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Konferenz in Berlin
Förderung für bedrohte Wissenschaftler

Ob durch Krieg oder politischen Druck: In vielen Ländern der Welt sind Wissenschaft und Forschung bedroht. Die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Netzwerk "Scholars at Risk" vergeben deswegen Stipendien an bedrohte Forscher. Die Hilfe wirkt – ist aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Von Claudia van Laak | 26.04.2018
    Wegweiser zur Universität und zum Universitätsklinikum in Istanbul, aufgenommen am 31.12.2006.
    Die Organisation "Scholars at Risk" macht sich derzeit vor allem um die Freiheit der Wissenschaft in der Türkei Sorgen. (dpa/Lars Halbauer)
    Ghanya Al-Naqueb ist Lebensmittelchemikerin. Ihr Spezialgebiet: Arzneimittelpflanzen aus ihrem Heimatland Jemen. Doch ihren Forschungen kann sie schon seit Jahren nicht mehr nachgehen. Das Land ist vom Krieg zerstört – der Jemen gehört zu den ärmsten Staaten der Welt.
    "Kein Gehalt, keinen Strom, ich habe sechs Jahre um ein Labor gekämpft, mein Labor ist jetzt zerstört, mein Haus ist zerstört. Ich habe alles verloren, meine Arbeit, wegen des Krieges habe ich einige Familienmitglieder verloren, ich dachte: Wenn ich im Jemen bleibe, werde ich vielleicht sterben."
    Ghanya Al-Naqueb fand Unterstützer in Deutschland, seit vier Monaten lebt sie in Würzburg, arbeitet an der dortigen Universität, erhält ein Stipendium.
    "Sie haben mein Leben gerettet, sie haben meine Familie gerettet. Ich möchte auch der Universität Würzburg meinen großen Dank aussprechen. Ich bin noch nie so gut behandelt worden."
    Druck auf die Forschung auch in den USA
    Einer Wissenschaftlerin konnte geholfen werden, weltweit sind Zehntausende, wenn nicht hunderttausende in Gefahr. Die Organisation "Scholars at risk" mit Sitz in New York kümmert sich um bedrohte Forscher weltweit und prangert Staaten an, die die Wissenschaftsfreiheit einschränken. Robert Quinn leitet "Scholars at risk":
    "Mit Sicherheit machen wir uns momentan die größten Sorgen um die Türkei. Wir reden hier über mindestens 5.800 Akademiker, die entlassen wurden, zehntausende von Studenten, die nicht nur raus aus der Universität sind, nein, sie sind im Gefängnis, mindestens 15 Universitäten wurden geschlossen. Das ist wirklich beispiellos für die letzten 20 Jahre, beispiellos für die neue türkische Geschichte."
    Deshalb hat "Scholars at risk" gestern Abend auch einen Preis an die türkische Organisation "Akademiker für den Frieden" verliehen. Diese Initiative hatte vor zwei Jahren eine Petition gegen das militärische Vorgehen der Türkei im Südosten des Landes gestartet. Die Folge: Viele Unterzeichner wurden entlassen und verhaftet. Doch nicht nur in der Türkei sei die Wissenschaftsfreiheit bedroht, sagt Georg Scholl, Sprecher der Alexander von Humboldt-Stiftung, sondern auch:
    "In den USA, wo es gesellschaftlichen Druck gibt, politischen gesellschaftlichen Druck von Gruppierungen, auf einzelne Wissenschaftler, auf einzelne Disziplinen, Genderstudies, Studien, die sich mit bestimmten Themen zur Gleichberechtigung, zu Weiß-Schwarz und dergleichen auseinandersetzen."
    Die Alexander von Humboldt-Stiftung arbeitet mit "Scholars at risk" zusammen, vergibt Stipendien an verfolgte Wissenschaftler wie die jemenitische Lebensmittelchemikerin Ghanya Al-Naqueb. Stiftungssprecher Scholl:
    "Was wir in dieser Initiative erlebt haben, ist eine ganz große Solidarität innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Dass man sich hilft. In der Regel kennt man sich schon, hat Kontakte aus gemeinsamer Zusammenarbeit. Dann geraten die Kolleginnen und Kollegen in Not, müssen ihr Land verlassen, dann wird eben versucht, mit verschiedenen Mitteln zu helfen."
    Wird der Jemen vergessen?
    20 Stipendien an bedrohte Wissenschaftler können in diesem Jahr über ein besonderes Programm der Alexander von Humboldt-Stiftung vergeben werden. Das ist besser als nichts – aber global gesehen ein Tropfen auf dem heißen Stein. Robert Quinn von "Scholars at risk":
    "Können wir mehr tun? Ja. Zehn Stipendien oder 100 sind wunderbar für die Betroffenen, aber wir reden über ein Problem, das tausende nur in der Türkei betrifft, und dann haben wir den Jemen, wir haben Libyen und Thailand. Sicher, wir Akademiker, wir können alle mehr tun."
    Nicht alle auf dem Kongress sind mit den Schwerpunkten einverstanden, die Robert Quinn mit "Scholars at risk" setzt. Der Wasserwirtschaftler Hussain Al-Towaie beklagt, dass nur über die Türkei und den Iran gesprochen worden sei. Aber sein Heimatland, der Jemen, werde immer wieder vergessen – in den Medien, aber auch auf dem Kongress.
    "Absolut. Es gab 50 Beiträge, aber keinen für Jemen. Und das ist zum Schämen. Denn dort ist eine Katastrophe. Und die Saudis bombardieren, und die Iraner, sie spielen dort, und niemand macht sich Sorgen. Im Gegenteil. Es werden noch mehr Waffen geliefert. Ich bin enttäuscht."
    Robert Quinn gibt dem Wissenschaftler aus dem Jemen recht. Gleichzeitig sind die Mittel von "Scholars at risk" beschränkt. Weltweit kann jährlich nur 300 bedrohten Forschern geholfen werden.