Simon: Man muss dazu ja sagen, dass die bisherige Regelung so aussieht, dass Toll Collect eben nicht für die Verzögerung haftbar gemacht werden kann, sondern erst drei Monate nach Beginn der Mauterhebung in Regress genommen werden kann. Da fragt man sich schon, was ist das eigentlich für ein Vertrag?
Schmidt: Nach meiner Kenntnis, solche Verträge unterliegen ja in aller Regel der Vertraulichkeit, ist es wohl so, dass es nach einer gewissen Karenzzeit - nämlich von drei Monaten - zunächst mal eine Vertragsstrafenpflicht gibt. Das heißt, dass dann der Ausfall des Systems eine Vertragsstrafe zu entrichten ist, die allerdings nicht sehr hoch liegen dürfte. Ich höre, dass das etwa bei 7,5 Millionen Euro pro Monat liegen könnte, was angesichts der Ausfälle von 160 Millionen Euro pro Monat mit Sicherheit sehr bescheiden ist. Zum zweiten gibt es aber natürlich auch das Haftungsrecht im Sinne von Regresspflicht und Schadensersatz und das würde hier bedeuten, dass über kurz oder lang eine solche direkte Schadensersatzpflicht diskutiert werden müsste. Nach meiner Kenntnis, ich bin kein Jurist, aber nach dem, was ich inzwischen gelernt habe, dürfte es so sein, dass Vertrag hin oder her, alleine nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch für den Fall eines mutwilligen oder schuldhaften Verantwortens solcher Einnahmeausfälle und auch für den Fall, dass überhaupt nichts geleistet wird, also das System in Gänze nicht zur Verfügung steht, sehr wohl Haftungsansprüche geltend gemacht werden können und das glaube ich, muss auch geschehen. Es liegt im Übrigen auch im Interesse der Betreiber selbst, dass möglichst bald mit dem Einsatz des technischen System LkW-Maut wirklich begonnen werden kann, denn dieses Unternehmen haben ja erhebliche finanzielle Vorleistungen bisher zum Aufbau erbracht, die sie natürlich auch refinanziert haben möchten, übrigens auch über Betreiberentgelte durch den Bund, die sie natürlich erst bekommen, wenn das System steht und funktioniert.
Simon: Bei der Größenordnung, von der wir jetzt beim Mautsystem sprechen, bei entgangenen Einnahmen, Sie sagten, an die 700 Millionen Euro - wird das nicht langsam ein Fall fürs Parlament?
Schmidt: Es ist im Grunde längst einer, denn sowohl Mitglieder des Haushaltsausschusses, also derjenigen, die ja die Bundeskasse, die Steuergelder, verwalten, haben sich natürlich schon dafür interessiert, was denn nun aus dieser vertraglichen Situation als Konsequenz zu erwarten ist. Ich gehen aber auch davon aus, dass die Mitglieder des Verkehrsausschusses, sprich die Obleute der einzelnen Fraktionen, sich hier noch persönlich kundig machen werden über die Einzelheiten des Vertrags und ich erwarte ferner, dass auch der Bundesrechnungsprüfungsausschuss des Bundestages sich gegebenenfalls mit diesen Fragen beschäftigen wird, so dass selbstverständlich die Parlamentarier hier ein Auge darauf haben.
Simon: Es gibt die Forderung der Opposition nach dem Rücktritt von Bundesverkehrsminister Stolpe; man muss vielleicht in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass dieser Vertrag nicht von ihm sondern von seinem Vorgänger Kurt Bodewig abgeschlossen worden ist. Was halten Sie von solchen Rücktrittsforderungen?
Schmidt: Das ist in meinen Augen dummes Zeug. Natürlich ist es so, wie Sie schon angedeutet haben, das Thema LkW-Maut wird seit Jahren vorbereitet, die Verhandlungen liefen vor der Amtszeit Manfred Stolpes, also noch in der letzten Legislaturperiode unter seinen Vorgängern. Auch die Unterschriftsleistung über den jetzt bestehenden Vertrag datiert aus der Zeit vor Manfred Stolpe. Ihm persönlich kann also hinsichtlich der Vertragsgestaltung nun wirklich nichts vorgeworfen werden. So ärgerlich die Situation im Ganzen ist, ist ferner zu berücksichtigen, dass Manfred Stolpe meines Wissens der Erste war, der nun wirklich das Regime im Sinne des Controllings hier verschärft hat, massiv die Zügel angezogen hat und sowohl gegenüber Brüssel, was die Verhandlungen mit der EU betraf, die ja auch nicht einfach waren, aber erfolgreich abgeschlossen wurden, sowohl diese Verhandlungen also mit allem Nachdruck und erfolgreich betrieben hat aber auch jetzt im Zusammenwirken mit Toll Collect hier doch andere Töne anschlägt, jedenfalls intern, von daher meine ich, ist er durchaus der richtige Mann. Er ist aber kein Zauberer, er kann nun nicht Versäumnisse oder Ungenauigkeiten der Vergangenheit einfach ungeschehen machen.
Simon: Wie man mit Toll Collect umgeht, dem Betreiberkonsortium, ist ja auch ein Beispiel für Industrieförderung. Eine sehr teure, wie sich jetzt herausstellt. Glauben Sie, dass man da in Zukunft mehr darauf achten wird in der Verkehrspolitik, dass man auch solche Prestigeprojekte anders fördern wird?
Schmidt: Es ist in der Tat auch die Frage, die sich nun nach der Vergabepraxis stellt. Der Schaden, der nun entsteht betrifft ja nicht nur die Bundeskasse sondern auch das Konsortium selbst. Das muss nun möglicherweise zum zweiten mal innerhalb kurzer Zeit die Hosen runterlassen und erklären, dass es nicht in der Lage ist, entgegen eigener vertraglicher Festlegungen, rechtzeitig ein technisches System dieser Art zu garantieren. Das heißt, das wird über kurz oder lang börsenwirksam werden, es handelt sich ja hier nicht um mittelständische Klitschen, die so was verantworten, es geht hier um große Marktführer, zum Beispiel Daimler-Chrysler und der Telekom. Der zweite Schaden, der für die Industrie entsteht ist der, dass auf diese Weise ein Exportmarkt der Zukunft in Europa vergeigt wird, denn wenn mit der neuen Wegekostenrichtlinie der EU, die ja vorliegt und wohl in wenigen Jahren verabschiedet sein wird, wenn damit ein großer Markt eröffnet wird für elektronische Mauterhebungssysteme und dann aber zwei Betreiber schon mal gezeigt haben, dass sie es nicht oder nur mit Mühe zustandebringen, dann ist das natürlich keine Empfehlung.
Simon: Das war Albert Schmidt, Verkehrsexperte der Bündnisgrünen Bundestagsfraktion, vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio