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Konferenz zur Zukunft Europas
Reform der EU nach den Wünschen der Bürger

Die EU will bürgernäher und effizienter werden. Bis zum nächsten Frühjahr sollen konkrete Reformvorschläge auf dem Tisch liegen. Erarbeiten soll sie die dafür gegründete "Konferenz zur Zukunft Europas". Vorschläge, was sich ändern soll, kann jeder Bürger online einreichen. Aber das ist noch nicht alles.

Von Peter Kapern | 19.06.2021
Ursula von der Leyen (CDU, Fraktion EVP), Präsidentin der Europäischen Kommission, spricht während der Eröffnungsveranstaltung der Konferenz zur Zukunft Europas im Gebäude des Europäischen Parlaments.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Eröffnung der Konferenz zur Zukunft Europas (dpa / Philipp von Ditfurth)
Erst konnten sich die Mitgliedstaaten und EU-Institutionen über lange Monate nicht einig werden, was sie mit dem Projekt einer Konferenz zur Zukunft Europas anfangen sollen. Ein grotesker Streit darüber, wer die Konferenz leiten soll, brachte das gesamte Vorhaben an den Rand des Scheiterns, bevor es überhaupt gestartet war. Doch jetzt, nachdem die Machtfragen geklärt sind, überbieten sich die Beteiligten mit ihren Erwartungen an diese Konferenz.
Nicola Beer, FDP-Europaabgeordnete und Vizepräsidentin des Straßburger Parlaments: "Es geht jetzt um Mut zu echten Reformen. Es darf keine Quasselbude werden, sondern es muss eine Reformwerkstatt werden."

Zufällig ausgelotse Bürger diskutieren

Rückblick: Als Ende Mai 2019 die Stimmen der jüngsten Europawahl ausgezählt waren, da herrschte in zweifacher Hinsicht eine große Erleichterung: Erstens: Den Rechtspopulisten und Rechtsextremen war kein Durchmarsch gelungen. Und zweitens war die Wahlbeteiligung so hoch wie nie zuvor.
Diese Vorlage nahm Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf und versprach, eine Konferenz auf die Beine zu stellen, in deren Verlauf die Bürger sagen sollten, welche EU sie wollen.
Gemeinsame Rettung, gemeinsame Schulden
Für Europa ist es der Moment großer Kredite: 750 Milliarden Euro sollen die Corona-Folgen abfedern und den EU-Staaten einen Modernisierungsschub bringen. Kritiker sehen auch eine Zäsur: die Vergemeinschaftung von Schulden.
Heute, mehr als zwei Jahre nach der Europawahl, ist es soweit. Das Plenum der Konferenz tagt zum ersten Mal in Straßburg. In diesem Plenum sind Abgeordnete des Europaparlaments, der nationalen Parlamente, der Mitgliedstaaten, der europäischen Institutionen und auch Bürger vertreten.
Neben der Plenarversammlung werden vom Spätsommer an vier Bürgerforen tagen. In ihnen sind je 200 zufällig ausgeloste EU-Bürger vertreten. Der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund:
"Also jeder der 450 Millionen Europäerinnen und Europäer könnte gelost werden in ein Bürgerpanel. Und dann diskutieren die Bürgerinnen und Bürger zu bestimmten Themen, die sie selber auswählen. Wir geben sozusagen einen breiten Rahmen vor, aber die Bürgerinnen und Bürger wählen selbst aus, welche konkreten Vorschläge sie dann diskutieren wollen. Und weil es gelost ist, ist es einfach breit gestreut."

Aus Wünschen werden Reformprojekte

Mit dieser Form partizipativer Demokratie hat zum Beispiel die Republik Irland gute Erfahrungen gemacht. In diesen Foren werden Themen gebündelt und diskutiert, die Europas Bürger seit einigen Wochen schon auf einer Online-Plattform vorschlagen können. Da geht es um Europas Rolle in der Welt, die Lösung der Migrationskrise, den Kampf gegen den Klimawandel, um Europas Werte und Europas Demokratie.
Vier Mal soll jedes Bürgerforum tagen, und am Ende der Plenarversammlung mitteilen, welche Wünsche Europas Bürger an die EU haben. Und die soll diese Wünsche dann in konkrete politische Reformprojekte ummünzen. Daniel Freund: "Das sollte gerade das Europäische Parlament sehr klarmachen, dass wir uns dazu verpflichten, das, was aus dieser Konferenz rauskommt, wir im Parlament zumindest alles dafür tun werden, dass es auch umgesetzt wird, dass es zu konkreten Veränderungen führt."

Skepsis in einigen Mitgliedsländern

Ob es so kommt, ist aber alles andere als gewiss. Denn eine Mehrzahl der Mitgliedstaaten steht tiefgreifenden Reformen, für die die EU-Verträge geändert werden müssten, ablehnend gegenüber. Länder wie Polen und Ungarn fürchten, dass ein neuer Integrationsschub ausgelöst werden könnte, indem die EU zusätzliche Kompetenzen bekommt.
Andere Länder wollen Referenden über Vertragsänderungen vermeiden – nach den traumatischen Erlebnissen rund um den gescheiterten Verfassungsvertrag. Unter Politikern kursieren schon viele konkrete Reformprojekte. Abschaffung der Einstimmigkeit in der Außen- und Steuerpolitik. Ein Initiativrecht für das Europaparlament.
Oder eine Verankerung des Spitzenkandidatensystems, wie es der CD-Europaabgeordnete Sven Simon fordert: "Das ist aber am Schluss einer Europawahl ein Gesicht geben muss, was man wählen und vor allen Dingen auch abwählen kann. Das muss ein Konsens in der europäischen Demokratie werden."

Umsetzung noch ungewiss

Die Liste der Ideen und Vorschläge ist also lang. Zu lang wie Katharina Barley von der SPD meint. Sie fordert die Europapolitiker zur Zurückhaltung auf. Schließlich sollen jetzt erst die Bürger das Wort haben. "Wir sollten wirklich das Ganze mehr zu einem zuhörenden, partizipativen Ansatz machen, anstatt dass wir eigentlich den Umweg über die Bürger suchen, um das durchzukriegen, was wir eigentlich immer schon haben wollten."
In einem Jahr soll die Konferenz dann abgeschlossen sein. Ob ihr dann ein Konvent folgt, der tatsächlich größere Vertragsreformen auf den Weg bringt, ist offen.