Dienstag, 16. April 2024

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Konflikt um Äthiopiens Tigray-Region
"Die Eskalation eines langen Machtkampfes“

Mit der militärischen Offensive in der Region Tigray gefährde Äthiopiens Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed sein Reformwerk in dem Vielvölkerland, sagte der Journalist Ludger Schdomsky im Dlf. Der Krieg drohe zudem die gesamte Region zu destabilisieren – mit Folgen auch für Europa.

Ludger Schadomsky im Gespräch mit Christoph Heinemann | 13.11.2020
Ein Mitglied der Amhara-Spezialeinheit in Gondar, einer Stadt in der Grenzregion zum Bundesstaat Tigray
Ein Mitglied der Amhara-Spezialeinheit in der Grenzregion zum Bundesstaat Tigray (AFP/Eduardo Soteras)
Nach Monaten der Spannungen mit der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) hatte Äthiopiens Regierung unter dem Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed Anfang November eine Offensive gegen die Rebellengruppe und Regierungspartei von Tigray begonnen. Am Donnerstag (12.11.2020) meldete der Ministerpräsident militärische Erfolge: Seiner Armee haben den Westteil von Tigray unter ihre Kontrolle gebracht leiste nun humanitäre Hilfe und versorge die Bevölkerung mit Nahrung. Zugleich warf Abiy den Tigray-Kämpfern Gräueltaten vor.
Abiy Ahmed bei seiner Preisträger-Rede im Osloer Rathaus
Friedensnobelpreisträger 2019 für Abiy Ahmed
2019 wurde der äthiopische Ministerpräsidenten Abiy Ahmed für den Friedensschluss mit dem Nachbarland Eritrea sowie für seinen Einsatz für Bürgerrechte mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Amnesty International berichtet von Massaker
Nach Angaben von Amnesty International wurden bei einem Massaker an Zivilisten in der Stadt Mai-Kadra wahrscheinlich Hunderte Menschen getötet. Die Leichen trügen klaffende Wunden, die offenbar von scharfen Waffen wie Messen und Macheten stammten, erklärte Amnesty. Weil die Region weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten ist, gibt es aber keine unabhängige Bestätigung der Entwicklungen in Tigray oder Angaben zu den Tätern.
Die Zentralregierung in Addis Abeba liefert sich seit Jahren einen Konflikt mit der TPLF. Dabei geht es um ethnische Spannungen zwischen den Tigrayern, die das Land über Jahrzehnte kontrolliert hatten, und Ministerpräsident Abiy Ahmed aus der Bevölkerungsmehrheit der Oromo. Abiy ist seit April 2018 Ministerpräsident Äthiopiens. Der von ihm gebildeten Einheitsregierung trat die TPLF seinerzeit nicht bei.
Die wichtigste Verkehrssprache in Äthiopien ist das Amharische. Ludger Schadomsky ist Leiter des Amharischen Programms der Deutschen Welle, im Gespräch mit dem Dlf ordnete er den Konflikt in der Tigary-Region ein. Die Eskalation des Konflikts gefährde sowohl den Zusammenhalt des Vielvölkerstaates Äthiopien als auch die Stabilität der gesamten Region. In der Folge könnten sich auch wieder mehr Flüchtlinge in Richtung Europa aufmachen.

Das vollständige Interview im Wortlaut.
Christoph Heinemann: Herr Schadomsky, wir haben die Meldung über ein Massaker gehört. Welche Informationen liegen Ihnen vor?
Ludger Schadomsky: Da die Provinz Tigray weitgehend abgeriegelt ist von externer Kommunikation, haben wir keine Möglichkeiten, das zu verifizieren. Aber die Kollegin Diekhans hat es gesagt: Die Berichte von Amnesty sind gestärkt durch Augenzeugenberichte von Überlebenden, die teilweise fliehen konnten, teilweise aber auch dort in den Dörfern noch angetroffen wurden, und für gewöhnlich ist Amnesty da ja relativ verlässlich.
Es ist auch eine Sondereinheit von Amnesty da beschäftigt gewesen, das zu verifizieren. Die sind sehr verlässlich und wir müssen davon ausgehen, dass diese Berichte sehr handfest sind. Inzwischen hat ja auch die UN-Menschenrechtskommission in Genf angekündigt, diese möglichen Massaker als mögliche Kriegsverbrechen auch ahnden zu wollen. Insofern wird man dort jetzt auch sich des Themas annehmen.
Zurzeit noch militärische Pattsituation
Heinemann: Worum geht es bei dieser Militäroffensive?
Schadomsky: Es ist im Prinzip die Eskalation eines langen Machtkampfes, der sich seit April 2018 abgezeichnet hat. Damals, als Abiy Ahmed an die Macht kam und doch relativ schnell deutlich gemacht hat, dass man mit der alten Garde, der politischen Garde in Tigray, die das Land ja 25 Jahre zuvor sehr autoritär regiert hatte, jetzt nicht viel Fackellesen machen will. Er hat dort führende Generäle entmachtet, er hat Korruptionsverfahren angestrengt und wir haben eine schleichende Eskalation dieses Machtkampfes gesehen, und es ist letztlich jetzt zur kriegerischen Eskalation gekommen.
Heinemann: Ist dieser Konflikt militärisch lösbar?
Schadomsky: Er ist sicherlich lösbar. Die äthiopische Armee ist schon sehr schlagkräftig. Das hat sie in der Vergangenheit immer wieder unter Beweis gestellt, zuletzt auch in dem verlustreichen Grenzkrieg mit Eritrea 1998 bis 2000. Aber man hat es in Tigray mit einer wirklich hochgerüsteten, sehr disziplinierten Regionalarmee zu tun. Das ist zurzeit noch ein Patt. Je länger sich dieser Krieg jetzt hinziehen wird, desto mehr wird natürlich die Bundesregierung dort auch Flächengewinne machen. Aber es wird ein möglicherweise sehr verlustbarer Krieg werden.
Großer Druck auf Friesennobelpreisträger
Heinemann: Das klingt allerdings jetzt eher so, als wäre es nicht militärisch lösbar.
Schadomsky: Es wird jetzt natürlich hinter den Kulissen versucht, zu verhandeln. Der Friedensnobelpreis-Träger und ehemalige Donor-Darling Abiy Ahmed, der ja auch gefeiert worden ist vom Ausland - und man hat große Hoffnungen in ihn gesetzt, dieses Land jetzt aus der Dauermisere zu führen -, der sieht sich natürlich jetzt einem großen Druck der internationalen Gemeinschaft ausgesetzt. Er beantwortet das noch relativ kurz und bündig, sagt, jetzt lasst uns erst mal machen, wir wünschen uns jetzt keine Einmischung, aber letztlich werden zum Beispiel die USA unter einem zukünftigen Präsidenten Biden doch ihre Kraft dort ausspielen wollen. Und letztlich wird Abiy früher oder später an den Verhandlungstisch zurückkommen müssen.
Heinemann: Der Darling – ich greife jetzt Ihre Wortwahl auf – hat sich für einen Waffengang entschieden. Entwertet das seine Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis?
Schadomsky: Das tut es in der Tat. Es hat damals neben großem Jubel auch sehr kritische Stimmen gegeben, die sind ein bisschen überhört worden, die gesagt haben: Das ist eigentlich ein bisschen zu früh, wir wissen eigentlich noch gar nicht, was uns mit diesem Mann erwartet. Wir haben ja ähnliche Diskussionen damals auch bei Barack Obama gehabt, wo man eigentlich den Friedensnobelpreis-Träger gekürt hat für seine, sagen wir mal, zukünftige Politik, wo man noch gar nicht wusste, was wird eigentlich daraus.
Nun ist es leider genauso gekommen. Abiy hat in den letzten zwei Jahren selbst in seiner Oromia-Region, die ja einen Großteil der Bevölkerung stellt und ihn 2018 an die Macht gebracht hat, viele Sympathien verloren, noch mehr unter anderen Volksgruppen dieses 80-Völker-Landes Äthiopien. Insofern ist man doch da jetzt sehr hart gelandet mit dem Friedensnobelpreis-Träger.
Nationale Aussöhnung in Gefahr
Heinemann: Andererseits hat er das Land auch nach vorne gebracht. Erinnert sei auch an die Aussöhnung mit Eritrea nach einem jahrzehntelangen Dauerkonflikt. – Bedroht dieser jetzige Konflikt sein gesamtes Reformwerk?
Schadomsky: Das muss man leider so konstatieren. Zunächst muss man sagen, militärische Stärke ist in der jahrtausendalten Geschichte Äthiopiens immer auch eine sehr starke Währung gewesen. Das heißt, er wird mit diesem Kriegsgang seine Position nach innen durchaus auch festigen können, auch mit Blick auf seine eigene Ethnie, die Oromos. Dort hat man ihm eigentlich politische Schwäche und vor allen Dingen militärische Schwäche vorgeworfen. Nach innen die harte Hand, das wird gut ankommen.
Es wird aber im Proporz, in diesem sehr mühsam und sehr sensibel austarierten ethnischen Proporz im Land für große Unruhe sorgen. Wir sehen ganz viele kleine Kriegsherde im Land und wir haben jetzt im Mai 2021 eine Wahl. Die ist zumindest jetzt terminiert worden. Mal gucken, ob das so klappen wird. Mit Blick auf diese Wahl wird das natürlich jetzt sehr spannend werden, ob er die Zentrifugalkräfte, die an diesem Volk Äthiopien zerren, noch gebändigt bekommt.
Heinemann: Was erwarten Sie?
Schadomsky: Ich fürchte, das Fenster für eine Versöhnung, eine nationale Versöhnung, die er ja im April 2018 sich selbst auf die Fahnen geschrieben hat, das ist jetzt wirklich fast geschlossen. Es muss jetzt wirklich einen ernsthaften nationalen Dialog geben. Ich habe es erwähnt: Da muss sicherlich von außen auch vermittelt werden. Es ist sehr schade, dass Deutschland und Europa doch mit Blick auf die Corona-Krise sehr stark mit sich selbst beschäftigt sind.
Ein nationaler Dialog wurde angestrengt, ist dann aber doch auch von Abiy nicht mit großer Konsequenz verfolgt worden. Ich habe auf die Dynamiken, auf die Bevölkerungsdynamiken auch hingewiesen. Es geht letztlich nur in einem Gesprächsversuch, um diese ganzen vielen Interessen, die teilweise diametral gegenüberliegen, zu versöhnen.
Starke Flüchtlingsbewegung in den Sudan
Heinemann: Sie haben Deutschland und Europa genannt. Wer könnte diesen Konflikt entschärfen?
Schadomsky: Die USA habe ich genannt. Die sind nun bis zum 20. Januar sicherlich auch erst mal mit sich beschäftigt, wobei es gestern schon erste Telefonate gab zwischen beiden Ländern. Der neue Außenminister, den Abiy jetzt kurzfristig ernannt hat, hat mit seinem Gegenüber gesprochen. Insofern sind die Gesprächsfäden dort wieder aufgenommen worden. Das Verhältnis hatte sich unter Trump sehr verschlechtert.
Ansonsten sind natürlich China und die Golfstaaten mit großem strategischen Interesse in Äthiopien vertreten. Jetzt muss man sich natürlich fragen, ob man dort eine Vermittlung Chinas und der Golfstaaten für sinnvoll erachtet. Deutschland ist sicherlich gut beraten, dort stärker aufzutreten. Bundespräsident Steinmeier war ja im vergangenen Jahr in Äthiopien. Das hat ein großes Echo ausgelöst. Seine Gespräche auch mit Premier Abiy waren sehr eng, sehr vertraut, sehr fruchtbar. Man hat dort wirklich ein großes Pfund und man würde sich wünschen, dass Deutschland dort noch viel stärker auftritt.
Heinemann: Ungelöste Konflikte werden in der Regel nicht kleiner. Droht dieser Konflikt auf Nachbarstaaten überzugreifen?
Schadomsky: Das hat er schon. Wir sehen ganz starke Flüchtlingsbewegungen ins Nachbarland Sudan. Sie wissen: Die Route Äthiopien-Sudan und dann weiter nach Libyen ist eine der klassischen Migrationsrouten. Und letztlich werden dann auch sicherlich einige Flüchtlinge Europa erreichen. Wir reden jetzt schon von etwa 200.000 Flüchtlingen, die dort erwartet werden in den nächsten Tagen.
Eritrea – Sie haben es angesprochen – ist wieder in den Konflikt verwickelt, spielt dort einmal mehr eine sehr zwielichtige Rolle. Das heißt, wir sehen, die Region ist in Mitleidenschaft gezogen, und das Ganze spielt vor dem Hintergrund einer vernichtenden Heuschrecken-Plage – auch darüber ist ja in der Vergangenheit immer wieder berichtet worden – in Ostafrika, aber auch besonders schlimm in Äthiopien. Das heißt, da sind Ernten vernichtet worden. Es droht eine neue Hungersnot. Und zuletzt haben wir auch die Corona-Pandemie, die natürlich auch vor Äthiopien nicht Halt gemacht hat. Das heißt, wenn es einen schlechten Zeitpunkt gibt für so einen Kriegsgang, dann wäre das dieser gewesen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.