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Konsum oder Kirche

Und am siebten Tage sollst du nicht ruhen, sondern einkaufen - das gilt in Polen seit der Wende vom Kommunismus zum Kapitalismus. Selbst der Katholizismus konnte den verkaufsoffenen Sonntag noch nicht kippen. Eine bunt gemischte Koalition startet dennoch einen neuen Versuch.

Von Sabine Adler | 07.06.2013
    Konsum oder Kirche - so könnte die aktuelle Sonntagsfrage lauten, die sich ausnahmsweise nicht auf Wahlen bezieht. Die Diskussion beschränkt sich keineswegs nur auf den Gottesdienst, denn viele Gläubige pilgern nach der Kirche direkt in die Konsumtempel.

    Für einen der Mitinitiatoren des Verkaufsverbots, Pjotr Duda von der Solidarnosc-Gewerkschaft zeugen die vollen Geschäfte am Sonntag von purer Rücksichtslosigkeit in einer immer egoistischer werdenden Gesellschaft.

    "Ich habe auch keine Zeit und wünsche mir wünschen, dass die Ämter oder Banken, samstags geöffnet wären. Wir Polen denken zunehmend mehr nur noch an uns selbst. Wer denkt an die Mütter und auch Väter, die sonntags arbeiten? Wenn ich am Sonntag jemanden mit einem Zementsack auf der Schulter aus dem Baumarkt kommen sehe, dann frage ich mich, ob es da wirklich um die wichtigsten Bedarfsartikel geht?"

    So katholisch unsere Nachbarn sind, so erstaunlich wenig heilig ist ihnen bislang der siebten Tag in der Woche. Das soll sich ändern. Eine politisch kunterbunte Koalition von fast 90 Abgeordneten, hauptsächlich von der konservativen katholisch geprägten Partei recht und Gerechtigkeit von Jaroslaw Kaczynski will eine Gesetzesinitiative starten, die den verkaufsoffenen Sonntagen in Polen ein Ende bereitet. In den Ohren der Vorsitzenden des Verbandes polnischer Unternehmer Lewiatan, Henryka Bochniarz schrillen die Alarmglocken:

    "Eine exotische Koalition hat das Gesetzesprojekt eingereicht. Ausgerechnet jetzt, da wir so große wirtschaftliche Probleme erleben. Das zeugt von einer kompletten Verantwortungslosigkeit. "

    So schlecht, wie polnische Unternehmer die Wirtschaft reden, ist sie bei weitem nicht, aber der verkaufsoffenen Sonntag beschert den Malls und Einkaufspassagen große Umsätze, die sich keineswegs allein auf die Läden beziehen. Reinigungen, Kinos, Änderungsschneidereien, Ticketverkaufsstellen, Schuhmacher - unzählige Dienstleistungsbetriebe wären von der Schließung mit betroffen. Genau das sei der Sinn, sagen die Gegner der Sonntagsarbeit, Andrzej Falinski von der Handels- und Vertriebsorganisation dagegen warnt:

    "Das ist ja eine edle Initiative, aber ich würde doch unsere Abgeordneten gern mal fragen, wer die Verantwortung für die Folgen übernimmt. Nach unseren Berechnungen geht es um 25.- bis 40.000 Arbeitsplätze im Handel und mit ihm verbundenen Branchen, die verloren gehen würden."
    Der winzige Krämerladen um die Ecke ist sehr weit verbreitet, 40.000 soll es landesweit geben. Sie haben häufig von 6 bis 23 Uhr geöffnet, sonntags von 8 bis 22 Uhr. Sie soll das Verkaufsverbot am Sonntag nicht treffen, aber die großen Geschäfte und Kaufhäuser.

    Die Abgeordneten, die sich für die Sonntagsruhe starkmachen, verweisen auf eine Umfrage, nach der 77 Prozent die Schließung befürworten. Schaut man in die vollen Einkaufspassagen, kann man die Zahl nur schwer glauben. Das Meinungsbild ist gemischt.

    " - "Ich bin für ein Verbot. Die Beschäftigten im Handel stehen freie Sonntage zu, die wollen sich auch ausruhen und haben ebenso Familie, Kinder. Ich bin dafür.

    - "Unsinn, wer will, geht in die Kirche, wer will, macht Einkäufe, wer will, geht zuerst in die Kirche und macht dann Einkäufe."

    - "Wenn es um Familie geht, ist das gut, anderseits muss sich in einer Wirtschaft wie unserer der Handel entwickeln." "

    Polens Regierungschef Donald Tusk, dessen konservativ-liberale Bürgerplattform für eine wirtschaftsfreundliche Politik eintritt, will ein Ende der Debatte:

    "Für die Regierung sind die Arbeitsplätze das Wichtigste. Ich werde versuchen, den Sejm und die glücklicherweise nur vereinzelten PO-Abgeordnete (neun Personen) überzeugen, dass es nicht um einen ideologischen Streit geht. Das ist keine Frage von heute, man sollte die Sache in Ruhe lassen, denn sie kann zum Arbeitsplatzverlust für viele führen."

    Aktuell liegt die Erwerbslosenquote bereits bei 14 Prozent, eine weitere Steigerung könnte eine nächste Abwanderungswelle ins Ausland zur Folge haben.

    Eine weltanschauliche Prinzipienreiterei könne sich Polen wirtschaftlich nicht leisten, sagen die Befürworter des Verkaufs am Sonntag.