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Konsumverhalten von Jugendlichen
Kaufkraft ohne Moral?

Jugendliche haben so viel Geld zur Verfügung wie noch nie. Beim Shopping gilt der Trend "Fast Fashion" - also viel erwerben für schnelles Geld. Auf Qualität und die Produktionsbedingungen achten sie eher weniger. Ethik spielt laut Experten in der Konsumentscheidung nur dann eine Rolle, wenn sich damit eine Außenwirkung erzielen lässt.

Von Sarah Zerback | 31.07.2015
    Vier Mädchen gehen mit Einkaufstaschen über einen Schotterweg.
    Warum shoppen Jugendliche anders? (Julian Stratenschulte, dpa picture-alliance)
    Eine Hotelterrasse hoch über den Dächern von Köln. Die junge Frau mit den brünetten, langen Haaren posiert: hinter ihr der Dom, vor ihr die Videokamera. "Ich bin Vanessa, ich schreibe den Blog pureglamtv und bin zusätzlich YouTuber. Und davon kann ich mittlerweile leben – nach fünf Jahren bloggen und neun Monaten YouTube-Erfahrung bin ich ganz gut dabei!"
    Sie lächelt, dreht sich einmal um die eigene Achse, um das hellblaue Kleid, das sie trägt bestmöglich zu präsentieren. Ein deutscher Designer hat es ihr geschickt, damit sie auf ihrem YouTube-Kanal bei ihrem jungen Publikum für ihn wirbt – gegen Bezahlung. Bis zu 10.000 Euro verdient Vanessa Pur so jeden Monat mit ihren Fashion-Videos und Blogeinträgen, durch Produktplatzierungen und Werbeanzeigen. "Man bekommt meistens per E-Mail Kontakt von bestimmten Labels oder auch Onlineshops. Und die fragen dann nach, was die Konditionen sind oder ob das Label zu mir passen würde. Und meistens kriegt man dann das Produkt geschickt und das führt man dann wieder vor. Auf dem Blog und auf dem Video."
    Bezahlt wird sie nach Klicks und das können allein auf ihrem Videokanal schon mal 200.000 pro Monat sein. Besonders beliebt sind ihre so genannten Shopping Hauls, übersetzt: ihre Beutezüge. "Hallo, wie versprochen ein neues Shopping-Haul-Video. Ich habe ein bisschen mehr zugeschlagen, weil ich irgendwie mehr gefunden habe, als ich eigentlich gedacht habe. Wo fange ich an? Das, was alle wahrscheinlich am meisten interessiert: Schuhe."
    Jugendlichen rühren gerne freiwillig die Werbetrommel
    Umgeben von einem Dutzend Einkaufstüten, packt die YouTuberin eine nach der anderen aus, schwärmt und erklärt, was sie wo gekauft hat. Ihr ist es wichtig, zu betonen, dass sie bei der Bewertung ehrlich bleibe. Wirklich verreißen müssen, habe sie in ihren Videos oder Blogs aber noch kein Produkt.
    Für Unternehmen sind das sehr interessante Werbeplattformen mit großem Einfluss auf die junge Zielgruppe, sagt Philipp Ikrath. Er leitet die Hamburger Sektion des Instituts für Jugendkulturforschung Wien. "Im Vergleich zu einer klassischen Markenkommunikation haben die jungen Menschen da den Eindruck, dass das Leute sind, die so drauf sind wie sie, die ihre Sprache sprechen und die deswegen auch glaubwürdig sind, wenn man in ihren Shows irgendwelche Produkte platziert, um sie den Leuten zu verkaufen."
    Die schwedische Bloggerin Kenza Zouiten steht in einem weißen Kleid auf der Berlin Fashion Week.
    Zählt zu den ganz Einflussreichen ihrer Branche: Die schwedische Mode-Bloggerin Kenza Zouiten. (Sarah J. Tschernigow)
    Der Haken: Die Produktempfehlungen sind meist nicht als Werbung gekennzeichnet. Fließt Geld, liegt der Verdacht der Schleichwerbung nah. Gerade die großen Unternehmen am Markt haben das aber oft gar nicht nötig, denn die meisten Jugendlichen rühren die Werbetrommel freiwillig und unentgeltlich, so Ikrath. Soziale Medien wie YouTube, Facebook, Twitter und Instagram nutzen sie zur Selbstdarstellung.
    "Mode ist eines von den wichtigsten Kommunikationsmedien, könnte man heute sagen, von jungen Menschen. Weil wir leben in einer sogenannten Lebensstilgesellschaft, das was die Leute über sich erzählen, über sich aussagen wollen, tun sie in erster Linie über die Produkte, die sie konsumieren. Das fängt beim Essen an, also ob ich jetzt vegane Tofuschnitzel esse oder ob ich gerne das große Eisbein mit Knödeln esse, welchen Lebensstil ich pflege, wird über einen sehr großen Teil über die Mode ausgedrückt." Und das zeigen auch die folgenden Zahlen: Fast 60 Prozent der Jugendlichen geben ihr Geld am liebsten für Kleidung aus. Das hat das deutsche Jugendinstitut herausgefunden. Aber auch wenn sie mehr Taschengeld beziehungsweise eigenes Geld zur Verfügung haben denn je, investieren sie das nur selten in teure Markenklamotten. Über 85 Euro verfügen 13-Jährige im Schnitt pro Monat. Davon kaufen sie sich aber lieber mehr Teile für weniger Geld, das beweist der Erfolg von Billigmodeketten wie Primark.
    "Der einzelne Kaufakt wird als belohnend erlebt"
    Fast Fashion heißt das Phänomen, für das Marketingexperte und Konsumforscher Michael Schießl eine Erklärung hat. "Ich deute das als Ausdruck dieses gelungenen eskapistischen Momentes, der durch Primark hergestellt wird. Er befreit eine Zielgruppe, die es da gibt, von Zwängen, die vorher da waren. Es entspricht dann eben dem, was die Popkultur schon immer dargestellt hat: Unmittelbare Freude, sich ausleben, Widerstand auch, also gegen die Erwachsenen sein an der Stelle, selbstständig sein. Der einzelne Kaufakt wird als belohnend erlebt. Vor dem Hintergrund, dass das was an der Stelle eingekauft wird, eben günstiger ist als das andere. Das ist ein primäres psychologisches Phänomen, dass das eine Erleichterung und eine Entlastung mit sich bringt. Also das ist das eine, also der Wegfall von Angst, ich hab jetzt zu viel Geld ausgegeben, das ist der eine Treiber: Und der positive, das ist sozusagen die eigene Vision darauf, was es einem für Vergnügen bereitet, wenn man die Sachen tragen würde."
    "Also ich habe relativ viel so T-Shirts und so gekauft. Ich bin Schüler und habe nicht so viel Geld, da bietet sich das dann manchmal an. Es ist überwiegend der Preis." – "Ein Oberteil, eine Strumpfhose und ein BH: 12 Euro 50." – "Ein Teil. Ich bin eigentlich nicht so der Fan. Ja, ich weiß nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Sachen nicht allzu lange halten. Also so für den Preis ist es in Ordnung, aber zu viel kann man da nicht erwarten."
    Eingang zu einem Geschäft des Textil-Discounters Primark in Lissabons Colombo Shopping-Center.
    Eingang zu einem Geschäft des Textil-Discounters Primark in Lissabon. (Imago / Thomas Meyer)
    Primark, mitten in der Düsseldorfer Innenstadt. Für kleines Taschengeld gibt es hier den Style frisch vom Laufsteg inspiriert oder kopiert – ganz wie man will. Wer Primark – die Marke aus Irland – trägt, fällt unter modebewussten Jugendlichen nicht auf, anders als bei vergleichbar günstiger Mode aus dem Discounter. Geshoppt wird nicht bei Neonlicht und Wühltischcharakter, sondern auf gut sortierten, ansprechend ausgeleuchteten Verkaufsflächen, die drei Mal so groß sind wie bei der Konkurrenz: Alles ist hier auf Masse ausgerichtet.
    Gewinne mit geringer Marge
    "Wir haben hier vier Etagen, knapp viertausendsachthundert Quadratmeter Verkaufsfläche. Erdgeschoss und erste Etage sind Damenbekleidung, im Untergeschoss Accessoires, Schuhe und Dessous und in der zweiten Etage haben wir die Herren- und die Kinderabteilung."Wolfgang Krogmann, Nordeuropachef von Primark, steht auf der Rolltreppe der Düsseldorfer Filiale. Es ist eine von mittlerweile achtzehn, die die irische Modekette in Deutschland eröffnet hat, immer in bester Innenstadtlage – die Verträge für vier weitere Läden sind bereits unterschrieben. In der jungen Zielgruppe lösen deren Eröffnungen meist hysterische Massenaufläufe aus, der Konkurrenz treiben sie Schweißperlen auf die Stirn. Wo sich Primark niederlässt, verzeichnen H&M, C&A und Zara deutliche Umsatzrückgänge. Dort kosten vergleichbare Kleidung und Accessoires deutlich mehr, was die Frage aufwirft, wie eine solche Niedrigpreisstrategie möglich ist.
    "Wir haben eine ganz, ganz flache Kostenstruktur. Wir haben es geschafft, deshalb mit einer ganz geringen Marge profitabel zu arbeiten. Andere können das nicht machen, die geben über 100 Millionen Euro für Werbung aus, die geben 100 Millionen Euro für Zwischenhändler aus und für Agenturen, die sie bezahlen müssen. Wir kaufen direkt dort ein und das ermöglicht es uns, das gleiche Produkt zu einem geringeren Preis anzubieten. 97 Prozent der Fabriken, in denen wir herstellen lassen, die teilen wir uns mit den anderen High Street Marken, also mit anderen Wettbewerbern, die dort auch mit uns zusammen produzieren, unter gleichen Bedingungen, zu gleichen Preisen im übrigen. Also, man muss sich nicht die Frage stellen: Warum sind wir so günstig? Und man muss sich die Frage stellen: Warum sind die anderen eigentlich so teuer?"
    Produktion in Billiglohnländern
    Es klingt zu einfach, die Methoden des Unternehmens in Bangladesch oder Kambodscha zum Branchenstandard zu erklären. Das ist zwar weitgehend korrekt, macht es in den Augen vieler Kritiker wie Amnesty International aber nicht weniger verwerflich. Und die schauen besonders unversöhnlich auf das irische Unternehmen, dessen Arbeits- und Produktionsbedingungen nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza 2013 mehr als bei anderen Unternehmen im Fokus kritischer Berichterstattung standen. Zu Unrecht, wie Krogmann findet, schließlich habe sein Unternehmen nach dem Unglück in Bangladesch besonders schnell reagiert und sich im letzten Jahr unter anderem einen so genannten Code of conduct auferlegt; einen Kodex, um schwarze Schafe in der Branche zu umgehen und um existenzsichernde Löhne zu garantieren. Schon seit 2006 ist Primark zudem Mitglied der Ethical Trading Initiative, deren Mitglieder die Einhaltung der Produktions- und Lieferbedingungen regelmäßig überprüfen und belegen müssen.
    "Unsere Lieferanten dürfen die Aufträge auf keinen Fall an irgendeinen Subunternehmer weiterleiten. Das ist denen strengstens untersagt. Weil genau dann entsteht nämlich das Problem, dass man das nicht kontrollieren kann. Und das ist zum Beispiel auch der Grund gewesen, warum wir in Rana Plaza das erste westliche Unternehmen waren, was sofort nach dem Unglück sagen konnte: Ja, innerhalb dieses Gebäudes waren neun verschiedene Lieferanten, einer hat für Primark gearbeitet und der hat zu dem Zeitpunkt für uns Shorts hergestellt. Und es gab Unternehmen, die auch noch ein Jahr nach dem Unglück weit von sich gewiesen haben, dass überhaupt dort Produkte hergestellt worden sind von ihrer eigenen Firma. Weil die die Lieferkette nicht unter Kontrolle haben."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Das ist die Näh-Fabrik, die in Bangladesh eingestürzt ist (Bild: picture alliance / dpa) (picture alliance / dpa)
    Eine Lieferkette, die reibungslos funktionieren muss. Denn die Modetrends werden immer schnelllebiger. Selten hängt ein Teil länger als drei Wochen im Laden. Primark ist nicht nur billiger, die Iren sind auch schneller und befeuern damit eine generelle Entwicklung in der Modebranche, wie Gerd Müller-Thomkins vom Deutschen Modeinstitut in Köln bereits seit einigen Jahren beobachtet. "Wenn man früher pro Saison eine Kollektion präsentiert hat, die dann im Sommer beispielsweise hinter Folien im Schaufenster hing, weil man über diese Folien vermeiden wollte, dass die Ware vergilbte, das findet heute nicht mehr statt, weil die Ware hängt unter Umständen nur wenige Tage im Schaufenster, dann kommt die nächste Kollektion. Wir rechnen heutzutage teilweise bis zu zwölf oder 24 Kollektionen. Das ist natürlich eine Beschleunigung, die über den Overthrill zum Overkill in der Wahrnehmung von Ästhetik geführt hat und damit natürlich auch zu einer relativen Abwertung, die man unter anderem eben auch in der massenhaften Entstehung von Discountern auf dem Modemarkt miterlebt."
    Der Konsumdruck auf Jugendliche wird größer
    Mehr Kollektionen mit kürzerer modischer Haltbarkeit: Ein geschickter Schachzug der Modeindustrie, um öfter, mehr zu verkaufen. Auch Jugendkulturforscher Philipp Ikrath sieht diese Entwicklung kritisch. Zwar sei die Kaufkraft der Jugendlichen so hoch wie noch nie, weil sie im Schnitt noch nie so viel Geld zur Verfügung hatten wie heute, aber sie hatten auch noch nie so viele Schulden – vor allem wegen regelrechter Shoppingexzesse. "Diese Form der veränderten Produktzyklen hat natürlich den Einfluss, dass der Konsumdruck auf Jugendliche immer größer wird. Auch wenn man vor zehn oder zwanzig Jahren schon unterstellt hätte, dass es jungen Leuten wichtig wäre, immer das Neueste zu haben, so ist heute ja schon das Neueste da, wenn das Neue noch kaum veraltet ist. Das ist sicher ein großes Problem, vor allem für finanziell nicht so gut dastehende Jugendliche, die sich diesem Konsumdruck zwar nicht entziehen können, sich das aber eigentlich nicht leisten können."
    Die Anfänge des Phänomens "Fast Fashion" - also viel für schnelles Geld - reichen zurück in die Mitte der Neunzigerjahre. Angefangen mit dem Aufkommen großer Modeketten, ist Fast Fashion mittlerweile zum feststehenden ökonomischen Begriff geworden. Es ist die Geschwindigkeit, mit der heutzutage neue Ware produziert werden kann. Der Gewinn wird hier über die Masse gemacht und nicht über den Preis. Mode muss für Jugendliche vor allem gut aussehen und billig sein, das belegt eine aktuelle Greenpeace-Studie. Auch wenn die Konsumlaune besser denn je ist, schauen die meisten Konsumenten auf den Preis, nicht primär auf Qualität oder Moral.
    Schwarze Schafe in der Modebranche
    Für Claudia Banz, Kuratorin der Ausstellung "Fast Fashion" im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, eine besorgniserregende Entwicklung. "Wir werden natürlich ziemlich verführt und ich glaube, deswegen ist es umso wichtiger, da auch noch mal zum Nachdenken anzuregen. Also jetzt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, aber schon ein Bewusstsein dafür zu entwickeln: Also, die Mode ist nicht nur glamourös, luxuriös und wir sind alle happy, sondern die Bedingungen unter denen gerade die Kleidung, die wir alle mit großer Freude günstig erwerben, sind sehr häufig sehr grenzwertig. Keiner der Konsumenten, der billig eine Hose erwirbt, wäre bereit, unter den Arbeitsbedingungen zu arbeiten."
    "Man weiß halt, wie die Zustände sind, man kann aber irgendwie nicht viel machen. Man verdrängt es, glaube ich, nur ziemlich doll." – "Beim Einkauf achte ich eigentlich nicht so sehr darauf, wo die jetzt herkommt. Naja, ich achte eher auf Mode." – "Klar, ich habe auch kaum Geld zur Verfügung und da achtet man schon auf den Preis. Und man hat ja selber gesehen, dass auch teure Kleidung nicht unbedingt besser ist, also in dem Punkt, dass es fairer ist, sondern nur die Qualität halt höher ist."
    Mit großen Augen laufen die Schülerinnen und Schüler durch die Hamburger Ausstellungsräume und bekommen in teils sehr plastischen Bildern die Schattenseiten der Modebranche präsentiert: Angorakaninchen wird bei lebendigem Leib das Fell gerupft, Textilnäherinnen arbeiten bis zur völligen Erschöpfung und Baumwollbauern setzen Pestizide ein und bringen sich damit unwissentlich auch selbst in Lebensgefahr.
    Dass es viele schwarze Schafe in der Modebranche gibt – egal ob im niedrig- oder hochpreisigen Segment – ist vielen Konsumenten bekannt. Und auch das Entsetzen darüber wächst. Trotzdem spiele Ethik generell in der Konsumentscheidung nur dann eine Rolle, wenn sich damit eine Außenwirkung erzielen lässt, gerade unter Jugendlichen, sagt Philipp Ikrath und bestätigt damit die Greenpeace-Umfrage. "Im Kern ist es den Leuten ziemlich egal, vielleicht einmal von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, aber ethische Entscheidungen sind nur dort wichtig, wo sie den Ruf haben irgendwie cool zu sein. Also wenn man ethisch konsumiert dann muss man mit diesem ethischen Konsum angeben können."
    Der Designer Kostas Murkudis zwischen Stücken einer Kollektion im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt.
    Mode des Designers Kostas Murkudis können sich Jugendliche eher nicht leisten. (dpa / picture alliance / Arne Dedert)
    Weit verzweigte Lieferketten
    Mit der Ausstellung will Claudia Banz deshalb aufrütteln und aufklären, nach welchen Mechanismen die schnelllebige Modebranche funktioniert – mit ihren globalen Produktionen und weit verzweigten Lieferketten. "Wie absurd es ist, dass eine Jeans bis zu 20.000 Kilometer über den Erdball zurücklegt. An dem einen Ort wird vielleicht die Hose zusammengenäht, dann wird sie in ein anderes Land geschickt, da kommt dann der Reißverschluss hinein, dann wird sie wieder in ein anderes Land geschickt, da werden die Knöpfe angenäht. Und das wirkt sich dann natürlich negativ auf die Entlohnung aus, und gleichzeitig wirkt sich das aber auch auf den ökologischen Fußabdruck aus. Und ich glaube, dass gerade in Bezug auf Bekleidung und Mode, dass sich die Leute das überhaupt nicht bewusst machen.“
    Wissam Manana kniet auf dem Boden seiner schicken Jeansmanufaktur in Berlin Prenzlauer Berg, legt das Maßband um die Hüfte der jungen Kundin. Der 40-jährige bietet hier seit 2010 Jeans nach Maß an. Klasse statt Masse. Die Stoffe sind unbehandelt, die Zulieferer produzieren in Deutschland. Das hat seinen Preis. "Da werden die vermessen, dann trifft man sich zu einem anderen Termin noch mal. Und beim zweiten Termin da geht man eine Probehose durch, wo man halt so einen Dummy bekommt. So kann er das Produkt sehen, sich vorstellen, wo die Taschen tatsächlich liegen und ob die Stoffe eben auch ansprechen. Und dann kann er sich noch mal entscheiden und man kann den Schnitt noch mal verändern. Und das kostet 160."
    Sechs bis acht Stunden reine Arbeitszeit stecken in einer Hose. Rechnet man Material- und Logistikkosten hinzu, verdient er pro Stück rund 20 Euro. Das kann er sich nur leisten, weil er am Marketing spart, an bestimmten Verpackungs- und Lieferantenkosten. Und auch, weil er, der gelernte Schneider und Bekleidungstechniker, die Produktionsprozesse optimiert hat. "Der Schnitt ist bereits programmiert. Den habe ich vorliegen und kann den in einer ganz schnellen Zeit verändern. Und das geht natürlich mit ein paar Klicks auch. Und das wird dann ausgedruckt, zugeschnitten, genäht. Und daher können wir es uns leisten, zu dem Preis anzubieten."
    Qualitäts- oder stark preisbewusst
    Es ist ein Preis, den sich aber nicht jeder leisten kann und sich viele nicht leisten wollen. Zu verführerisch ist es, stattdessen jedem schnelllebigen Trend für kleines Geld zu folgen. Ein Party-Top etwa wird im Schnitt nur 1,7 Mal getragen und dann entsorgt. Gleichzeitig wächst die Zahl derer, die auf individualisierte Mode setzen, um dem Massenmarkt ein Statement entgegenzusetzen. Laut Gerd Müller-Thomkins vom Deutschen Modeinstitut kein Widerspruch: "Hartz IV existiert neben einer Heerschar von Millionären, die auch ihre Destroyed-Jeans suchen und die muss dann eben 800 Euro kosten. Das ist absurd, aber das ist die Realität. Wiewohl wir in der kritischen Marktbetrachtung mittlerweile sehen, dass Discount allmählich verliert. Ich glaube, dass wir mit dieser Entwicklung auf einem vorläufigen Höhepunkt angelangt sind, der auch überschritten scheint. Das heißt, der Massenmarkt der Mode gerät auch im Bewusstsein des Konsumenten immer mehr in Diskredit."
    Eine Prognose, die Marketingexperte Michael Schießl nicht uneingeschränkt teilt. Auch wenn es mittlerweile viele Alternative zur schnellen Mode gibt, genieße Green Fashion unter Jugendlichen kein besonders hohes Ansehen. Sie sei weder cool genug, noch gebe es genug Auswahl. Das Ende der Fast Fashion sieht Schießl noch lange nicht gekommen. Stattdessen würde sich die junge Generation der Konsumenten zunehmend spalten: in stark qualitäts- und stark preisbewusst.
    "Wir haben zum einen eben diese Beschleunigung, eben diese Fast Fashion wie wir sie eben bei Primark sehen. Wir haben andererseits eine Zunahme der Luxussegmente. Also wir sehen hier als Spiegel eigentlich, dass was in unserer Gesellschaft stark stattfindet und da ist es im Moment eher schwer, eine genaue Orientierung herauszugreifen, in seiner momentanen Mannigfaltigkeit."
    Programmtipp: Dieser Beitrag ist Teil der Serie "Konsum heute" im "Hintergrund", 30.7.-1.8.2015