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Kompromiss bei der Gesundheitsreform

Zagatta: Die Kritik an der in der Nacht ausgehandelten Gesundheitsreform fällt ziemlich heftig aus, der meistgehörte Vorwurf: diese Reform gehe viel zu eindeutig zu Lasten der Versicherten. Aber lässt sich das so pauschal überhaupt sagen? Wir sind mit Thomas Isenberg verbunden, er ist Leiter des Fachbereichs Gesundheit beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Guten Tag, Herr Isenberg.

    Isenberg: Guten Tag.

    Zagatta: Herr Isenberg, aus Sicht der Verbraucher, sprich in diesem Fall der Versicherten, muss man da so in diese Klage mit einstimmen, sind die Versicherten ganz eindeutig die Leidtragenden dieser Reform, sehen Sie das auch so?

    Isenberg: Pauschal kann man das ganz klar sagen. Diese Reform ist ungerecht, weil die Versicherten zusätzlich belastet werden mit dem, was die Arbeitgeber sparen. Will heißen, die Finanzierung des Krankengeldes, des Zahnersatzes wird aus der Mitfinanzierungsverantwortung der Arbeitgeber herausgenommen. Das Geld muss ja irgendwoher kommen und es kommt vom gesunden Versicherten, der zusätzlich zu seinen bisherigen Beiträgen ein sogenanntes Sonderopfer zu übernehmen hat für das, was die Arbeitgeber sparen. Richtig schwierig wird es für die Versicherten, die darüber hinaus noch krank sind. Kranke Versicherte werden demnächst Zuzahlungen, Praxiseintrittsgelder, andere Zuzahlungen leisten, die teilweise höher sind, als bisher und wir haben Leistungsausgrenzungen. Sterbegeld, Sterilisation, andere Maßnahmen werden demnächst komplett von demjenigen, der dabei einen medizinischen Bedarf hat, zu bezahlen sein, das heißt, Versicherte, aber insbesondere Kranke und Patienten haben die Zeche zu zahlen.

    Zagatta: Aber es soll ja jetzt auch geringere Beiträge geben.

    Isenberg: Das ist richtig, die Beitragssätze werden sinken, jetzt muss man mal schauen, wie viel. Klar ist natürlich auch, dass das keine wirklich langfristige Reform ist, da muss man in zwei, drei Jahren wieder herumdoktern. Das Problem ist ja: die Beiträge sinken, da freut sich der Versicherte, aber es ist nicht real, weil er ja gleichzeitig zusätzliche private Entgelte zu zahlen hat für die Absicherung des Zahnersatzes, andere Zuzahlungen, das Krankengeld. Das heißt, das wird er selber bezahlen müssen und ohne dass man weiß, dass wirklich das grundsätzliche Problem, nämlich die Einsparreserven, die man bei den Leistungsanbietern, bei der Pharmaindustrie, noch mal mobilisieren könnte, mobilisiert worden sind ohne dass man als Versicherter weiß, dass wenn man ein Sonderopfer übernimmt gleichzeitig wenigstens die Beamten, die Bessergestellten privilegiert sind in der Gesellschaft auch ihren Beitrag dazu leisten, diese langfristigen Reformoptionen sind ja total entkoppelt von dieser Reform. da wird nächste Woche die Rürup-Kommission erst mal ihre Berichte veröffentlichen, dann wird man viel diskutieren und ob man da wirklich einen Beschluss in dieser Legislaturperiode noch herbeiführt, ist sehr sehr fraglich und das ist das Ungerechte. Es wird jetzt ein Sonderopfer abverlangt von den versicherten Verbrauchern, ohne dass man ihnen gleichzeitig sagen kann: ja, die Pharmaindustrie, ja, die strukturellen Reformen greifen und auch das, was langfristig notwendig ist, um auch eine nachhaltige Finanzierung sicherzustellen.

    Zagatta: Herr Isenberg, Sie meinen, es wird teuer für diejenigen, die krank sind. Was zahlt denn in Zukunft jemand, der einigermaßen gesund ist, geht für den die Rechnung auf oder zahlt der unterm Strich in Zukunft auch mehr?

    Isenberg: Ich gehe davon aus, dass der unterm Strich auch mehr zahlen wird. Es ist ja so, dass die Krankenkassen jetzt noch einiges an Schulden haben, die erst mal abgebaut werden müssen. Der Beitragssatz wird sicherlich durchschnittlich auf unter 13 Prozent sinken können im Laufe des nächsten Jahres. Da freut sich derjenige, der jetzt vielleicht 13,6 Prozent oder mehr an Beiträgen zahlt. Es gibt natürlich auch Krankenkassen, die weniger an Beitragssatzsenkungen haben werden, nämlich die, die jetzt schon bei 12,5 oder 12,8 Prozent liegen. Das wird sich sehr unterschiedlich auf den einzelnen Verbraucher auswirken, aber bei demjenigen, wo der Beitragssatz sinkt, der muss auch ganz klar wissen, er wird zusätzlich seine Zahnersatzpolice bezahlen müssen. Das wird für den gesunden jungen Verbraucher eher ein ganz marginales Nullsummenspiel werden und die Gesunden haben ja noch mal weitere Privilegien. Als gesunder Verbraucher kann ich demnächst als freiwillig Versicherter auch Selbstbehaltmodelle wählen, das heiße, ich bekomme was ausgezahlt aus meiner gesetzlichen Krankenkasse, wenn ich gesund bleibe. Junge gesunde Gutverdienende, die werden profitieren, auf jeden Fall. Kranke, ältere werden definitiv nicht profitieren.

    Zagatta: Aber Zahnersatz kommt ja letztendlich auch nicht so teuer, wenn das tatsächlich 7,50 Euro im Monat werden und wenn man damit bei gesetzlichen Krankenkassen die ganze Familie mitversichern kann.

    Isenberg: Ja, das ist eindeutig, wenn man die Wahl hat zwischen Pest und Cholera und hier muss man sich eben entscheiden und hier ist es ganz klar, dass es besser für den einzelnen Versicherten sein wird, innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung eine Zusatzpolice zu erkaufen für Zahnersatz als wenn er in die private hineingeht, weil die private wird voraussichtlich teurere Tarife anbieten, wo nicht zwangsläufig genau die Familien so mitversichert werden wie jetzt oder der Gesundheitsstatus nicht die Rolle spielt. Voraussichtlich wird es so sein, dass jeder gut beraten sein wird, innerhalb der GKV dann eine Zusatzversicherung abzuschließen für den Zahnersatz.

    Zagatta: Gilt das grundsätzlich oder sollten sich diejenigen, die sich das finanziell leisten können, sich jetzt doch überlegen, von der GKV zur PKV zu wechseln?

    Isenberg: Wenn man jetzt über die Vollversicherung redet, also derjenige, der jetzt momentan über 3825 Euro im Monat verdient, darf ja abwandern aus der GKV in eine voll private Krankenversicherung. Das lohnt sich grundsätzlich im Moment auch nur für denjenigen, der Single ist, der jung ist, weil die PKV ja eine Gesundheitseingangsprüfung macht und es ist in der Regel eine Lebensentscheidung. Ich komme schwierig zurück. Das heißt, da sollte man auch sehr zögerlich damit umgehen. Im übrigen gibt es für die freiwillig Versicherten Sonderanreize, weiter freiwillig in der gesetzlichen Kasse zu bleiben. Alle GKV werden demnächst in ihren Satzungen Modelle anbieten, wo derjenige, der freiwillig versichert ist, Zuzahlungen leisten kann und dann eben zum Beispiel geringere Beiträge, Selbstbehalte, Beitragssatzrückerstattungsmodelle. Das heißt, wer freiwillig versichert ist, kann demnächst Vorteile erzielen, wenn er weiterhin in der GKV versichert bleibt und da ist jeder gut beraten, der vielleicht mit dem Gedanken gespielt hat, in die PKV abzuwandern, ein halbes, Dreivierteljahr zu warten, bis man dann die neuen, konkreten Vertragsmodelle der gesetzlichen Kasse auf dem Tisch liegen hat. Das wird sich dann für den ein oder anderen lohnen, nicht in die PKV abzuwandern.

    Zagatta: Herr Isenberg, jetzt haben wir lange über die Nachteile gesprochen, Ihnen liegt aber besonders am Herzen, aus Sicht der Verbraucher die Patientenrechte und die werden jetzt gestärkt.

    Isenberg: Das ist wirklich ein guter Aspekt an der Reform, die Partienrechte, Patientenbeteiligung wird massiv gestärkt. Wir haben mehr Wahlmöglichkeiten auf der einen Seite und auf der anderen Verbraucher und Patientengruppen bekommen qualifizierte Anhörungs- und Mitwirkungsrechte in den ganzen vielfältigen Gremien des Gesundheitswesens, wo ja bisher Ärzte und Kassen ihre Eigeninteressen ausklamüsern über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Da wird massiv Einflussmöglichkeiten aufgebaut. Man will darüber hinaus einen Patientenbeauftragten einsetzen, das ist auch sehr gut. Der Preis dafür, das muss man ganz offen sagen, ist verdammt hoch, nämlich der, dass Patienten demnächst mehr Zuzahlung als bisher leisten.

    Zagatta: Herr Isenberg, herzlichen Dank für das Gespräch. Das war Thomas Isenberg, ist Leiter des Fachbereichs Gesundheit beim Bundesverband der Verbraucherzentralen.

    Isenberg: Bittesehr.

    Link: Interview als RealAudio