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Konfrontativer Kurs

Wo die Frauen von Women on Waves anlegen, wird nicht selten gegen sie protestiert, sehen sie sich Anfeindungen und Bedrohungen gegenüber. Denn auf ihrem Schiff werben sie für das Recht einer jeden Frau, legal und sicher abtreiben zu können.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Die Kluft erstaunt sie noch immer am meisten, diese unüberbrückbare, unversöhnliche Kluft zwischen Abtreibungsgegnern und Befürwortern. "Auch hier bei uns, mitten in Europa", seufzt Rebecca Gomperts. Sie sitzt in ihrem Amsterdamer Büro zwischen Aktenbergen und Seekarten, Aufklebern und Postern: "Abortion - every woman's right", steht darauf: "Abtreibung - das Recht einer jeden Frau".

    Die 43-jährige Ärztin aus Amsterdam ist mit ihrem sogenannten Abtreibungsschiff und der von ihr gegründeten Stiftung Women on Waves - Frauen auf den Wellen - in den letzten Jahren regelmäßig weltweit in die Schlagzeilen geraten. Die Idee entstand, als die heute zweifache Mutter als Schiffsärztin für Greenpeace arbeitete.

    "Jedes Jahr sterben 70.000 Frauen an den Folgen einer illegalen Abtreibung. Dabei geht es um Frauen ohne Geld und Mittel, die keine Wege finden, sicher abzutreiben - eine große soziale Ungerechtigkeit. Und diese 70.000 Frauen, so haben Untersuchungen ergeben, hinterlassen 220.000 Kinder, die ohne Mutter weiterleben müssen. Ganze Familien sind betroffen."

    Gerade ist sie aus Tansania zurück, bald schon soll es weitergehen nach Indien. Die zierliche engagierte Ärztin spricht schnell, ein bisschen gehetzt. Manchmal macht sie einen harten, ja selbst verbissenen Eindruck. Die Kampagnen, die sie bereits in Lateinamerika und Europa geführt hat, haben ihre Spuren hinterlassen.

    In Polen wurden die Women-on-Waves-Frauen mit Eiern und Farbe beworfen. In Irland kam es zu Bombendrohungen. In Portugal nahmen im August 2004 sogar zwei Kriegsschiffe Kurs auf das Abtreibungsschiff und hinderten es daran, anzulegen.

    Es kam zu einer emotionalen Debatte im Europäischen Parlament. In den Niederlanden stellte sich eine Mehrheit der Abgeordneten hinter die Organisation Women on Waves, zwei Parlamentarier begaben sich sogar ganz demonstrativ nach Portugal an Bord des Abtreibungsschiffes. Der damalige niederländische Außenminister Ben Bot rief seinen portugiesischen Kollegen auf, dem Schiff freien Zugang zu gewähren - vergeblich, erzählt Gomperts.

    "Wir zogen vor Gericht, unser Recht auf freie Meinungsäußerung war verletzt. Auf portugiesischem Boden wollten wir nichts weiter tun, als informieren und aufklären."

    Erst fünf Jahre später, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, bekamen die Frauen recht. Die portugiesische Regierung, so befand der Hof im Februar dieses Jahres, habe das Recht auf freie Meinungsfreiheit verletzt und mit dem Einsatz von Kriegsschiffen zudem disproportional gehandelt. Die portugiesische Regierung musste Women on Waves 2000 Euro Schadenersatz zahlen.
    Trotz allem hält die Amsterdamer Frauenorganisation die Portugalkampagne für ihren größten Erfolg. Sie nimmt für sich in Anspruch, in der portugiesischen Gesellschaft eine Diskussion ausgelöst zu haben, die zu einem Referendum und zur Legalisierung der Abtreibung bis zur zehnten Woche führte. "Wir haben eine Katalysatorfunktion", so Gomperts.

    Doch auch in den Niederlanden ist die engagierte Ärztin nicht unumstritten. Selbst Befürworter werfen ihr zuweilen zu viel missionarischen Eifer vor. Man könne anderen Ländern seine Auffassungen nicht wie eine Kolonialmacht aufdrängen. Auch ist in Den Haag inzwischen eine christlich-konservative Regierung am Ruder. Insbesondere dem kleinsten Koalitionspartner, der streng calvinistischen Christenunion, ist es ein Dorn im Auge, dass das Gesundheitsministerium dem Abtreibungsschiff immer wieder eine Lizenz erteilt.

    Die Christenunion hat sich bereits erfolgreich für eine Verschärfung der Abtreibungskriterien starkgemacht: Auch innerhalb der ersten 16 Tage nach Ausbleiben der Regelblutung soll ein Abbruch nun unter den geltenden Abtreibungsparagrafen fallen. Die Folge wäre: Die Abtreibungspille dürfte nur noch in einer Klinik vergeben werden - eine Vorschrift, wie sie gerade in der Abtreibungsdebatte etwa auch in Spanien diskutiert wird.

    Für die Niederlande und die Frauenorganisation Women on Waves hieße das, ihr Schiff müsste Klinikcharakter haben und mit einem modernen OP ausgerüstet werden. "Reine Schikane", seufzt Rebbecca Gomperts. Auf einmal sieht sie sehr erschöpft aus. Immer wieder die Konfrontation angehen zu müssen, das kostet Energie. Wird sie es nicht manchmal müde?

    "Manchmal schon. Aber dann denke ich an die vielen Frauen ohne Geld und Mittel in Ländern wie Argentinien oder Chile, wo Abtreibung nach wie vor verboten ist: Frauen, die nicht mit einem Arzt, Anwalt oder Minister verheiratet sind und nicht ins Ausland reisen können oder einen guten Gynäkologen kennen, um heimlich, aber sicher abzutreiben. Dieses soziale Unrecht treibt mich an."