Dienstag, 19. März 2024

Archiv

"Konstruktiver Journalismus"
Weil die Welt mehr als Konflikte zu bieten hat

Medien sollten sich mehr mit Lösungen beschäftigen statt nur die Probleme zu beschreiben, findet Ulrik Haagerup. Der dänische Journalist hat dafür den Begriff "Konstruktiver Journalismus" geprägt. Inzwischen sind ihm viele seiner Kollegen gefolgt.

Von Clemens Bomsdorf | 02.04.2018
    Zu sehen ist der dänische Journalist Ulrik Haagerup, der den Begriff "Konstruktiver Journalismus" geprägt hat.
    Ulrik Haagerup hat inzwischen sogar ein Institut für "Konstruktiven Journalismus" gegründet. (imago/ Sven Simon/ Haagerup)
    Für die Serie "Lyden af liv", zu Deutsch "Der Ton vom Leben", begleitete der Regionalsender "TV Midtvest" den Musiker Jens Anderson-Ingstrup, wenn er für Demenzkranke in einem Altenheim in Vibedal spielte.
    In den rund acht Minuten langen Filmchen ist zu sehen, dass die Töne, die er anschlug, die alten Menschen zumindest für eine Zeit aus ihrem Dämmerungszustand holen.
    Lösungsmöglichkeiten statt nur Probleme
    Für Ulrik Haagerup ist die Serie ein klassisches Beispiel von "Konstruktivem Journalismus - Berichterstattung, die nicht nur auf Missstände aufmerksam macht, sondern auch mögliche Auswege aufzeigt.
    Haagerup, ehemals Nachrichtenchef beim dänischen Sender DR, hat im vergangenen Jahr das "Constructive Institute" gegründet und will international zum Vorkämpfer für "Konstruktiven Journalismus werden.
    Weniger an Zugriffszahlen orientieren
    Derzeit würden Journalisten viel zu sehr Geschichten produzieren, die entweder viele Klicks generieren oder vor allem von Kollegen geschätzt werden und damit gut für die Karriere sind.
    Statt vor allem über die Toten von Terror und Straßenverkehr sowie politische Streitereien zu berichten, sollte den Lesern und Zuschauern ein nuanciertes Bild und eine Perspektive gegeben werden.
    "Konstruktiver Journalistik ist ein Versuch, Journalismus auch auf Morgen zu fokussieren. Es geht darum, dass wir in der Demokratie eine besondere Rolle haben, wir sollen ausgeglichen berichten und nicht nur über das, was extrem und voller Konflikte ist. Eine gute Geschichte ist nicht nur die schlechte, sondern kann auch inspirieren."
    Internet als Beschleuniger des Negativen
    Haagerup räumt ein, dass er den Journalismus damit nicht neu erfunden habe, sondern im Grunde vor allem Kriterien einführe, die eigentlich schon immer gelten.
    Leider aber seien diese in den vergangenen Jahrzehnte, vor allem jener Zeit, seit das Internet aufgekommen ist, vernachlässigt worden. Deshalb hätten viele Bürger, unter ihnen Journalisten, das Gefühl, in einer immer verrückter werdenden Welt zu leben.
    Eine andere mediale Wirklichkeit
    "Wenn man die Leute fragt, ob sie sich jetzt sicherer fühlen als vor 10 Jahren, werden die meisten Deutschen sagen: nein, wegen all der Angst, dem Terror und den Kriegen. Gruppenvergewaltigungen, Morde, Verkehrstoten, alles wird einfach nur schlimmer - im Fernsehen und Netz und auf dem Telefon, auf meiner Uhr sehe ich das."
    Dabei sprechen die Fakten eine andere Sprache: in den meisten Städten sinkt die Kriminalität und die Zahl der Verkehrstoten und Kriegsopfer ist auch niedriger als zuvor.
    Reisender mit konstruktiver Mission
    "Wir leben länger, sind reicher, aber das Problem ist, dass wir Menschen unsere Entscheidungen darauf basieren, wie wir Tatsachen auffassen und nicht auf den Fakten an sich. Das Verständnis von der Welt als einem schrecklichen Ort, das kommt unter anderem von uns Nachrichtenjournalisten", sagt Haagerup.
    Um auf das Problem aufmerksam zu machen und Journalisten dazu zu bringen, Geschichten zu erzählen, die wie das wahre Leben sind, nämlich eine Perspektive bieten, reist er durch die Welt, um in Deutschland und anderswo Vorträge zu halten und hat mit der Uni im dänischen Aarhus einen Kurs entwickelt.
    Positive Beispiele nicht vergessen
    Eine der aktuellen Studentinnen ist Nanna Schelde von der Zeitung "Kristeligt Dagblad". Sie hat beispielsweise gelernt, bei der Bekanntgabe von Arbeitslosenzahlen auch positive Einzelbeispiele hervorzuheben.
    "Statt immer noch auf den zu schauen, der keinen Job hat, kann man sich auch den anschauen, der es geschafft hat, und dann wie die Kommune geholfen hat", sagt Schelde.
    Besser für die eigenen Zahlen
    Der freie Medienjournalist Kurt Strand meint, dass dieser Sinneswandel hin zu konstruktiven Nachrichten, der bei einigen dänischen Zeitungen zu beobachten sei, letztlich auch dem Geschäft gut tun könnte.
    "Ich kann Probleme aufzeigen und wenn ich konstruktiv bin, Lösungsvorschläge aufzeigen. Wenn das notwendig ist, um den Journalisten mehr Glaubwürdigkeit zu geben und vielleicht auch dazu beiträgt, dass Leute wieder bereit sind, für Medien zu bezahlen, wäre es dumm, es nicht zu versuchen.
    Auch Migrationsthemen in den Blick nehmen
    Konstruktiver Journalismus heißt für Haagerup auch, bei Themen, die manch Journalist gerne mit einem Tabu belegen würde, genau hinzuschauen – auch, um dem Vorwurf Lügenpresse etwas entgegenzusetzen.
    Zu einem "Wir schaffen das" gehört also auch ein "Wie schaffen wir das?". Im Grunde sollten bei allen Themen drei klassische journalistische Grundsätze gelten: nichts totschweigen, nichts beschönigen und nichts schwärzer malen als es ist. Sonst kommt es noch so weit wie in den USA, meint Haagerup.
    "Als Donald Trump zum USA-Präsident gewählt wurde, glaubten die Amerikaner, dass die Arbeitslosigkeit in den USA 32 Prozent war, doch sie war auf 4,9 Prozent gefallen und war die niedrigste in neun Jahren. Aber das ist gleichgültig, wenn man anderes glaubt."