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"Kompromisse können vernünftig sein"

Vizekanzler Franz Müntefering hat die Pläne der Großen Koalition zur Reform des Gesundheitswesens sowie der Unternehmenssteuer verteidigt. Natürlich wollten Union wie SPD ihre jeweiligen Konzepte durchsetzen, sagte er. Darüber hinaus sprach er sich dafür aus, dass die Deutsche Bahn ihr Schienennetz und den Fahrbetrieb in einer Hand behält.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Erstmals seit Jahren zeigen die Wirtschaftsdaten wieder nach oben. Die Arbeitslosigkeit nimmt ab, die Steuern sprudeln. Und dennoch befinden sich die beiden Partner der Großen Koalition im Stimmungstief. Die Bürger sind so unzufrieden mit Union und SPD wie zum Ende von Rot-Grün. Das will die Koalition nun ändern und hat sich vorgenommen, nach der Sommerpause die anliegenden Reformen anzupacken. Das kündigten Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Müntefering gestern nach einer Klausurtagung des Kabinetts an.

    Am Telefon ist jetzt der Vizekanzler, Arbeits- und Sozialminister Franz Müntefering. Schönen guten Morgen!

    Franz Müntefering: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Müntefering, Sie meinten gestern, es sei unfair, dass Union und SPD an ihren Wahlkampfaussagen gemessen würden, da ja niemand hätte ahnen können, dass es notwendig sein würde, eine Große Koalition zu bilden. Sind Ihnen die Ergebnisse der Koalition jetzt doch mittlerweile peinlich?

    Müntefering: Nein, überhaupt nicht, aber man muss doch sehen, bei dem Wahlergebnis am 18. 9. letzten Jahres haben beide Konzeptionen sich nicht durchsetzen können. Rot-Grün hatte keine Mehrheit mehr, aber Schwarz-Gelb hat auch keine bekommen. Daraus ist eine Große Koalition entstanden, und da kann man natürlich gegen sein. Nur wenn man meint, dass diese Koalition sinnvoll ist – und das glauben wir -, dann muss man wissen: Die Koalition kann nur das tun, was sie gemeinsam vereinbaren kann. Das ist ein Kompromiss, der in unserem Koalitionsvertrag steht.

    Ich glaube, dass der Kompromiss gut ist. Deshalb habe ich gesagt: Alle diejenigen, die jetzt so tun, als ob wir oder ob der Koalitionspartner mal eben frei machen könnte, was im Wahlkampf gesagt worden ist, der irrt sich. Der muss sehen, da war zwischendurch eine Wahl.

    Heckmann: Es kommt auf Kompromisse an, sagen Sie, Herr Müntefering, aber die Mehrwertsteuererhöhung beispielsweise, die war ja nun kein Kompromiss. Die Union hat zwei Prozentpunkte gefordert; die SPD hat sie abgelehnt, herausgekommen sind drei Prozent.

    Müntefering: Wir haben ein Konjunkturprogramm gefordert im Wahlkampf, und wir haben eines gemacht mit 25 Milliarden Anfang dieses Jahres. Das hat uns sehr geholfen, um ein Stückchen am Binnenmarkt auch die Dinge in Bewegung zu setzen. Und wir haben dann der Mehrwertsteuererhöhung zugestimmt. Allerdings ein Prozent davon - das ist der dritte Punkt - wird unmittelbar zurückgegeben an Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Da kommen im nächsten Jahr 3,6 Milliarden an die Arbeitnehmer und an die Arbeitgeber zurück, weil die Arbeitslosenversicherungsbeiträge gesenkt werden. Das wäre sonst nicht möglich.

    Heckmann: Nur ein Prozentpunkt muss man sagen.

    Müntefering: Einer von den dreien.

    Heckmann: Der Rest fließt in die Haushalte.

    Müntefering: Einer von den dreien. Das andere, das ist richtig, ja. Wir wollen die Haushalte konsolidieren, aber wir wollen ja mit den Haushalten auch dazu beitragen, dass die Binnennachfrage steigt. Was wir im Moment festzustellen haben, ist, dass die Anträge, die gestellt werden für energetische Gebäudesanierung, also da wo die Privaten Geld ausgeben, in Massen kommen, und das wollen wir beschleunigen. Wir haben ja gestern auch festgelegt, dass noch einmal 360 Millionen aus der Verpflichtungsermächtigung der nächsten Jahre vorgezogen werden, damit das weitergehen kann mit diesen Maßnahmen, die sehr sinnvoll sind für das Handwerk.

    Heckmann: Bundeskanzlerin Merkel sagte gestern, die Richtung stimme. Das Problem aber scheint doch zu sein, dass gar keine Richtung, keine klare Richtung jedenfalls zu erkennen ist. Forderungen von beiden Lagern werden zusammengesetzt, und selbst innerhalb der Großen Koalition, innerhalb der beiden Parteien gibt es eine große Unzufriedenheit wie beispielsweise bei der Gesundheitsreform.

    Müntefering: Ein bisschen kann man das sicher erklären. Das ist ja die Sache mit dem Wahlkampf. Deshalb habe ich die ja ausdrücklich angesprochen. Natürlich wollen beide Seiten ihr Konzept durchsetzen, aber man muss jetzt immer wieder zu Kompromissen finden, und diese Kompromisse können vernünftig sein. Es gibt ja in Deutschland so einen Hang zu glauben, Kompromisse seien immer faul. Das ist nicht wahr. Es gibt auch eine faule Kompromissunfähigkeit. Man muss auch in der Lage sein, etwas Gutes dann gemeinsam zu machen.

    Heckmann: Der Eindruck, Herr Müntefering, dass der Gesundheitskompromiss beispielsweise vernünftig ist, dieser Eindruck hat sich nicht gerade weit verbreitet.

    Müntefering: Dann müssen wir eben dafür noch werben. Ich glaube, dass das eine Entscheidung ist, die wir da treffen, die ganz im Sinne der Versicherten ist, möglicherweise nicht im Sinne aller Krankenkassen oder ansonsten Beteiligten. Aber da wird sehr pauschal drüber geredet. Das was wir machen mit dem Gesundheitsfonds, die Möglichkeit der Lage der einzelnen Krankenkassen entsprechend die Mittel zuzuordnen, je nachdem wie viel die einzelne Krankenkasse an kranken, vielleicht auch an älteren Menschen in ihren Reihen hat, ist eine durchaus sinnvolle Sache.

    Heckmann: Wenn die Zielsetzung, Herr Müntefering, so klar wäre, wie Sie sagen, wenn die Zielsetzung heißt, Jobs zu schaffen, Jobs und nochmals Jobs, dann müsste auch klar sein, dass die Überschüsse der Bundesagentur dazu verwendet werden, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag weiter noch abzusenken und die Steuermehreinnahmen dazu zu verwenden, möglicherweise die Mehrwertsteuererhöhung zumindest zum Teil zurückzunehmen.

    Müntefering: Erst mal müssten ja die Überschüsse überhaupt da sein. Das, wo wir im Moment drüber reden, ist ja eine Einschätzung auf Ende dieses Jahres. Anfang des Jahres hat die Agentur uns gesagt, sie hat 1,8 Milliarden in diesem Jahr übrig. Jetzt sind wir etwa bei 9 Milliarden in der Schätzung. Allerdings wenn die Arbeitslosenversicherungsbeiträge gesenkt werden um zwei Prozent, dann muss die Bundesagentur dafür 14,5 Milliarden weniger Einnahmen registrieren, und die müssten ja auch finanziert werden. Ich warne im Moment einfach nur davor zu glauben, da sei sehr viel Luft. Wenn es genug Luft ist, wird gesenkt, wenn nicht, dann nicht. Wo ich gegen bin - das ist hier, aber bei anderen Stellen auch -, dass Leute schnell das Geld verteilen, ehe das überhaupt schon in den Taschen ist.

    Heckmann: Wann wird es zu einer Entscheidung kommen, wenn Luft ist, wie Sie sagen?

    Müntefering: Man wird Ende des Jahres wissen, wie man genau da rausgekommen ist, und dann wird man auch sehen, wie das in den nächsten Jahren bei der Agentur weitergeht. Man muss mal sehen: Seit 1988 ist dieses das erste Jahr, dass die Agentur keine Zuschüsse braucht. in den letzten zehn Jahren im Schnitt der Jahre vier Milliarden. Es macht keinen Sinn, jetzt Geld zu verteilen und in ein, zwei, drei Jahren dann wieder Zuschüsse zahlen zu müssen.

    Heckmann: Herr Müntefering, der SPD steht der nächste Streit schon bevor, und zwar ein Streit um die geplante Unternehmenssteuerreform. Die Parteilinke droht mit einem Nein, falls es bei der Nettoentlastung von fünf Milliarden bleiben sollte wie geplant. Kriegen Sie Ihre Parteifreunde in den Griff?

    Müntefering: Die Diskussion dazu läuft. Ende des Jahres wird es dazu die Entscheidung geben. Es ist auch ganz gut, dass man eine solche Debatte offen und klar führt. Was wir wollen, ist eine Unternehmenssteuerreform, die die Unternehmen in Deutschland wettbewerbsfähig hält auch im europäischen Rahmen. Und wenn die wettbewerbsfähig sind, dann wird das letztlich auch unserem Arbeitsmarkt und auch unserem Steuertopf zugute kommen. Wir wollen, dass die deutschen Unternehmen ihre Gewinne in Deutschland versteuern und nicht im europäischen Ausland. Deshalb dürfen wir, was die Steuer angeht, nicht über dem europäischen Niveau liegen. Vielleicht ist die große Herausforderung, um die es eigentlich geht, dass Europa endlich beginnen muss, Bemessungsgrenzen, gemeinsame Grundlagen für die Steuern zu schaffen, damit sich Europa nicht gegenseitig in die Knie konkurriert. Aber wir müssen interessiert sein, dass wir die Gewinne auch in Deutschland versteuert bekommen, und auch deshalb Steuerreform.

    Heckmann: Es bleibt bei der geplanten Entlastung von fünf Milliarden?

    Müntefering Das ist eine Markierung für das erste, vielleicht auch für das zweite Jahr, aber die Frage ist ja, wieviel Impuls bekommen wir dadurch? Deshalb glaube ich, dass eine vernünftige Steuerreform auf der Strecke der mittleren Zeit auch sehr wohl zu Mehreinnahmen des Staates führen kann.

    Heckmann: Herr Müntefering, wir müssen noch über ein anderes Thema sprechen, das viele Menschen beschäftigt. Gestern verlautete aus dem Lenkungsausschuss Verkehr, dass beim geplanten Börsengang der Bahn das Netz beim Bund bleiben werde. Das sagten jedenfalls die Verkehrsexperten von Union und SPD. Verkehrsminister Tiefensee meinte, es habe noch keine Entscheidung gegeben. Dennoch: Ist die Vorentscheidung schon gefallen?

    Müntefering: Nach meinem Wissensstand ist die Entscheidung nicht gefallen, und das wäre auch verwunderlich gewesen gestern, denn die Debatte dazu ist in vollem Gange. Ich bin aber der Meinung, dass wir sehr sorgfältig damit umgehen müssen. Die Bahn muss eine echte Chance haben, und ich glaube, dass dazu auch zwingend gehört, dass die Schiene, das Netz voll bei der Bahn bleibt. Ich sehe eigentlich gar keinen Grund, weshalb wir das Gute, was sich da entwickelt hat über die Jahre und Jahrzehnte, zerstören sollten.

    Heckmann: Das scheinen aber die Parlamentarier anders zu sehen?

    Müntefering: Ich bin auch Parlamentarier.

    Heckmann: Sicher, aber Sie haben da offenbar eine andere Position als eine große Mehrheit der Parlamentarier.

    Müntefering: Ja. Parlamentarier haben manchmal unterschiedliche Positionen. Darüber kann man ja auch diskutieren. Aber ich wollte hier einfach meine Meinung sagen. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, dass Schiene und Bahn beieinander bleiben, das Netz und die Bahn beieinander bleiben.

    Heckmann: Vizekanzler Franz Müntefering war das im Gespräch hier im Deutschlandfunk. Herr Müntefering, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Müntefering: Bitteschön, Herr Heckmann. Wiederhören.