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Kommunalwahlen in der Türkei
Wie Erdoğan die Opposition einschüchtert

Die Kommunalwahlen gelten als wichtiger Stimmungstest für Präsident Erdoğan und seine AKP. Doch die Stimmung im Land ist schlecht: Wirtschaftskrise, Inflation und Arbeitslosigkeit machen vielen Türken zu schaffen. Die Opposition wiederum könnte sich über einen Sieg womöglich nur kurz freuen.

Von Susanne Güsten | 29.03.2019
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan winkend bei Wahlkampf.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan will nach dem Sieg bei den Kommunalwahlen mit seinen politischen Widersachern abrechnen. (picture alliance / dpa / Tolga Bozoglu)
Eine Wahlveranstaltung der Kurdenpartei HDP in Diyarbakir. Fast 20 Jahre lang regierte die Kurdenpartei in der Millionenstadt im Südosten des Landes - bis vor zweieinhalb Jahren: Da setzte die türkische Regierung die HDP-Bürgermeister ab und entsandte einen Zwangsverwalter nach Diyarbakir.
Bei der Kommunalwahl am Sonntag will die Kurdenpartei das Rathaus zurück erobern - und wird das Umfragen zufolge mit einer haushohen Mehrheit schaffen. Die Frage ist nur, ob ihre Vertreter dann auch wieder regieren können. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sprach die Drohung schon vor Monaten offen aus:
"Ich kündige hiermit ganz klar an: Wenn bei den Kommunalwahlen im März wieder Terrorhelfer gewählt werden sollten, dann werden wir nicht abwarten und zusehen, was geschieht. Wir werden sofort - so-fort! – handeln und wieder Zwangsverwalter einsetzen."
Wohl keine Rückkehr zur Demokratie
Bisher beschränkte sich die Regierung mit diesen Methoden auf das Kurdengebiet - die Kommunalpolitiker der HDP würden dort mit der Terrororganisation PKK zusammenarbeiten, lautete ihr Argument. Doch kurz vor der Kommunalwahl will Ankara auch in anderen Landesteilen Gründe gefunden haben, sich gewählter Oppositionspolitiker zu entledigen.
Undurchsichtige Geschäfte wirft die Regierungspresse etwa Mansur Yavaş vor, dem Spitzenkandidaten der bürgerlichen Opposition in Ankara - er hat laut Umfragen gute Chancen, das Rathaus der Hauptstadt für die kemalistische CHP zu erobern. Staatspräsident Erdogan warnte die Bürger von Ankara in einem Fernsehinterview davor, Yavaş zu wählen:
"Selbst wenn er noch an der Wahl teilnehmen kann, wird er sich anschließend vor der Nation verantworten müssen - er hat ja keine parlamentarische Immunität. Dann wird er teuer bezahlen müssen, und dann werden auch die Bürger von Ankara einen hohen Preis zu zahlen haben."
Auch an den Parteivorsitzenden der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, richtete Erdogan eine Warnung, diesmal bei einem Wahlkampfauftritt:
"Herr Kemal vertraut offenbar noch auf seine parlamentarische Immunität. Ich werde ihm aber durch meine Anwälte von der Justiz nachgehen lassen."
Und völlig unmissverständlich drohte er der Oppositionspolitikerin Meral Akşener, die nicht im Parlament sitzt und daher keine parlamentarische Immunität besitzt:
"Für diese Dame gibt es kein Schlupfloch, durch das sie entwischen kann; sie ist ja nicht im Parlament. Mit ihr werden wir dann sofort abrechnen, und sie wird teuer bezahlen."
"Wir werden sie alle absetzen"
Einige säßen ja schon im Gefängnis, fügte Erdogan in Anspielung auf den früheren HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş hinzu, der seit zweieinhalb Jahren hinter Gittern ist - das könne auch ihr noch blühen, drohte er Akşener. Kurz vor dem Urnengang legte die Regierung noch einmal nach und ließ Listen von hunderten Oppositionskandidaten veröffentlichen, die terroristische Verbindungen haben sollen. Mit Namen und Fotos prangerten Regierungsmedien die angeblichen Terrorkandidaten an, die für kemalistische, nationalistische und islamistische Parteien gegen die AKP kandidieren.
Als Beleg werden Geheimdienstdossiers zitiert, wonach ein Kandidat zum Beispiel eine Tochter im Kreisvorstand des Menschenrechtsvereins haben soll, ein anderer einen Bruder, der auf Facebook einmal Kurdistan und die PKK gerühmt haben soll. Sie alle würden nach der Wahl abgesetzt, kündigte Erdogan diese Woche an. Sein Innenminister Süleyman Soylu sekundierte:
"Keiner von diesen Leuten darf Stadtrat sein, denn sie haben Verbindungen zur PKK. Wir werden sie alle absetzen. Alle. Was die Wahlkommission dazu sagt, interessiert mich nicht. Ich bin Innenminister, und wenn ich sehe, dass jemand Verbindungen zum Terror hat, dann leite ich ein Verfahren gegen ihn ein und setze ihn ab."
Wie die Wahl ausgeht, wird mit Spannung erwartet - und erst recht, was danach geschieht.