Mittwoch, 24. April 2024

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Kontrafaktische Darstellung der NS-Zeit
"Wir machen uns Sorgen, dass Verbrechen verharmlost werden"

"Nazifiguren eignen sich einfach perfekt, um das ultimativ Böse darzustellen", sagte Medienforscherin Julia Schumacher im Dlf. Mit Kollegen hat sie die kontrafaktische Darstellung der NS-Geschichte untersucht. Immer häufiger spielen populäre Medien mit der Idee, dass Nazis immer noch die Welt regieren.

Julia Schumacher im Corsogespräch mit Susanne Luerweg | 22.01.2019
    Eine Taxi fährt in New York an der Werbung für die TV-Serie "The Man in the High Castle" vorbei. Das Plakat zeigt die New Yorker Freiheitsstatue mit Hitlergruß und roter Nazischärpe.
    New Yorker Freiheitsstatue mit Hitlergruß und roter Nazischärpe: Werbung für die TV-Serie "The Man in the High Castle" (picture-alliance/dpa/Chris Melzer)
    "Seit der Jahrtausendwende nimmt die kontrafaktische Darstellung der NS-Zeit vor allem in populären Medien zu", sagte die Medienwissenschaftlerin Julia Schumacher im Dlf. Serien wie "The Man in the High Castle", Filme wie "Inglorious Basterds" und Bücher wie "Er ist wieder da" gelten als prominente Beispiele, die Geschichte unter der Prämisse "Was wäre wenn" schreiben und beispielsweise von der Annahme ausgehen, die NS-Zeit würde noch fortbestehen, beziehungsweise, Hitler sei doch durch ein Attentat getötet worden.
    Fortbestand der Nazi-Zeit
    Die Digitalisierung, so die Wissenschaftlerin, spiele eine große Rolle, da alles, was vorher erzählt wurde, nun einfacher verfügbar sei. Historiker hätten jedoch große Probleme mit dieser Art der Darstellung, da die kontrafaktische Erzählweise Szenarien imaginiere, wie die Welt aussähe, wenn Hitler noch lebte und dies nicht als etablierte Geschichtswissenschaft gelte.
    Im Kontext von Populärkultur, erzählte Schumacher, mache man sich Sorgen, dass es zur einer Verharmlosung der Nazigreuel führen könnte, da sich die kontrafaktischen Darstellungen sich häufig der Angemessenheit verweigerten. Man gehe davon aus, dass wir einen gesicherten Status Quo hätten, was die Erinnerungskultur beträfe, dass allgemein anerkannt sei, dass die Verbrechen geschehen seien und dass die Erinnerungskultur kein Thema sei, deshalb sei der Umgang mit der Geschichte freier.
    Bezüge zu aktueller Politik
    Derzeit, so Schumacher, sei der Konsens darüber, welche Bedeutung der Holocaust auch für die Bundesrepublik habe, allerdings brüchig. Denn von verschiedenen rechten Seiten würde zwar nicht das Ereignis an sich angezweifelt, aber man sei der Meinung, man "müsse jetzt auch mal die Schuld loslassen". Dennoch könne man von kontrafaktischer Darstellung von Geschichte etwas lernen. Beispielweise würde bei der Serie "The Man in the High Castle" darauf aufmerksam gemacht, welche rechten Tendenzen es im Amerika von heute gebe, die anknüpfungsfähig seien an die NS-Zeit, wie Antisemitismus und Rassismus.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Johannes Rhein/Julia Schumacher/Lea Wohl von Haselberg (Hrsg.): "Schlechtes Gedächtnis? Kontrafaktische Darstellungen des Nationalsozialismus in alten und neuen Medien"
    Neofelis Verlag Berlin, 2019. 376 Seiten, 28 Seiten.