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Kompass der Sicherheitspolitik

Das "Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr" wird am Mittwoch durch das Bundeskabinett verabschiedet werden. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren beschließt damit die Bundesregierung wieder die Grundlagen ihrer Sicherheitspolitik und die Mittel, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen.

Von Rolf Clement | 24.10.2006
    Ein Weißbuch ist die konzeptionelle Grundlage der Außen- und Sicherheitspolitik einer Bundesregierung. Es wird im Verteidigungsministerium erarbeitet und dann mit den anderen Ministerien, vor allem mit dem Außenministerium, dem Entwicklungshilfeministerium und dem Innenministerium abgestimmt. Die Federführung liegt aber beim Verteidigungsminister. Jeder Verteidigungsminister will mit einer solchen Bestandsaufnahme und Positionsbestimmung seine Spuren hinterlassen. In anderen Ländern - z.B. den USA - legt die Regierung jeweils im ersten Jahr einer Amtsperiode ein solches Dokument vor. In Deutschland hat es nun sehr lange, eben zwölf Jahre, gedauert, bis ein solches Papier erarbeitet werden konnte. So hat das nun vorliegende Weißbuch eine lange Entstehungsgeschichte hinter sich. Als das letzte Weißbuch veröffentlicht wurde, 1994, war Volker Rühe noch Verteidigungsminister. Die NATO hatte gerade das Programm "Partnerschaft für den Frieden" beschlossen. Der Konflikt in Jugoslawien hatte gerade begonnen - noch suchte die NATO das Embargo gegen Jugoslawien durchzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Streit um die Zulässigkeit der Auslandseinsätze der Bundeswehr noch nicht entschieden. Die Bundeswehr stand noch nicht auf dem Balkan, der Somalia-Einsatz war bei der Vorlage des Weißbuchs gerade einige Tage zu Ende. Das war die sicherheitspolitische Landschaft, in die die damalige Bundesregierung ihre Analyse setzte. Die Minister Scharping und Struck haben in ihren Amtszeiten einen Konsens in der Bundesregierung nicht erreichen können. Das lag vor allem daran, dass die rot-grüne Koalition sich in der Frage der Wehrpflicht nicht einigen konnte. Verteidigungsminister Franz-Josef Jung:

    "Das Weißbuch ist ja in den letzten Jahren auch deshalb nicht mehr möglich gewesen, weil es keinen Konsens gab im Hinblick auf die Frage der Wehrpflicht. Und ich muss sagen, ich bin froh und dankbar darüber, dass wir in der Koalition vereinbaren konnten, dass wir die Zukunft der Bundeswehr auch weiterentwickeln als Wehrpflichtarmee. Ich glaube, dass sich das nicht nur innerhalb der 50 Jahre Bundeswehr bewährt hat, sondern, dass die Verwurzelung in der Gesellschaft ein wichtiger Punkt ist für unsere Armee. Auch die Art und Weise, wie unsere Armee auftritt, hat aus meiner Sicht etwas damit zu tun, selbstverständlich auch mit dem Thema der inneren Führung. Aber ich bin dankbar, dass wir diese Konzeption der Wehrpflichtarmee hier übereinstimmend feststellen konnten."

    Scharping wie Struck verabschiedeten konzeptionelle Papiere für die Bundeswehr, die aber Dokumente des Verteidigungsministers waren, keine Dokumente der Bundesregierung. Für die Definition deutscher Interessen benötigte man ein halbes Jahr, um sich zu verständigen: Der Entwurf, den das federführende Verteidigungsministerium im April vorlegte, konnte erst jetzt, im Oktober, nach einer langen Runde interministerieller Abstimmung verabschiedet werden. Nun aber liegt das Ergebnis vor. Der Wert dieses Papiers ist es, dass es von der gesamten Bundesregierung getragen wird - es ist - anders als die Papiere der letzten Minister - vom Kabinett beschlossen worden. Dass Verteidigungsminister Jung dies gelungen ist, ist ein Erfolg. Er will mit diesem Weißbuch eine breite gesellschaftliche Diskussion provozieren. Die Große Koalition deckt ein breites Politikfeld ab, so dass manche Kante, die zu Diskussionen anregen könnte, doch etwas abgeschwächt wurde. Das Bundeskabinett tagt zur Verabschiedung des Weißbuchs im Verteidigungsministerium - früher eine Übung, der sich die Ministerriege einmal im Jahr unterzog. Verteidigungsstaatssekretär Wichert hat einen Versuch unternommen, dass dies wieder zur Tradition wird. Bundeskanzlerin Merkel hat dem noch nicht zugestimmt, es soll erst einmal bei der morgigen Sitzung bleiben. Das Weitere wird sich zeigen. Der damalige Verteidigungsminister Struck hat auf eine Journalistenfrage seinerzeit den oft zitierten Satz gesagt, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt. Dabei ging es nicht nur um eine plakative Äußerung, sondern um die ernsthafte Frage, ob der Einsatz in Afghanistan - darum ging es damals konkret, aber das steht für fast alle Auslandseinsätze - mit dem Verteidigungsauftrag des Grundgesetzes noch vereinbar sei. Muss das Grundgesetz an diesem Punkt geändert werden? Struck sagte damals nein, Franz-Josef Jung geht darauf in dem Weißbuch gar nicht ein. Im Weißbuch steht:

    "Die in der Vergangenheit bewährten Strategien zu Abwehr äußerer Gefahren reichen gegen die neuen asymmetrischen Bedrohungen nicht aus. Die Sicherheitspolitik steht heute vor neuen und zunehmend komplexeren Herausforderungen. Deshalb bedarf es für eine wirksame Sicherheitsvorsorge eines präventiven, effektive und kohärenten Zusammenwirkens im nationalen wie internationalen Rahmen, einschließlich einer wirksamen Ursachenbekämpfung. Diese erfordert, Risiken und Bedrohungen für unsere Sicherheit vorzubeugen und ihnen rechtzeitig dort zu begegnen, wie sie entstehen."

    Das ist die Öffnung des Einsatzgebietes auf die ganze Welt. Dabei wurde eine Formulierung gewählt, die sich auch in Nato-Dokumenten findet, also eine Formulierung, der auch die rot-grüne Bundesregierung im internationalen Rahmen bereits zugestimmt hatte. Das Weißbuch sieht die Außen- und Sicherheitspolitik immer im Rahmen des Bündnisses. Bundeskanzlerin Angela Merkel:

    "Es zeigt sich, wenn wir unseren Interessen dienen wollen, können wir sie alleine überhaupt nicht bedienen, das schaffen wir nicht, deshalb ist es gut und richtig in Sicherheitspartnerschaften in Gemeinschaften in der Europäischen Union und in der Nato gemeinsam Aktivitäten zu ergreifen, Verantwortung zu übernehmen, sich Verantwortung zu teilen. Anders werden wir unsere Interessen nicht mehr durchsetzen können. Auch das ist eine Lehre aus den Bedrohungen und Gefahren der heutigen Welt."

    Sowohl die politischen Aufgaben, z.B. die Gestaltung des Wandels in der Welt, wie auch die militärischen Operationen werden immer so beschrieben, dass man sie nicht allein, sondern gemeinsam mit den Partnern zunächst in Nato und EU, dann aber auch in anderen internationalen Organisationen wahrnehmen oder durchführen will. Verteidigungsminister Jung nannte als Aufgaben für die Sicherheitspolitik:

    "Einmal die Herausforderung des internationalen Terrorismus. Zweitens die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Ihre Trägermittel. Und drittens die Folgen innerstaatlicher und regionaler Konflikte sowie von Staatsverfall und Staatsversagen."

    Die Interessen Deutschlands definiert das Weißbuch so:

    "Recht und Freiheit, Demokratie, Sicherheit und Wohlfahrt für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu bewahren und sie vor Gefährdungen zu schützen."

    Das ist die Wertbindung der Außen- und Sicherheitspolitik an die Prinzipien, die auch im Grundgesetz festgelegt sind.

    "Die Souveränität und die Unversehrtheit des deutschen Staatsgebietes zu sichern."

    Das ist die Position, die in Parteiprogrammen "Sicherung des Friedens in Freiheit" heißt, als die Garantie, dass die Politik auch handlungsfähig bleibt.

    "Regionalen Krisen und Konflikten, die Deutschlands Sicherheit beeinträchtigen können, wenn möglich vorzubeugen und zur Krisenbewältigung beizutragen."

    Hier werden erste Kriterien für internationales Engagement festgelegt.

    "Globalen Herausforderungen, vor allem der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, zu begegnen."

    Das ist das Bekenntnis zum internationalen Engagement.

    "Zur Achtung der Menschenrechte und Stärkung der internationalen Ordnung auf der Grundlage des Völkerrechts beizutragen."

    Die Formulierung "beitragen" macht deutlich, dass ein Einsatz der Bundeswehr nur erwogen wird, wenn mehr als "nur" die Menschenrechte auf dem Spiel stehen. Franz-Josef Jung:

    "Es wäre ein Fehler, wenn man meint, man könnte sozusagen eine Checkliste von eins bis zehn formulieren, und dann wird abgehakt, unter welchen Aspekten wir unsere Verantwortung dort wahrnehmen. Ich glaube, dass drei Aspekte hier von entscheidender Bedeutung sind. Wir müssen uns fragen, ob ein solcher Einsatz im Einklang mit unseren Werten des Grundgesetzes und unserer Verfassung steht. Zweitens stellt sich die Frage, inwiefern er unseren internationalen Verpflichtungen entspricht. Von der Nato über die Europäische Union, bis zur Vereinten Nation. Und drittens stellt sich natürlich auch die Frage, ob er unseren nationalen Interessen entspricht."

    Die Regierung und das Parlament sollen ihren Handlungsspielraum behalten. Weiter heißt es in der Interessendefinition.

    "Den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern und dabei die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen überwinden helfen."

    Damit werden auch Wirtschaftsinteressen, wenn auch vorsichtig, als deutsche Sicherheitsinteressen definiert. Später wird das noch deutlicher ausgeführt:

    "Deutschland, dessen wirtschaftlicher Wohlstand vom Zugang zu Rohstoffen, Waren und Ideen abhängt, hat ein elementares Interesse an einem friedlichen Wettbewerb der Gedanken, an einem offenen Welthandelssystem und freien Transportwegen."

    Als Beispiel dafür nannte Verteidigungsminister Jung heute in Berlin:

    "Wir sind zur Zeit im Rahmen von OEF also Enduring Freedom am Horn von Afrika tätig. Das dient natürlich auch der Sicherung und der Abwehr von Terroristenaktivitäten, der Sicherung des freien Seehandels. 80 Prozent unserer wirtschaftlichen Aktivitäten Deutschlands werden über See abgewickelt. Und hier ist natürlich auch eine Interessenlage, dass nicht durch terroristische Aktivitäten, beispielsweise Rohstoffzufuhr, beispielsweise Energieversorgung betroffen wird."

    Das Weißbuch enthält auch den gesamten Instrumentenkasten der Außen- und Sicherheitspolitik. Das vom Verteidigungsministerium erarbeitete und dann mit den andere Ministerien, die dem Bundessicherheitsrat angehören, abgestimmte Dokument nimmt auf der einen Seite Bezug auch auf das Konzept der Regierung zur "Zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung", das unter der Federführung des Auswärtigen Amtes erarbeitet wurde und das dort ständig weiterentwickelt und auf bestimmte, konkrete Krisen in der Welt heruntergebrochen wird. Alle Bereiche der Politik sind an diesem Konzept beteiligt. Auf der anderen Seite werden auch militärische Kampfeinsätze wie seinerzeit beim Kosovo-Krieg angesprochen. Mittlerweile hat sich in Deutschland durchgesetzt, dass die Ausgestaltung der Einsätze nicht nur militärisch ausgestaltet werden können. Um wirklich etwas bewirken zu können, bedarf es eines breiten Ansatzes von Instrumenten der verschiedenen Bereiche der Politik. Das Konzept des Provinz-Wiederaufbauteams in Afghanistan ist der deutlichste Beleg für diese neue Orientierung. Auch dies wird nun festgeschrieben:

    "Staatliches Handeln bei der Sicherheitsvorsorge wird künftig eine noch engere Integration politischer, militärischer, entwicklungspolitischer, wirtschaftlicher, humanitärer, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Instrumente der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung voraussetzen. Bei Einsätzen ist auf internationaler Ebene ebenfalls ein umfassender vernetzter Einsatz erforderlich, der zivile und militärische Instrumente wirksam verbindet."

    Dieser Grundsatz wird auch bei internationalen Konferenzen immer wieder betont. Zuletzt machten das die Nato-Verteidigungsminister im September in Slowenien im Zusammenhang mit dem Afghanistaneinsatz. Aber an der breiten Umsetzung dieses Prinzips mangelt es noch. Viele Länder in der Allianz, aber auch andere Mitwirkende an den Einsätzen, konzentrieren sich noch zu sehr auf die Bereitstellung von Truppen und lassen die zivilen Komponenten außer Betracht. Dieser Grundsatz muss international noch weiter verankert werden.

    "Die transatlantischen Beziehungen bleiben die Grundlage deutscher und europäischer gemeinsamer Sicherheit."

    Verteidigungsminister Jung:

    "Die Nato ist der stärkste Anker unserer Sicherheit und Verteidigungspolitik. Wir haben die europäische Verteidigungs-Sicherheitspolitik fortentwickelt und ich glaube, wir brauchen eine gute Partnerschaft für Entwicklung zwischen der Nato und der Europäischen Union."

    Die Nato ist die erste Adresse, wenn es um die Organisation der Sicherheit geht. Die Bundesregierung betont, dass sie in der Nato auch das politische Konsultationsgremium auf internationaler Bühne sieht. Hier positioniert sich die Bundesregierung in einem andauernden Konflikt in der Allianz. Bei der Vorbereitung des im November in Riga anstehenden Gipfeltreffens der Allianz ist dieser Konflikt intern wieder aufgebrochen. Vor allem Frankreich will die politische Rolle der Nato sehr reduziert annehmen. Offiziell heißt es, die Nato solle sich auf ihr militärisches Kerngeschäft konzentrieren, da lenkten rein politische Debatten nur ab. Aber dies ist nur ein vorgeschobener Grund dafür, dass es eher die EU-Gremien als politische Konsultationsgremien ansieht. Unter der Überschrift:

    "Die Bundeswehr - Instrument deutscher Sicherheitspolitik"

    werden die deutschen Streitkräfte in diesen Instrumentenkasten eingebaut. Während die rot-grüne Regierung sich auf die gegenwärtig aktuellen Einsatzszenarien konzentrierte, hat Franz-Josef Jung den Heimatschutz an prominenter Stelle mit zu den Aufgaben der Bundeswehr festgeschrieben:

    "Die Verteidigung Deutschlands gegen äußere Bedrohung bleibt die politische und verfassungsrechtliche Grundlage und Kernfunktion der Bundeswehr. Hinzu kommt die Verteidigung von Bündnispartnern bei Angriffen sowie der Beistand bei Krisen und Konflikten, die zu einer konkreten Bedrohung eskalieren können. Die klassische Landesverteidigung und die Bündnisverteidigung stellen damit unverändert zentrale Aufgaben der Bundeswehr dar. Angesichts der wachsenden Bedrohung des deutschen Hoheitsgebiets durch terroristische Angriffe gewinnt der Schutz der Bürgerinnen und Bürger und der Infrastruktur an Bedeutung."

    Dann aber grenzt das Weißbuch wieder ein:

    "Internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus sind auf absehbare Zeit die wahrscheinlicheren Aufgaben. Sie sind strukturbestimmend und prägen maßgeblich Fähigkeiten, Führungssysteme, Verfügbarkeit und Ausrüstung der Bundeswehr."

    Dies führt zu einem der Konfliktfelder der Großen Koalition: Wann und unter welchen Bedingungen darf die Bundeswehr auch im Inneren eingesetzt werden? Während vor allem die SPD darauf verweist, dass die gegenwärtig gültigen Verfahren der Amtshilfe bereits ein sehr breites Operationsspektrum abdecken, argumentiert die Union eher für eine Erweiterung der Kompetenzen der Bundeswehr. Die Oppositionsfraktionen sind eher gegen eine Veränderung der gegenwärtigen Lage. Im Vorfeld der Verabschiedung des Weißbuchs sagte Minister Jung, dass man dieses Thema weitgehend aussparen möchte, da ein Gesetzgebungsverfahren läuft, in dessen Rahmen das Grundgesetz geändert werden könnte. Dabei geht es um die Frage, ob eine Bedrohung aus der Luft oder von See aus von der Bundeswehr beantwortet werden kann oder soll, auch, wenn bereits der deutsche Luftraum oder deutsche Hoheitsgewässer erreicht worden sind, sich also nach gegenwärtigem Stand eine Polizeizuständigkeit ergeben würde. Der Grundgedanke, dass dort, wo die Gegner asymmetrisch agieren, auch entsprechend geantwortet werden muss, dass die Innere und Äußere Sicherheit also gar nicht mehr unterschieden werden kann, findet sich dann doch im Weißbuch wieder.

    "Die Abwehr terroristischer und anderer asymmetrischer Bedrohungen innerhalb Deutschlands sind vorrangig eine Aufgabe der für die Innere Sicherheit zuständigen Behörden von Bund und Ländern. Jedoch kann die Bundeswehr zu ihrer Unterstützung mit den von ihr bereitgehaltenen Kräften und Mitteln immer dann im Rahmen des geltenden Rechts zum Einsatz kommen, wenn nur mit ihrer Hilfe eine derartige Lage bewältigt werden kann. Militärische Kampfmittel dürfen dabei bislang nicht eingesetzt werden. Hier sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit einer Erweiterung des verfassungsrechtlichen Rahmens für den Einsatz der Streitkräfte."

    Diese Formulierung ist interpretationsfähig. Sie kann sich einerseits nur auf die erwähnten Bereiche erstrecken, sie kann aber auch darüber hinaus herangezogen werden, wenn sich die Meinung durchsetzt, dass die Bundeswehr auch weitere Aufgaben übernehmen soll. Minister Jung:

    "Niemand von uns will hier originäre Polizeiaufgaben übernehmen. Das ist die Verantwortung der Polizei hier im Bereich der inneren Sicherheit. Aber wenn es darum geht, den Schutz Deutschlands sicherzustellen, weil die Mittel der Polizei nicht mehr ausreichen und ich einen derartigen terroristischen Angriff abwehren muss, dann muss ich dafür die Möglichkeiten haben, die Mittel der Bundeswehr einzusetzen, im Interesse des Schutzes unserer Bevölkerung, und deshalb werden wir auch in dieser Richtung eine verfassungsmäßige Klarstellung vornehmen."

    Damit ist eine Formulierung gefunden, die diese Diskussion nicht beendet. Sie bleibt also auf der Tagesordnung. Der Einsatz im Inneren ist immer dann unstrittig, wenn es um Katastrophenhilfe geht, bei Überschwemmungen, bei der Vogelgrippe, bei unter der Schneelast eingestürzten Dächern, um einige Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zu erwähnen. Bisher galt, dass Katastrophen, die durch Terrorakte hervorgerufen worden sein könnten, nicht als einfache Katastrophenhilfe gelten. Aber dies hat das Bundesverfassungsgericht nun ausgeräumt. Die Bundeswehr baut in den Regionen Zentren der militärischen Zusammenarbeit auf. So wie sie dies im Ausland seit dem Bosnieneinsatz immer wieder gemacht hat. Bei den Katastrophenschutzübungen in den Ländern und Städten ist die Bundeswehr dabei. Auch wenn sich Gremien zum Katastrophenschutz bilden. Hier werden Reservisten eingebunden, die ein neues Aufgabenfeld gefunden haben. Reservisten, so heißt es im Weißbuch, dürfen auch in Einsätze mitgenommen werden. Auf der gesamten Bandbreite des militärischen Handlungsspektrums. Heute schon sind zahlreiche Experten in den Einsätzen Reservisten, die sich für die Einsatzzeit nochmals bei der Bundeswehr verpflichtet haben. Die wesentlichen Defizite der Bundeswehr werden in dem Weißbuch auch aufgelistet: Die strategische Transportfähigkeit, Führungs- und Aufklärungssysteme, um nur einiges zu nennen. Da fällt dann schon auf, dass trotz der noch bestehenden Ausrüstungsmängel das Ziel, 30 Prozent des Verteidigungshaushalts für Investitionen vorzusehen, aufgegeben wird, ohne dass eine neue Zahl genannt wird. Die Einsätze sind prägend für die Bundeswehr, für ihre Struktur, ihre Ausbildung und ihre Ausrüstung. Bis zu 14.000 Soldatinnen und Soldaten sollen in fünf verschiedenen Operationen eingesetzt werden können. Gegenwärtig sind rund 9.000 im Einsatz. Für internationale Eingreiftruppen, also die der Nato und der EU, werden insgesamt 34.000 Soldatinnen und Soldaten in Bereitschaft gehalten. Wer die sicherheitspolitische Debatte intensiv verfolgt hat, wird wenig Neues in dem Papier finden. Wer sich einen Überblick verschaffen will, hat ein brauchbares Dokument vor sich, das die Bemühungen und Absichten der Bundesregierung im Zusammenhang darstellt. Eine konkrete Handlungsanweisung gibt das Buch nicht, denn sicherheitspolitische Entscheidungen können nicht anhand einer Checkliste getroffen werden. Franz-Josef Jung wünscht sich:

    "Dass gerade das Weißbuch auch das gewährleistet, dass wir wieder mehr über Sicherheitspolitik, auch in der Öffentlichkeit diskutieren."