Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Kongress "the politics of art"
Freie Künste unter Druck

Welchen Blick auf die Gesellschaft können die Darstellenden Künste noch in Zeiten vermitteln, die politisch immer unsicherer zu werden scheinen? Darüber haben in Köln drei Tage lang Vertreterinnen und Vertteter der Freien Szene nachgedacht. Nicht alle ihre Antworten sind beruhigend.

Von Dorothea Marcus | 07.02.2019
    Der Theaterkongress "flausen" fand in Köln statt.
    Der Theaterkongress "flausen" fand in Köln statt. (Robin Junicke)
    "Vor einem Jahr hätte ich's noch nicht für möglich gehalten, dass wir ernsthaft die Freiheit der Kunst in Deutschland bedroht sehen. Aber wir sehen sie bedroht. Und da muss man als Zivilgesellschaft dagegen aufstehen und Flagge zeigen."
    Sagt Erhard Grundl, Mitglied des Bundestages von Bündnis 90/Die Grünen. Vor einem Jahr hat er mit Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, die Brüsseler Erklärung für die Freiheit der Kunst geschrieben - unterzeichnet inzwischen von fast 54.000 Menschen. Grundl ist kein Theatermann; zu Gast ist er auf einem Podium zur Freiheit der Kunst. Auslöser seiner Petition: die Absage eines Konzerts der Band Feine Sahne Fischfilet in Dessau, die Selbstzensur der ARD, die im "Polizeiruf 110" Anti-AfD-Aufkleber retuschierte. Doch die Interventionen im Kulturleben häufen sich auch im Theaterbereich.
    Aufführungen werden gestört
    Immer häufiger wird von konkreten Störungen auf offener Szene berichtet: Aufführungen werden gesprengt, Rechte kapern sich die Mikrofone, die eigentlich für demokratische Publikumsteilhabe gedacht waren. Noch viel schlimmer, so Janina Benduski, Vorsitzende des Bundesverbands Freie Darstellende Künste, sei aber das systematische Unterhöhlen der Kulturpolitik durch AfD-Anfragen:
    "Das Paradebeispiel ist gerade die große Anfrage der AfD in Hamburg, wo wirklich systematisch gefragt wird: Was machen die da, mit welchem Geld machen die das, warum machen die das, sind die staatstragend genug? Das gibt es in vielen Kommunen. Beispiele aus dem Ruhrgebiet, wo bei einer Performance-Gruppe, die viel mit afrikanischen Partnern arbeitet, gefragt wird, warum die eigentlich gefördert werden für diese Arbeit. Es füttert permanent ein populistisches Vorurteil, dass die ja nur Steuergeld verbraten – und nichts beitragen. Das ist so eine ganz fiese Erzählungskerbe."
    Reagieren ohne Eklat
    Welche Strategien kann man als Theaterschaffender entwickeln, diesem gesellschaftlichen Rechtsruck entgegenzutreten? Und wie kann man verhindern, dass jeder Protest den Populisten zugleich ein öffentliches Podium gibt? Janina Benduski etwa erzählt, wie der Bundesverband zunächst einmal die Fälle von Theaterstörungen nur sammelt und sie nicht an die große Glocke hängt, aber dennoch Schulungen anbietet, um sich dagegen zu wappnen:
    "An der Stelle kann man oft mit Kolleginnen lernen, wie man sich da verhält, wie man ganz ruhig einfach den Ton des Mikros abdreht, wie man die Leute bittet, zu gehen, und dann entsteht da auch überhaupt kein Eklat."
    Den Strategien der Rechten ohne Dramatisierung, sondern mit Strategien des Austausches, der Sammlung, der Vernetzung zu begegnen: Auch das war das Ziel des 2. "flausen"-Kongresses in Köln. Was die Diskursunterwanderung von rechts betrifft, kann das Früchte tragen. Am Ende des Kongresses,wurde ein offener Brief unterzeichnet, um dagegen zu protestieren, dass in Dresden die neue rechts-konservative Mehrheit mit Hilfe der AfD eine gerade bereits beschlossene Erhöhung der Theaterförderung rückgängig machen will.
    "Wir müssen wacher werden"
    Auch Winfried Wrede vom Theater Wrede aus Oldenburg, einer der Initiatoren von "flausen", glaubt, dass der Einfluss der Rechten auf das freie Theaterschaffen in Deutschland eine neue Dimension erreicht hat:
    "Wir müssen wacher werden, wir haben viel zu lange geschlafen. Vielleicht waren wir viel zu lange in einer Sitaution; jetzt bricht sie auf, jetzt habe ich manchmal das Gefühl, wir reagieren kopflos. Aber das brauchen wir nicht. Wir brauchen einfach die Ruhe, die AfD nicht nach vorne zu bringen. Mit Performances, die Mechanismen klarmachen, 'flausen' – wir wollen den Leuten Zeit geben, tief einzutauchen. Die Welt ist zu kompliziert um Pfannekuchen draus zu machen."
    Und nicht zuletzt versucht man deshalb im "flausen"-Netzwerk, sich auch verstärkt international mit Ländern zu vernetzen, die mit Populismus schon etwas mehr Erfahrung haben. Etwa mit Davide d’Antonio aus Brescia, der in Italien ein unabhängiges Netzwerk für freie Kunst leitet, das Residenzen ermöglicht – wie "flausen" ein Freiraum für Tiefenschürfung:
    "Man erkennt es nicht auf den ersten Blick, die Theater sind alle noch offen. Doch das Paradigma dessen, was wir tun, hat sich in Italien seit drei Jahren total geändert. Ignoranz und Unbildung gelten als die neue Authentizität, Bildung als verpönt. Schulen und Kultureinrichtungen zerfallen in Stücke. Es ist dieser grundlegende Mentalitätswandel, der so gefährlich ist."