Der tödliche Konflikt im Osten der Demokratischen Republik Kongo erregt wenig internationale Aufmerksamkeit. Dabei kommen von dort Rohstoffe, die Verbraucher in Deutschland und in der ganzen Welt in ihrem Handy oder in ihrem Computer finden. Der Krieg droht die gesamte Region der Großen Seen in Ostafrika mit Millionen Menschen zu destabilisieren.
Wer kämpft im Ostkongo?
Die Miliz Mouvement du 23-Mars (M23, dt. Bewegung des 23. März) kämpft seit November 2021 gegen die kongolesische Armee. Die Nachbarn Ruanda und – in geringerem Umfang - Uganda unterstützen die M23. Ruanda hat 4.000 eigene Soldaten und moderne Waffen im Ostkongo stationiert. Der Kongo engagiert seinerseits Streitkräfte aus Südafrika, Malawi, Tansania und Burundi sowie zwei private Sicherheitsfirmen aus Rumänien und Bulgarien. Außerdem bezahlt die kongolesische Armee einige der 100 Milizen, die seit Jahrzehnten im Ostkongo agieren, damit sie gegen die M23 kämpfen.
Worum geht es in diesem Konflikt?
Die M23 und Ruanda werfen der kongolesischen Regierung vor, die Tutsi auslöschen zu wollen. Die M23 besteht mehrheitlich aus Kämpfern dieser Ethnie. Auch der ruandische Präsident Paul Kagame ist Tutsi. Er beendete 1994 mit seiner Miliz den Genozid gegen die Tutsi in Ruanda, den die Hutu verübten.
Damals flohen viele Hutu aus Angst vor Rache in den Ostkongo. Darunter waren Täter, die die Miliz Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR, dt. Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) gründeten und vom Kongo aus Ruanda zurückerobern wollen. Die FDLR kooperiert seit langem mit Teilen der kongolesischen Armee.
Die Ursachen des Konflikts gehen bis in die Kolonialzeit zurück. Die Belgier holten einst Tutsi aus Ruanda, um sie als Arbeitskräfte im Kongo einzusetzen. Tutsi sind traditionell Viehzüchter. Sie konkurrieren mit Bauern um Land. Politiker, Militärs und Geschäftsleute instrumentalisieren die verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Ostkongo, um ihre regionale Macht auszubauen. Der kongolesische Zentralstaat hat die Kontrolle über viele Gebiete im Osten verloren. Der seit Jahrzehnten anhaltende Konflikt hat Millionen Menschen das Leben gekostet.
Uganda und Ruanda nutzen die instabile Lage aus, um strategisch Einfluss zu nehmen. Dabei sind sie manchmal Rivalen, manchmal Verbündete. Auslöser des aktuellen Krieges war ein Militär-Abkommen zwischen dem Kongo und Uganda, nachdem das ugandische Militär im Kongo die Miliz Allied Democratic Forces (ADF, dt. Alliierte Demokratische Kräfte) verfolgen sollte. Die ADF hat Verbindungen zum Islamischen Staat (IS) und verübt Anschläge in Uganda und im Kongo. Zudem finanziert Uganda Straßen, die ressourcenreiche Gebiete im Kongo mit Uganda verbinden. Ruanda fühlte sich ausgegrenzt und aktivierte die M23.
Inzwischen haben sich Uganda und Ruanda wieder angenähert. Uganda aber spielt ein doppeltes Spiel. Einerseits kooperiert das Land mit dem Kongo, andererseits mit der M23.
Welche Rolle spielen die Rohstoffe?
Der Ostkongo ist reich an Rohstoffen wie Gold oder Coltan. Die M23 besetzt die Minen-Stadt Rubaya. Von dort kommt ein großer Teil des Coltans, das der Kongo exportiert. Der Kongo produzierte 2019 rund 40 Prozent des Coltans, das die Elektroindustrie weltweit verarbeitet. Das Erz steckt in jedem Smartphone und in jedem Computer. Ein Teil der Rohstoffe im Ostkongo wird illegal abgebaut und durch Ruanda und Uganda geschmuggelt, von wo sie offiziell auf den Weltmarkt gelangen. Ruanda gilt als bevorzugtes Durchgangsland für Coltan. Im vergangenen Jahr löste Ruanda den Kongo als weltgrößter Exporteur von Coltan ab.
Die kongolesische Regierung bereitet rechtliche Schritte gegen den iPhone-Hersteller Apple vor. Sie beschuldigt den US-amerikanischen Technologiekonzern, sogenannte „Konfliktmineralien“ aus dem Kongo zu verwenden. Apple bestreitet das.
Wie reagiert die internationale Staatengemeinschaft?
Die Staatengemeinschaft drängt Ruanda und den Kongo zu einer diplomatischen Lösung. Anders als im ersten Krieg, den die M23 vor zehn Jahren führte, kämpft die UNO-Friedenstruppe Monusco nicht aktiv an der Seite der kongolesischen Armee. Die Monusco leistet nur logistische Hilfe. Auch die Entwicklungsbudgets werden Ruanda dieses Mal nicht gekürzt. Im Krieg 2012/13 beschnitten westliche Staaten ihre Entwicklungshilfe für Ruanda. Die kongolesische Armee und die UNO-Blauhelme trieben daraufhin die geschwächte M23 ins Exil nach Ruanda und Uganda. Dieses Mal verhängt die EU nur Sanktionen gegen einzelne Angehörige der ruandischen Armee und der M23. Auch einzelne Kommandeure der Milizen, die auf der Seite der kongolesischen Armee stehen, wurden sanktioniert.
In welchem Verhältnis steht die internationale Gemeinschaft zu Ruanda?
Ruanda ist zu einem wichtigen Partner avanciert, den die Staatengemeinschaft nicht verärgern will. Mit 5.876 Soldaten und Polizisten war Ruanda Ende Juli 2024 der zweitgrößte Truppensteller für UNO-Friedensmissionen. Des Weiteren finanziert die EU mit bisher 20 Millionen Euro einen Militäreinsatz Ruandas in Mosambik. Weitere 40 Millionen Euro sind im Gespräch. In Mosambik bekämpft die ruandische Armee islamistische Terroristen. Aufgrund des Terrors ist dort ein Flüssiggasprojekt des französischen Total-Konzerns im Wert von 20 Milliarden US-Dollar ins Stocken geraten.
Die EU unterzeichnete zudem im Februar mit Ruanda eine Absichtserklärung, wonach die EU den Aufbau einer Industrie zur Weiterverarbeitung von Rohstoffen in Ruanda unterstützen will. Von diesen Rohstoffen ist die Industrie weltweit abhängig.
Auch in der Migrationspolitik spielt Ruanda eine Rolle: Einige Politiker in Europa sehen das Land als potenziellen Drittstaat, wohin Migranten für die Dauer ihres Asylverfahrens gebracht werden sollen. Entsprechend haben sich auch Vertreter der FDP und der CDU geäußert.
Welche Folgen hat der Krieg für die Bevölkerung?
Im August zählten die Vereinten Nationen 2,4 Millionen intern Vertriebene in der vom Krieg betroffenen Provinz Nord-Kivu. 1,5 Millionen Menschen sind trotz der schlechten Sicherheitslage wieder in ihre Dörfer zurückgekehrt. Die Versorgung in den Flüchtlingslagern ist ungenügend. Krankheiten wie Cholera und Mpox breiten sich aus. Ein Drittel der rund sieben Millionen Einwohner in Nord-Kivu kann sich nicht ausreichend ernähren.
Die M23 besetzt landwirtschaftliche Anbaugebiete, erhebt Zwangsabgaben und kassiert wie andere Milizen und das kongolesische Militär an Straßensperren ab. Die Preise für Lebensmittel in der umzingelten Stadt Goma haben sich je nach Produkt verdoppelt bis vervierfacht.
Sexuelle Gewalt ist weit verbreitet. Bewaffnete, darunter zahlreiche kongolesische Soldaten und von der Armee ausgerüstete Milizionäre, überfallen die Flüchtlingslager und vergewaltigen Frauen. Die hohe Militarisierung in Goma führt auch zu erhöhter Kriminalität. Die Bürgervereinigung der Stadt verzeichnete im Juli jeden Tag zwei bis drei Raubmorde.
Im Mai wurde ein Flüchtlingslager bombardiert. Mehr als 30 Menschen, die Mehrzahl Frauen und Kinder, wurden getötet. Der Angriff wird der M23 zugeschrieben. Neben dem Lager mit den Schutzsuchenden unterhält die kongolesische Armee einen Stützpunkt.
Die Menschen in den Gebieten, die von der M23 besetzt sind, leben in ständiger Angst davor, dass ihre Dörfer von Bomben getroffen werden könnten. Sie berichten zudem, dass die M23 teilweise plündere und jeden töte, den sie für einen Kollaborateur mit verfeindeten Milizen oder der Armee halte. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft der M23 gezielte Tötungen von Zivilisten vor.
Gibt es eine Lösung?
Derzeit verhandeln der Kongo und Ruanda unter der Leitung von Angola. Es geht zunächst darum, dass Ruanda seine Truppen aus dem Kongo abziehen soll. Der Kongo soll die Kooperation mit der Ruanda-feindlichen Miliz FDLR aufgeben und die Miliz auflösen. Vor wenigen Tagen hat die kongolesische Armee die FDLR erstmals angegriffen. Die kongolesische Regierung verweigert direkte Gespräche mit der M23. Ob die Verhandlungen Früchte tragen, ist ungewiss. Die Feuerpause, auf die sich Ruanda und der Kongo Ende Juli einigten, wird ständig gebrochen. Ungeklärt bleibt zudem, wie die Landkonflikte und die ethnischen Spannungen gelöst werden sollen, die dem Krieg zugrunde liegen.