Bofinger: Guten Tag, Herr Breker!
Breker: Herr Bofinger, was wäre eigentlich so dramatisch an einer Neuverschuldung?
Bofinger: Wichtig ist ja eigentlich, dass die Neuverschuldung keine Ursache, sondern ein Symptom ist. Ein Symptom, dass das Wirtschaftswachstum außerordentlich schlecht ist. Schlechter als wir das gedacht haben. In solchen Situation ist es durchaus vernünftig, dass man das Defizit zunehmen lässt und nicht krampfhaft versucht, durch höhere Steuern oder Ausgabensenkungen entgegen zu wirken. Denn die Gefahr ist ja sehr groß, dass man eine Art von Parallelpolitik im Stil von Brüning macht und man deshalb am Ende noch weniger Wachstum hat und trotzdem ein Defizit hat, das eventuell noch höher ist.
Breker: Eines ist gewiss, Herr Bofinger, das Defizitkriterium der europäischen Union, die drei Prozent werden wir so oder so gar nicht erreichen.
Bofinger: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass wir in diesem Jahr wieder drüber liegen werden. Die Frage ist ja, ob wir die gesamte makroökonomische Politik an diesem Stabilitäts- und Wachstumspakt ausrichten sollten oder ob man nicht mal die Grundphilosophie des Paktes überdenken muss. Der Pakt ist ja eigentlich gemacht worden, um die Geldwertstabilität in Europa zu sichern, um also dafür zu sorgen, dass Länder nicht durch hohe Defizite Inflationsdruck erzeugen. Wenn wir uns das aber nun in Deutschland ansehen, und wir sind ja das Land mit dem höchsten Defizit, dann haben wir überhaupt keine Inflationsproblem. Das heißt, diese Inflationsgefahr, für die dieser Stabilitäts- und Wachstumspakt geschaffen wurde, besteht bei uns ja gar nicht. Deswegen meine ich, dass man noch mal in Ruhe und mit Abstand diesen Stabilitätspakt angucken soll. Er ist damals so ein bisschen als Kind der Angst geschaffen worden. Es fehlt ihm eigentlich eine solide wissenschaftliche Basis. Es ist, so denke ich, sehr gefährlich, dass man die gesamte Makropolitik an einer solchen Orientierungslinie ausrichtet.
Breker: Wenn wir das Defizitkriterium schon nicht erreichen, dann stellt sich ja die Frage: Warum kleckern, warum nicht gleich klotzen und die Wirtschaft richtig ankurbeln?
Bofinger: Wir müssen zwei Dinge auseinanderhalten. Das Wichtigste ist zunächst einmal Stetigkeit. Stetigkeit heißt, dass man bei den Planungen bleibt, die man für dieses Jahr vorgesehen hat und dass man nicht versucht, konjunkturbedingte Einnahme und Ausfälle durch höhere Steuern oder sinkende Einnahmen zu konterkarieren. Das wäre eine pro-zyklische Politik. Das sollte man auf jeden Fall vermeiden. Man sollte also den automatischen Stabilisatoren, wie wir das nennen, Platz schaffen und eben zulassen, dass das Defizit, wenn es jetzt konjunkturell schlechter kommt, auch weiter zunimmt. Die zweite Frage wäre die, ob man sich jetzt tatsächlich einen eigenständigen antizyklischen Impuls der Fiskalpolitik leisten sollte, ob man also zusätzlich noch stimulierend wirken soll. Ich denke schon, dass man doch die Steuersenkung, wie Herr Gabriel vorgeschlagen hat, die jetzt für 2004 geplant ist, doch in der Jahresmitte einsetzt. Das ist auf jeden Fall eine Maßnahme, die man diskutieren sollte.
Breker: Wenn wir die Erfahrungen von Brüssel nehmen, dann war das ja bei Portugal so, dass es seinen Haushalt durch eine Mehrwertsteuererhöhung ausgeglichen hat. Ein Wort zu diesem Thema bei uns...
Bofinger: Nein, ich denke, Herr Clement hat völlig recht. Eine Mehrwertsteuererhöhung passt überhaupt nicht in die Landschaft. Er sagte zu recht, dass wir Probleme beim Einzelhandel und beim privaten Verbrauch haben. Wir haben schon ohne diese Mehrwertsteuererhöhung kaum Spielraum für privaten Verbrauch. Wenn wir die Mehrwertsteuer jetzt erhöhen würden, würde das einen Einbruch erzeugen. Wir würden quasi deflationäre Prozesse einläuten. Ich denke, davon sollte man die Finger lassen.
Breker: Stattdessen wollen Sie die Steuerreform vorziehen, wie Gabriel es vorgeschlagen hat?
Bofinger: Das wäre sicherlich eine Maßnahme, die zu erörtern ist. Dies wäre möglich, um Wachstumsimpulse zu geben. Auch die 1,0 Prozent sind ja schon sehr optimistisch gedacht. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir in diesem Jahr bei 0,0 Prozent landen. Dann wäre es vielleicht doch sinnvoll, dass man Stimulans von Seiten des Staates gibt. Wir reden so viel über den Stabilitätswachstumspakt. Es gibt in Deutschland auch ein Stabilitäts- und Wachstumsgesetz. Dieses Gesetz verpflichtet Bund und Länder, bei ihrer Haushaltspolitik auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu achten. Das ist ja vielleicht auch etwas, was man vielleicht mehr in den Vordergrund stellen sollte. Das ist ein Gesetz, das vorhanden und in Kraft ist. Ich finde, das wird viel zu wenig beachtet, auch bei den Haushaltsplanungen der Länder.
Breker: Vielen Dank, Herr Bofinger!
Breker: Herr Bofinger, was wäre eigentlich so dramatisch an einer Neuverschuldung?
Bofinger: Wichtig ist ja eigentlich, dass die Neuverschuldung keine Ursache, sondern ein Symptom ist. Ein Symptom, dass das Wirtschaftswachstum außerordentlich schlecht ist. Schlechter als wir das gedacht haben. In solchen Situation ist es durchaus vernünftig, dass man das Defizit zunehmen lässt und nicht krampfhaft versucht, durch höhere Steuern oder Ausgabensenkungen entgegen zu wirken. Denn die Gefahr ist ja sehr groß, dass man eine Art von Parallelpolitik im Stil von Brüning macht und man deshalb am Ende noch weniger Wachstum hat und trotzdem ein Defizit hat, das eventuell noch höher ist.
Breker: Eines ist gewiss, Herr Bofinger, das Defizitkriterium der europäischen Union, die drei Prozent werden wir so oder so gar nicht erreichen.
Bofinger: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass wir in diesem Jahr wieder drüber liegen werden. Die Frage ist ja, ob wir die gesamte makroökonomische Politik an diesem Stabilitäts- und Wachstumspakt ausrichten sollten oder ob man nicht mal die Grundphilosophie des Paktes überdenken muss. Der Pakt ist ja eigentlich gemacht worden, um die Geldwertstabilität in Europa zu sichern, um also dafür zu sorgen, dass Länder nicht durch hohe Defizite Inflationsdruck erzeugen. Wenn wir uns das aber nun in Deutschland ansehen, und wir sind ja das Land mit dem höchsten Defizit, dann haben wir überhaupt keine Inflationsproblem. Das heißt, diese Inflationsgefahr, für die dieser Stabilitäts- und Wachstumspakt geschaffen wurde, besteht bei uns ja gar nicht. Deswegen meine ich, dass man noch mal in Ruhe und mit Abstand diesen Stabilitätspakt angucken soll. Er ist damals so ein bisschen als Kind der Angst geschaffen worden. Es fehlt ihm eigentlich eine solide wissenschaftliche Basis. Es ist, so denke ich, sehr gefährlich, dass man die gesamte Makropolitik an einer solchen Orientierungslinie ausrichtet.
Breker: Wenn wir das Defizitkriterium schon nicht erreichen, dann stellt sich ja die Frage: Warum kleckern, warum nicht gleich klotzen und die Wirtschaft richtig ankurbeln?
Bofinger: Wir müssen zwei Dinge auseinanderhalten. Das Wichtigste ist zunächst einmal Stetigkeit. Stetigkeit heißt, dass man bei den Planungen bleibt, die man für dieses Jahr vorgesehen hat und dass man nicht versucht, konjunkturbedingte Einnahme und Ausfälle durch höhere Steuern oder sinkende Einnahmen zu konterkarieren. Das wäre eine pro-zyklische Politik. Das sollte man auf jeden Fall vermeiden. Man sollte also den automatischen Stabilisatoren, wie wir das nennen, Platz schaffen und eben zulassen, dass das Defizit, wenn es jetzt konjunkturell schlechter kommt, auch weiter zunimmt. Die zweite Frage wäre die, ob man sich jetzt tatsächlich einen eigenständigen antizyklischen Impuls der Fiskalpolitik leisten sollte, ob man also zusätzlich noch stimulierend wirken soll. Ich denke schon, dass man doch die Steuersenkung, wie Herr Gabriel vorgeschlagen hat, die jetzt für 2004 geplant ist, doch in der Jahresmitte einsetzt. Das ist auf jeden Fall eine Maßnahme, die man diskutieren sollte.
Breker: Wenn wir die Erfahrungen von Brüssel nehmen, dann war das ja bei Portugal so, dass es seinen Haushalt durch eine Mehrwertsteuererhöhung ausgeglichen hat. Ein Wort zu diesem Thema bei uns...
Bofinger: Nein, ich denke, Herr Clement hat völlig recht. Eine Mehrwertsteuererhöhung passt überhaupt nicht in die Landschaft. Er sagte zu recht, dass wir Probleme beim Einzelhandel und beim privaten Verbrauch haben. Wir haben schon ohne diese Mehrwertsteuererhöhung kaum Spielraum für privaten Verbrauch. Wenn wir die Mehrwertsteuer jetzt erhöhen würden, würde das einen Einbruch erzeugen. Wir würden quasi deflationäre Prozesse einläuten. Ich denke, davon sollte man die Finger lassen.
Breker: Stattdessen wollen Sie die Steuerreform vorziehen, wie Gabriel es vorgeschlagen hat?
Bofinger: Das wäre sicherlich eine Maßnahme, die zu erörtern ist. Dies wäre möglich, um Wachstumsimpulse zu geben. Auch die 1,0 Prozent sind ja schon sehr optimistisch gedacht. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir in diesem Jahr bei 0,0 Prozent landen. Dann wäre es vielleicht doch sinnvoll, dass man Stimulans von Seiten des Staates gibt. Wir reden so viel über den Stabilitätswachstumspakt. Es gibt in Deutschland auch ein Stabilitäts- und Wachstumsgesetz. Dieses Gesetz verpflichtet Bund und Länder, bei ihrer Haushaltspolitik auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu achten. Das ist ja vielleicht auch etwas, was man vielleicht mehr in den Vordergrund stellen sollte. Das ist ein Gesetz, das vorhanden und in Kraft ist. Ich finde, das wird viel zu wenig beachtet, auch bei den Haushaltsplanungen der Länder.
Breker: Vielen Dank, Herr Bofinger!