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Kommunaler Finanzreport der Bertelsmann Stiftung
Wachsende Kluft zwischen reichen und armen Kommunen

Die Schere zwischen finanzstarken und -schwachen Kommunen geht immer weiter auseinander - zu diesem Ergebnis kommt die Bertelsmann Stiftung in ihrem kommunalen Finanzreport. Ist eine Kommune einmal in finanzielle Schieflage geraten, ist es fast unmöglich, sich daraus zu befreien, heißt es darin.

Von Tim Belke | 09.07.2019
Blick über die Dächer Münchens auf die Frauenkirche.
München erwirtschaftet pro Einwohner sieben Mal höhere Steuern als Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt (imago stock&people)
Rekordüberschuss – mehr Steuereinnahmen – höhere Investitionen: Den Städten und Gemeinden in Deutschland scheint es finanziell so gut zu gehen, wie nie. Auf den ersten Blick lesen sich die Zahlen in der Kassenstatistik des statistischen Bundesamts durchweg positiv. Auf Grundlage dieser Statistik hat die Bertelsmann Stiftung den kommunalen Finanzreport erstellt und kommt zu einem differenzierteren Ergebnis. Die Schere zwischen finanzstarken und -schwachen Kommunen geht immer weiter auseinander, sagt René Geißler von der Bertelsmann Stiftung:
"Die Unterschiede bei den kommunalen Finanzen lassen sich gut an den Steuereinnahmen der Gemeinden ablesen. Da sehen wir zum Beispiel, dass ein Kreis wie der Kreis München - der stärkste Kreis Deutschlands - pro Einwohner sieben Mal höhere Steuern erwirtschaftet, als zum Beispiel der Kreis Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt."
Grund- und Gewerbesteuern erhöhen
Hinzu kommt: Ist eine Kommune einmal in finanzielle Schieflage geraten, ist es fast unmöglich, sich daraus zu befreien, sagt die Bertelsmann Stiftung: Die starken und schwachen Kommunen sind überwiegend noch dieselben, wie vor einigen Jahren. Die Wirtschaftsstruktur einer Stadt oder eines Kreises sei entscheidend und die sei mittelfristig kaum veränderbar. Mehr noch: Wenn Kommunen ihren Haushalt konsolidieren wollen, bliebe ihnen oft nichts, als die Grund- und Gewerbesteuern zu erhöhen und Investitionen zurückzufahren. Mit weitreichenden Folgen für die Bürger, weiß auch Jens Stellbrink, Kämmerer der Stadt Enger. Einer kleinen Gemeinde in Nordrhein-Westfalen, die sich in der Haushaltssicherung befindet:
"Das heißt: Klassenräume werden nicht in, sag ich mal, aus Sicht der Schule erforderlichem Maß gestrichen, sodass Klassenräume durch die Eltern und Schüler gestrichen werden und die Stadt Enger lediglich die Materialkosten bezahlen muss."
Reiche Kommunen haben Standortvorteile
Auch einen Spielplatz haben Bürger gerade in Eigenregie mitfinanziert - weil in der Stadtkasse das Geld fehlte. Ganz anders sieht es im nur 40 Kilometer entfernten Verl aus. Ähnlich groß, dasselbe Umland, aber: eine der reichsten Kommunen in Nordrhein-Westfalen; ohne Schulden, dafür mit hohen Rücklagen. Was der Stadt gewisse Spielräume gibt, wie Bürgermeister Michael Esken sagt:
"Ja, natürlich haben wir Spielräume. Wir investieren in Schulen, in Kindergärten, in Feuerwehr-Gerätehäuser. Wir geben fünf Millionen in eine Kita aus, mit einem Fünf-Gruppen-Portfolio. Und das ist schon ein sehr hoher Betrag. Also: viele Investitionen in die Jugend um nachhaltig in die Stadt Verl zu investieren und nicht ins Risiko zu gehen."
Zudem kann sich Verl extrem niedrige Grund- und Gewerbesteuersätze leisten. Der Effekt: Die reichen Kommunen haben Standortvorteile, ziehen Unternehmen oder junge Familien an, die Steuern zahlen – und die Kluft zu ärmeren Kommunen, wo Unternehmen oder Familien eher abwandern, wird noch größer. Schwache Städte bräuchten deshalb mehr Unterstützung vom Bund, findet die Bertelsmann Stiftung. Etwa durch Investitionsprogramme oder indem der Bund einen größeren Anteil der Hartz-IV-Kosten übernimmt.