stellvertretende Parteivorsitzende der FDP, Johannes Vogel, forderte eine weitgehende Flexibilisierung des Rentenalters. Niemand müsse den Menschen mehr vorschreiben, wann sie in Rente zu gehen hätten.
    Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Diemtar Bartsch, plädierte im Dlf dafür, die Rente mit 63 bei 45 Arbeitsjahren nicht abzuschaffen und sprach sich für mehr altersgerechte Arbeitsplätze aus. Für ältere Menschen müsse die Attraktivität erhöht werden, weiterzuarbeiten. Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt, er wolle, dass mehr Menschen erst mit 67 Jahren in Rente gingen. Es gelte, den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten könnten.
    Möglichkeit 3: Das Rentenniveau sinkt – Rentner erhalten weniger
    Die im Koalitionsvertrag festgelegten Haltelinien für die Rente schreiben unter anderem vor, dass das Rentenniveau bis 2025 nicht unter 48 Prozent des Durchschnittslohns sinken darf. Die Rentenkommission sah in ihrem Bericht 2020 einen Spielraum von 44 bis 49 Prozent beim Rentenniveau ab 2026. In der Politik ist eine Absenkung des Rentenniveaus aber derzeit zumindest kein Thema.
    SPD und Grüne streben an, das Rentenniveau weiterhin bei 48 Prozent zu stabilisieren. Die Linke will das Rentenniveau sogar auf 53 Prozent anheben. Dafür schlagen sowohl SPD als auch Linke vor, die Gruppe der Beitragszahler zu erweitern, etwa um Selbstständige und Beamte. Die Grünen wollen die Frauenerwerbstätigkeit durch ein Rückkehrrecht auf Vollzeit erhöhen; auch ein "echtes Einwanderungsgesetz" und eine Verbesserung der Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen helfen.
    Möglichkeit 4: Der Bundeszuschuss steigt – die Steuerzahler zahlen mehr ein
    Bereits jetzt zahlt der Bund etwa 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt als Zuschuss in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Wenn die Rentenversicherungsbeiträge und das Rentenniveau stabil gehalten werden sollen, müsste dieser Zuschuss stark ansteigen, warnt der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums in seinem Gutachten.
    Nach einer Prognose des ifo-Instituts müssten bei Beibehaltung der derzeit geltenden Haltelinien für Beiträge und Rentenniveau in Zukunft 60 Prozent des Bundeshaushaltes für die Rente ausgegeben werden. Auch ohne die Haltelinien würde die Finanzierung der Rentenkassen bis 2050 fast 40 Prozent des Bundeshaushalts beanspruchen.
    Laut dem Ökonomen Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, wird selbst diese Bezuschussung der Rente mit mehr als der Hälfte des Bundeshaushalts nicht ausreichen. "Das zeigt, wie dramatisch die Situation ist", warnte er im Dlf. Die Prognosen sagten einen massiven Anstieg an Altersarmut voraus: Viele Menschen hätten unterbrochene Erwerbsbiografien und könnten gar nicht 42 Jahre Vollzeit einzahlen. Vor allem Frauen seien davon betroffen.
    Zudem wird die Finanzierung der Bundeszuschüsse mit ohnehin steigender Neuverschuldung zur Herausforderung. Der Bund müsste das Geld dafür anderswo einsparen oder Steuern erhöhen. Wissenschaftler des ifo-Instituts haben vorgerechnet, dass etwa der Mehrwertsteuersatz schon bis zum Jahr 2030 von 19 Prozent auf 23 Prozent steigen müsse, wenn die bereits jetzt absehbaren Zusatzkosten der Rentenversicherung nur darüber finanziert würden.
    Quelle: Volker Finthammer, Nina Voigt, dpa, og