Gerd Breker: Nun sitzen sie also wieder zusammen, die 75 Großkoalitionäre, und sie suchen nach Gemeinsamkeiten. Seit Beginn der Woche oder auch nach dem SPD-Parteitag gibt es Fortschritte, wird es langsam konkret. Die Zeit drängt aber auch, wenn es denn noch vor Weihnachten etwas werden soll mit der neuen Regierung. Ziehen wir also eine Zwischenbilanz: Wo stehen wir auf dem Weg zur Großen Koalition?
Die Große Koalition, wenn sie denn kommt, kommt uns offenbar teuer zu stehen. Am Telefon sind wir nun verbunden mit Gustav Adolf Horn, er ist Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. Guten Tag, Herr Horn.
Gustav Adolf Horn: Guten Tag!
Breker: Die absehbaren Wohltaten der Großen Koalition kosten Geld, doch da sind Grenzen gesetzt: Keine Steuererhöhungen, die Schuldenbremse gilt. Woher nehmen? Aus den Sozialkassen, die prall gefüllt sind?
Horn: Nun ja, das ist eine Möglichkeit, die offenbar von den potenziellen Koalitionspartnern in Erwägung gezogen wird. Ich halte das aber für ein sehr gefährliches Spiel, denn die Sozialkassen sind deshalb gerade so gefüllt, weil wir eine sehr gute Beschäftigungslage haben, weil die Konjunktur in den letzten Jahren sehr gut war, und das kann sich schnell ändern. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist, dass man sich überlegen muss, ob das ordnungspolitisch eigentlich richtig ist, was dort geschieht. Zum Beispiel die Mütterrente ist eigentlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und müsste daher eigentlich aus dem Steueraufkommen finanziert werden und nicht nur von den Beitragszahlern.
Breker: Aus der Rentenkasse also, die mit 30 Milliarden Überschuss natürlich verlockend daliegt. Ist das eine Große Koalition zu Lasten der nächsten Generation?
Horn: So hart würde ich es nicht formulieren. Das entscheidet sich dann im Übrigen erst am Ende. Wenn man allerdings die Finanzierungsvorschläge nicht solide macht, dann produziert man in der Tat beim nächsten Abschwung hohe Defizite und spätestens dann wird die Schuldenbremse verlangen, dass man die Steuern erhöht. Das kostet dann aber entsprechend mehr, weil schon vorher die Defizite entstanden sind.
"Unsere Infrastruktur verfällt seit Jahren"
Breker: Man hat ja viel vor, auch zum Beispiel in Sachen Verkehrsinfrastruktur.
Horn: Die Vorhaben sind größtenteils jedenfalls zu rechtfertigen. Unsere Infrastruktur verfällt seit Jahren. Wir müssen dort unbedingt etwas tun. Aber wir müssen das Ganze auch solide finanzieren. Die Schuldenbremse und auch der Fiskalpakt, den wir ja auf europäischer Ebene abgeschlossen haben, lässt auch gar nichts anderes rechtlich zu. Und solide würde für mich heißen, dass man es auch konjunkturunabhängig finanziert, und da führt aus meiner Sicht kein Weg an Steuererhöhungen vorbei.
Breker: Zumal ja noch mehrere Unwägbarkeiten kommen werden: der Länderfinanzausgleich muss neu geregelt werden, die Stärkung der Kommunen ist geplant, die Ostförderung wird auslaufen.
Horn: Es gibt eine Herkules-Aufgabe, die eine Große Koalition unbedingt lösen muss, weil keine andere Koalition sie lösen kann, und das ist die Aufgabe, die finanzielle Lage der Kommunen nachhaltig zu stärken. Hier werden sicherlich sehr viele Mittel in die Hand genommen werden. Es wird am Ende sicherlich darauf hinauslaufen, dass der Bund auf Steuereinnahmen verzichten muss, und umso weniger steht natürlich für die Finanzierung anderer Vorhaben zur Verfügung.
Breker: Ein großes Risiko besteht auch noch in der Euro-Krise. Die ist ja noch längst nicht vorbei.
Horn: Das ist richtig. Auch dies wäre die zweite wesentliche Aufgabe, wenn man überhaupt eine Rangfolge machen will, dass sich die Große Koalition eine Strategie überlegt, mit der sie künftig in Europa einerseits die Krise schnell überwinden lässt und zweitens langfristig und nachhaltige institutionelle Strukturen einzieht, die eine künftige Krise verhindern.
Breker: Alles steht unter dem Finanzierungsvorbehalt, heißt es. Wie glaubwürdig ist das denn? Was muss denn tatsächlich geschehen, damit die SPD-Mitglieder zum Beispiel Ja sagen können?
Horn: Ich denke, die SPD-Mitglieder werden einmal danach entscheiden, was für Vorhaben tatsächlich auf der Tagesordnung stehen. Dazu gehört aus meiner Sicht als Conditio sine qua non die Verbesserung der Infrastruktur und die neue Ordnung der kommunalen Finanzen. Und dann werden sie sicherlich auch darauf achten, ob das solide finanziert ist oder unsolide. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD-Mitglieder positiv abstimmen, wenn sie damit rechnen müssen, dass sie bald wieder mit öffentlichen Defiziten dastehen, die Sparprogramme erzwingen.
"Wir erhöhen auf Dauer unseren Wohlstand und den auch unserer Kinder"
Breker: Kann es sein, Herr Horn, dass wir am Ende als Wähler und Steuerzahler sagen müssen, der Preis für diese Große Koalition ist uns einfach zu hoch?
Horn: Das würde ich nicht sagen. Wenn wir die Steuern erhöhen und verbessern dadurch unsere Infrastruktur, dann schaffen wir ja künftiges Wachstum. Das heißt, wir erhöhen auf Dauer unseren Wohlstand und den auch unserer Kinder. Das würde ich für durchaus akzeptabel halten, auch wenn wir vielleicht im Moment oder zumindest ein Teil von uns im Moment höhere Steuern zahlen muss.
Breker: Nun ist es ja so, dass in Sachen Verkehrswege-Infrastruktur die CSU-Forderung mit der Maut im Raum steht. Da heißt es, dass allerdings der Aufwand, sie einzuziehen, eigentlich den Gewinn frisst.
Horn: Das ist sicherlich eine technische Frage. Zumindest die Einführung kostet eine ganze Menge Geld, sodass zumindest kurzfristig nicht allzu hohe Gewinne zu erwarten sind. Der Vorteil der Maut wäre natürlich, dass sie eine zweckgebundene Abgabe ist, die auf jeden Fall im Verkehrssystem wieder investiert werden kann und muss. Aber vielleicht sind die technischen Hürden doch zu hoch.
Breker: Herr Horn, das Urteil der fünf Weisen über das, was bei den Koalitionsverhandlungen bislang herausgekommen ist, war vernichtend. Wie ist Ihr Urteil?
Horn: Ich teile dieses harsche Urteil nicht. Es entspricht einem Denken im Grunde genommen, das davon ausgeht, dass der Markt sowieso alles alleine lösen wird. Wir wissen aber spätestens seit der Finanzmarktkrise, dass dem nicht so ist. Insofern ist es richtig und politisch auch korrekt, dass die Koalitionspartner über viele Vorhaben verhandeln. Aber sie müssen sich jederzeit bewusst sein, dass das Geld kostet und dass man dieses Geld irgendwo aufbringen muss. Ein free Lunch gibt es nicht.
Breker: Das heißt, Sie plädieren für Steuererhöhungen?
Horn: Ich plädiere alles in allem für Steuererhöhungen, um diese richtigen Vorhaben, die unseren künftigen Wohlstand teilweise sichern oder auch erhöhen, durchführen zu können.
Breker: Und da hätten Sie auch gerne das SPD-Modell, die mit den breiteren Schultern sollen mehr belastet werden als die mit den schmalen Schultern?
Horn: Vor dem Hintergrund der Entwicklung der Einkommen und Vermögen in unserem Land in den letzten 10 bis 15 Jahren sind die stärkeren Schultern immer stärker geworden und die schwächeren immer schwächer. Insofern halte ich auch eine Umverteilung der Steuerlasten für angemessen.
Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Gustav Adolf Horn. Er leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. Herr Horn, ich danke für dieses Gespräch.
Horn: Gerne!
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