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Kompromiss in Sachen Zuwanderung ohne die Grünen?

Kapérn: Bei uns am Telefon ist Cem Özdemir, der innenpolitische Experte der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen!

    Özdemir: Guten Morgen!

    Kapérn: Herr Özdemir, es hat keine Annäherung in der Sache gegeben. Der Dissens sei lediglich festgestellt worden, hat Ihre Parteivorsitzende Claudia Roth gesagt. Das hört sich richtig verfahren an?

    Özdemir: Wir sind in der Sache hart, weil es um die Sache geht, weil es darum geht, dass das, was ursprünglich in Deutschland zu Zeiten von Frau Süssmuth festgehalten wurde, nämlich dass wir eine Modernisierung unserer Einwanderungspolitik brauchen, dass wir Verbesserungen im Asylrecht, aber auch die Förderung von mehr Integration in Deutschland wollen, umgesetzt wird. Unser Eindruck ist, dass auch durch den Referentenentwurf das Ziel zunehmend aus dem Blickwinkel gerät und wir uns immer mehr von den ursprünglichen Absichten entfernen. Die Grünen als die Partei, die die höchste Kompetenz in dieser Frage haben, haben die Aufgabe, hier die warnende Stimme zu erheben, denn das was gegenwärtig geschieht, das ist nicht mehr so sehr Konsens, sondern zunehmend Nonsens.

    Kapérn: Dieses Expertentum, das wird Ihnen ja vom Bundesinnenminister Otto Schily zunehmend abgestritten. Er sagt, bei den Einwänden der Grünen handele es sich überwiegend um Missverständnisse. Das klingt so, als vermutete Schily, die Grünen könnten den Referentenentwurf einfach nicht lesen?

    Özdemir: Ein Referentenentwurf, der beim Koalitionspartner, bei den Kirchen, bei Gewerkschaften, bei Wohlfahrtsverbänden, bei Unternehmern, also bei wichtigen Organisationen der Gesellschaft "Missverständnisse" auslöst, der muss sich natürlich schon fragen, ob das, was möglicherweise gewollt war, auch im Text steht. Mein Eindruck ist genau: dieses ist nicht der Fall. Dann finde ich weisen wir zurecht auf diese Punkte hin und verlangen, dass sie geändert werden.

    Kapérn: Nun beharrt Otto Schily - das tat er auch gestern Abend wieder nach dieser Koalitionsrunde - darauf, dass die Federführung bei ihm liege. Das klingt eigentlich nicht so, als wolle er sich auf echte Verhandlungen mit Ihnen einlassen?

    Özdemir: Natürlich liegt die Federführung beim Innenminister, aber der Innenminister muss auch wissen, dass er zwei Koalitionsfraktionen hat, und zwar zwei sehr selbstbewusste Koalitionsfraktionen. Mit denen muss er sich ins Benehmen setzen. Der Koalitionspartner im deutschen Bundestag heißt nach wie vor "Bündnis 90/Die Grünen" und nicht "Herr Beckstein".

    Kapérn: Wie bewerten Sie denn das Vorgehen, das Auftreten des Innenministers in dieser Frage?

    Özdemir: Ich glaube, etwas mehr Sensibilität dafür, dass beide Koalitionsfraktionen für sie wichtige Themen haben, und etwas mehr Rücksichtnahme darauf, dass beide Koalitionsfraktionen auch im Verfahren inhaltlich wie strategisch beteiligt werden müssen, würde zu einem besseren Koalitionsklima beitragen. Ich finde, Solidarität kann keineswegs einseitig sein.

    Kapérn: Nun haben Sie gerade den Beitrag meines Kollegen Mönchenberg aus Berlin gehört. Da klang ja in den Stellungnahmen des Bundesinnenministers möglicherweise tatsächlich durch, dass er gewillt sei, diesen Kompromiss in Sachen Zuwanderung einfach mit der Union zu suchen und die Grünen außen vor zu lassen. Sind Sie sich sicher, dass Otto Schily weiß, wie sein Koalitionspartner heißt, dass dies die Grünen sind und nicht Beckstein?

    Özdemir: Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Ich glaube Otto Schily weiß, was das in der Konsequenz bedeuten würde.

    Kapérn: Was würde es denn bedeuten?

    Özdemir: Ich glaube das muss man nicht explizit sagen, denn es ist in jeder Koalition klar, dass in einer Koalition gemeinsam abgestimmt wird. So wie die SPD sich auf uns zu jedem Zeitpunkt verlassen kann, Stichwort Mazedonien-Frage, so glaube ich müssen wir auch davon ausgehen, dass wir uns auf unseren Koalitionspartner verlassen können müssen.

    Kapérn: Und wenn mal nicht?

    Özdemir: Wie gesagt ich glaube, das muss man nicht explizit aussprechen. Aber Otto Schily weiß, Bündnis 90/Die Grünen sind die Partei, die ihn davon überzeugt haben, dass beispielsweise das Asylrecht nicht in eine Institutsgarantie verwandelt wurde, wie er das ursprünglich vor hatte. Bündnis 90/Die Grünen sind die Partei, die ihn davon überzeugt hat, dass wir überhaupt ein Einwanderungsgesetz brauchen. Otto Schily war der Mensch, der in der Koalitionsvereinbarung noch maßgeblich verhindert hat, dass wir ein solches Einwanderungsgesetz aufgenommen haben. Insofern glaube ich hat das, was Bündnis 90/Die Grünen bisher Otto Schily gesagt hat, ihm nicht geschadet, sondern im Gegenteil eher genutzt.

    Kapérn: Nun ist Otto Schily ja fast zu bedauern. Union und Grüne sind ja in der Frage eines Einwanderungsgesetzes kaum unter einen Hut zu bekommen, aber genau das ist ja sein Auftrag. Wie kann er das hinbekommen?

    Özdemir: Das kann er hinbekommen, indem er auf einen Konsens hinverhandelt. Ein Konsens bedeutet, dass man sich in der Mitte trifft. Das heißt, dass man sich bemüht, alte Positionen zum Teil zu überwinden und sich aufeinander zu zubewegen. Das was aber gegenwärtig diskutiert wird, das ist eine hundertprozentige Übernahme von CSU-Positionen und worin da der Konsens bestehen soll, das versteht glaube ich außer dem Innenminister niemand in der Republik und das müsste dann doch noch einmal erläutert werden. Ich kann nicht verstehen, warum auch eine selbstbewusste Fraktion wie die SPD-Fraktion sich das Diktat aus Bayern gefallen lassen soll.

    Kapérn: Können Sie uns noch einmal die wichtigsten Punkte dieses Diktats, das Otto Schily aufgenommen hat, nennen?

    Özdemir: Es geht beispielsweise um die Frage des Familiennachzugs, dass wir dabei sind, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu werden, dass es Kinder erster Klasse gibt aus Familien von hoch qualifizierten und den Rest der Kinder. Wir entfernen uns damit von Prinzipien der Europäischen Union und isolieren uns zunehmend. Es geht aber auch um die Frage der Duldung. Das Niveau, das wir unter Frau Süssmuth erreicht hatten, dass wir uns einig waren, dass die Duldungskette beendet werden muss, dass diese Menschen einen besseren Status brauchen, das wird nicht mehr gewährleistet durch den Referentenentwurf aus dem Innenministerium. Es geht aber auch um viele, viele andere Fragen, Asylverfahrensgesetz beispielsweise, wo wir eine Verschlechterung zum Status Quo erreichen. Bündnis 90/Die Grünen sind nicht angetreten, um Verschlechterungen im Flüchtlingsstatus durchzusetzen, sondern unser Ziel war es, dass wir dort, wo es unseres Erachtens Lücken gibt, Stichwort nichtstaatliche Verfolgung, Verbesserungen erreichen.

    Kapérn: Roland Koch, der Ministerpräsident von Hessen, hat eigentlich in einem Zeitungsinterview heute sehr präzise beschrieben, in welcher Zwickmühle Otto Schily sich befindet. Er hat gesagt, wenn sich Schily den Grünen annähert, dann bedeutet das automatisch zusätzlichen Dissens mit der Union. Müsste man nicht ehrlicherweise das Vorhaben "Konsens über ein Einwanderungsgesetz" einfach zu den Akten legen?

    Özdemir: Es gibt ja kein Gesetz in der Bundesrepublik Deutschland, dass alles was der Bund macht von Herrn Koch oder von Herrn Stoiber abgesegnet werden muss. Wir haben in dieser Legislaturperiode viele Gesetze gemacht, gegen Herrn Koch und gegen Herrn Stoiber, und ich behaupte es waren mit unsere besten Gesetze. Ich finde, warum nicht auch bei diesem Gesetz! Der Versuch des Konsenses von SPD, Grünen und CSU und sonstigen Extrempositionen innerhalb der Union glaube ich wird nicht funktionieren. Dafür sind die Vorstellungen zu unterschiedlich. Die Union - das ist deutlich geworden -, dort haben sich die Hardliner durchgesetzt. Dort wird zunehmend dieses Thema unter Wahlkampfaspekten betrachtet. Ich sehe nicht, warum rot/grün sich dafür hergeben soll.

    Kapérn: Gleichwohl braucht Otto Schily aber eine Mehrheit auch im Bundesrat. Glauben Sie die kommt zu Stande ohne Koch und Stoiber, aber mit anderen Unionsministerpräsidenten?

    Özdemir: Warum nicht. Ich glaube man sollte das ernsthaft versuchen. Auch wir wollen den Konsens. Auch wir wollen das Thema aus dem Wahlkampf heraushalten. Auch wir haben Verständnis für diesen Wunsch. Wir weisen aber eben auch auf die Qualitätsdiskussion hin. Ein Konsens, der die Qualität außer Acht lässt, glaube ich wird uns sehr schnell um die Ohren fliegen.

    Kapérn: Also die Spaltung der Union. Das ist die Strategie, die Sie Otto Schily empfehlen?

    Özdemir: Ich empfehle dem Innenminister, aber ich glaube das weiß er selber, dass wir ernsthaft das Gespräch mit der Union suchen, wir wollen das, aber dass wir niemandem hinterherlaufen müssen. Es besteht keine Veranlassung dazu, dass wir vor der CSU in Bayern zu Kreuze kriechen.

    Kapérn: Der innenpolitische Experte der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen war das heute Morgen im Deutschlandfunk, Cem Özdemir, ein viel gefragter Mann, wie wir am Telefonklingeln im Hintergrund hören durften. - Herr Özdemir, danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio