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Konstruktives Online-Magazin
"Wir stolpern über so viele tolle Lösungen"

Auf dem Online-Portal "Tea after Twelve" werden positive Projekte in der ganzen Welt vorgestellt. Die beiden Gründerinnen möchten so ein Beispiel geben für lösungsorientierten Journalismus. Inzwischen schreiben 120 Autoren aus mehr als 70 Ländern für das Magazin - ohne Honorar.

Von Michael Borgers | 28.02.2019
Das Sama-Hochhaus in Beirut, der Hauptstadt des Libanons, im März 2016.
Wie die libanesische Hauptstadt Beirut ihr Müllproblem lösen kann, ist eine der Fragen, die das Online-Magazin "Tea after Twelve" thematisiert. (picture alliance/dpa/Wael Hamzeh)
In einem Kölner Café, wo Bio- und regionale Produkte serviert werden, sitzen Sarah Klein und Eva-Maria Verführt an einem Tisch. Vor ihnen, neben ihren Tassen, stehen Notebooks. Die beiden sitzen an der nächsten Ausgabe für "Tea after Twelve". Das journalistische Portal haben sie vor fünf Jahren entwickelt. Damals waren beide noch in der Entwicklungspolitik und Öffentlichkeitsarbeit tätig und hätten sich gefragt, so Sarah Klein:
"Was wären die Geschichten, die wir gerne lesen würden? Was sind die Themen, die uns ansprechen würden? Weil wir von unserem eigenen Hintergrund her eher an die Themen mit Krise und Drama gewöhnt waren, was sich aber auch in den normalen Medien immer niedergeschlagen hat, dass wir gesagt haben: Wir möchten es mal anders machen. Wir stolpern in unserem Arbeitsumfeld über so viele tolle Projekte und Lösungen. Und wahrscheinlich gibt’s für jedes Problem auf der Welt irgendwo einen Lösungsansatz."
Lösungsorientierter Journalismus mit mehr Zeit
Sie wollen damit auf eine Welt reagieren, in der Journalisten ständig Alarm machten und "Fünf vor Zwölf" ausriefen. Dabei bräuchte es eigentlich mehr Zeit, Zeit für eine Tasse Tee, finden Klein und Verführt. Deshalb tauften die Frauen ihr Portal "Tea after Twelve". Mit ihrer englischsprachigen Website wollten sie von Anfang an lösungsorientierten Journalismus liefern, noch bevor dieser Begriff international überhaupt bekannt war.
"Also haben wir es damals 'solution based story telling' genannt, also lange Geschichten, intensive Geschichten, ausführliche Interviews, Hintergrundinformationen."
Strom aus organischen Abfällen
Geschichten wie die über einen Afrikaner, der eine technische Lösung dafür gefunden hatte, mit organischen Abfällen Strom für die Armenviertel der Großstädte zu erzeugen. Ein Student, der selbst aus einem solchen Viertel stammte.
"Und wir sind eben über unsere Kontakte da drangekommen, was bis dahin noch nicht weiter verbreitet oder medial verarbeitet war. Und fanden die Geschichte total spannend, sowohl von ihm persönlich als auch von dieser Erfindung eben, haben das gebracht, und er hat über uns relativ viel Aufmerksamkeit gekriegt und erste Fundings, um das Ding weiterzuentwickeln."
Einladung ins ZDF
Und auch die Aufmerksamkeit für "Tea after Twelve" ließ nicht lange auf sich warten: Erste Artikel wurden weltweit zehntausendfach gelesen, die Seite mit einem Preis ausgezeichnet. Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF, lud die "Tea after Twelve"-Gründerinnen zu einem Impulsvortrag für die eigenen Programmmacher ein.
"Wir haben immer mehr die Erkenntnis in den Medien, auch quer durch Europa, wie wichtig es ist zu zeigen, wie möglicherweise ein Problem, das uns unmittelbar bewegt, an anderer Stelle schon gelöst worden ist, im Sinne von 'best practice'."
Auch das ZDF fühle sich inzwischen dem Ansatz des konstruktiven Journalismus verpflichtet, sagt Theveßen.
"Wir haben jeden Samstag eine Sendung namens 'Plan B' im Programm, die versucht, in einer halben Stunde neben den Problemen vor allen Dingen auch Lösungen aufzuzeigen. Und 'Tea after Twelve' hat uns dabei inspiriert und hat uns Anregungen gegeben."
Geschichten über Geld, Stadtleben und Revolution
Seine Themen bildet "Tea after Twelve" in sogenannten "Issues" ab, in - wie in der analogen Magazinwelt - Ausgaben, die inhaltlich gebündelt erscheinen und danach laufend ergänzt werden. Zu bislang Themen wie "Städtisches Leben", "Geld" oder demnächst "Revolution".
Und wie finanziert sich das Projekt? Die beiden Chefredakteurinnen verdienen unter anderem damit, andere Institutionen in ihrer Kommunikationsarbeit zu beraten – wie das Goethe-Institut, das dank "Tea after Twelve" auf ihre Arbeit aufmerksam geworden ist. Oder das Entwicklungsministerium, für das sie gerade an einem Buch arbeiten. In "Women in Tech" stellen sie 30 Frauen vor, die weltweit die digitale Revolution voranbringen.
Autoren bekommen viel Zeit, aber kein Honorar
Und dabei konnten sie auf ihr eigenes Netzwerk zurückgreifen: Gut 120 Autorinnen und Autoren aus mehr als 70 Ländern haben seit seiner Gründung für das Webmagazin "Tea after Twelve" geschrieben. Denen könnten sie zwar noch immer keine Honorare zahlen, sagt Sarah Klein. Dennoch landeten ständig neue Themenvorschläge auf ihrem digitalen Schreibtisch.
"Wir haben Zeit. Im Gegensatz zu anderen Redaktionen oder anderen Häusern, wo wahrscheinlich auch Deadline-Druck ist, so nach dem Motto: Hier muss in einer Stunde ein Stück da sein und dann muss da irgendwas stehen zu dem Thema. Wir haben die Zeit für ausgiebige Recherche. Wir können einen sehr großen Überblick über die Themen geben."
Diesen Vorteil wüssten Leser wie Autoren zu schätzen.