Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Komponieren nach Auschwitz

Zur Uraufführung der Oper "Das Frauenorchester von Auschwitz" kam eine Zeitzeugin nach Mönchengladbach. Die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch ist die letzte lebende Musikerin des Ensembles. Sie hatte den der Oper zu Grunde liegenden Roman von Fania Fénelon aus dem Jahr 1976 als Schund bezeichnet. Der Komponist Stefan Heucke hat ihre Bedenken ernst genommen und die Zweifel in die Inszenierung integriert.

Von Frieder Reininghaus | 17.09.2006
    Die Schamfrist ist vorbei. Zwar ist die im späten 20. Jahrhundert heißgelaufene Konjunktur der Holocaust-Industrie derzeit etwas abgekühlt (es mag aktuelle politische Gründe haben). Doch nach der Erfüllung der Kinos und großer Theater mit mehr oder minder hemmungslosen und rührseligen Produkten zum Sterben und Überleben im Warschauer Ghetto oder dem Entkommen aus der Vernichtungsmaschinerie der deutschen Dienststellen, nach ernst zu nehmenden Beiträgen zum heillosen Thema (wie Peter Ruzickas "Celan") ist der Wille zur musiktheatralen "Bewältigung" (und Nutzung) der Nazi-Verbrechen an der Peripherie des deutschen Musiktheaters angekommen.

    Tiefer geht es kaum noch. Die Betreiber des Projekts mit dem "Mädchenorchester" wussten, wie heikel ihr Unterfangen war. Daher suchten sie früh den Kontakt zu Überlebenden, die das auf Fania Fénelons Geschichtsklitterung basierende Libretto gegenlesen und absegnen könnten.

    Doch Anita Lasker-Wallfisch, einst Cellistin der Kapelle, verweigerte den Segen und blieb auch bei einem Auftritt im Vorfeld der Uraufführung der Auffassung, "dass jeder Versuch der Wiedergabe in begrenzter Form, wie es eine Oper ist, unbedingt fehlschlagen muss."

    Zwar wurde die Bemühung der Veranstalter am Ende von freundlichem Beifall des Premierenpublikums quittiert. Dennoch: Die 81-jährige Augenzeugin Lasker-Wallfisch sollte leider recht behalten: Das Unternehmen ist in der Hauptsache fehlgeschlagen.

    Die aus Fania Fénelons Roman abgeleitete allzu schlichte Erzählweise des Librettos - es stammt vom Bruder des Komponisten - präsentiert eine Geschichte, die vielleicht anzurühren vermag: Angefangen von der Ankunft der Freundinnen - Fania und Berthe - mit dem Viehwagen, der Selektion, der Zwangsentkleidung und dem Scheren der Haare sowie ihrer Zuteilung zum Musikcorps bis zum unerklärlichen plötzlichen Tod der Dirigentin Alma Rosé, einer Nichte Gustav Mahlers, der rasch darauf erfolgenden Auflösung der Kapelle, der Ermordung ihrer jüdischen und des Rücktransports ihrer nichtjüdischen Mitglieder nach Westen. Das alles wird in der Inszenierung des Intendanten Jens Pesel theaterrealistisch dargestellt - und kollidiert mit den Einschüben, die das historisch bewusste Festhalten der Geschehnisse und die Notwendigkeit von "Erinnerungsarbeit" in ungelenker Sprache zum Dialog formten.

    Der Komponist, der bislang vornehmlich durch protestantische Kirchenkompositionen hervortrat, setzte ein dichtes symphonisches Geflecht von zirka 40 Personen- und Symbolmotiven zusammen. Ein Teil dieser Motive stammt von Schumann, Schubert, Sebastian Bach, Johann Strauß oder Franz von Suppé - aus Zitaten, die als solche meist klar erkennbar bleiben.

    Heuckes Tonsatz versucht eine Spannung aufzubauen zwischen der musikalischen "Erzähl"-Spur des "regulären" Orchesters (im Hintergrund der Bühne), dessen Formelvorrat sich aus den Opern Alban Bergs bediente, und dem in Häftlingskluft spielenden "Mädchenorchester", das Teile von dessen Repertoire im Jahr 1943 "einstudiert" und auf Befehl vorspielt - mit gleichsam "verbeultem", durch die Unsäglichkeit der Aufführungsverhältnisse bedingt beschädigtem Ton.
    Stefan Heucke Musik sollte "einprägsam" und "anschaulich" sein. Doch der Kontrast der Elemente ist so miserabel gemacht wie die Gelenkstellen - und insbesondere das angeblich "Eigene". Da verhält es sich wie beim aktuellen Fleischskandal: Das Verfallsdatum ist längst abgelaufen, aber die Ware wird dennoch als frisch verkauft.

    Am problematischsten aber bleibt diese durchaus als Bekenntniswerk konzipierte Literaturoper und ihre Inszenierung dort, wo sie auf "Realitätsbezug" insistiert - zum Beispiel mit dem nach und nach sich auftürmenden Kleiderberg oder der Inbetriebnahme eines sich mit Theaternebel füllenden Glasrohrs, das die Zufuhr von Zyklon B in die Gaskammer darstellen soll.